Am Montag gaben die USA und Russland bekannt, sie hätten sich auf eine teilweise „Einstellung der Feindseligkeiten“ in Syrien geeinigt. Doch schon einen Tag später mehrten sich die Anzeichen, dass Washington eine deutliche militärische Eskalation zum Sturz der von Russland unterstützten Regierung von Baschar al-Assad und der Einsetzung eines Marionettenregimes vorbereitet.
Der sogenannte „Plan B“, der im Weißen Haus intensiv diskutiert wird, birgt das Risiko einer direkten militärischen Konfrontation mit den russischen Truppen, die in Syrien das Assad-Regime unterstützen. Aus einer solchen Konfrontation könnte ein Krieg zwischen den beiden größten Atommächten der Welt entstehen.
Diese Pläne werden hinter dem Rücken der amerikanischen Bevölkerung vorbereitet. Die Präsidentschaftskandidaten der Republikanischen und der Demokratischen Partei blenden sie in ihren Wahlkämpfen völlig aus.
Das Abkommen, das am Montag nach langen Verhandlungen zwischen US-Außenminister John Kerry und seinem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow vorgestellt wurde, sieht einen Waffenstillstand ab Samstag vor. Betroffen sind alle Kombattanten im syrischen Bürgerkrieg außer dem Islamischen Staat (IS) und der al Nusra-Front, dem syrischen Ableger von al-Qaida. Laut der gemeinsamen Erklärung der USA und der Russischen Föderation, die am Montag veröffentlicht wurde, sind auch „andere vom UN-Sicherheitsrat als Terrororganisationen eingestufte Gruppierungen“ davon ausgeschlossen.
Am Montagabend willigten die Präsidenten Barack Obama und Wladimir Putin telefonisch in das Abkommen ein. Daraufhin wurde der Waffenstillstandsplan mit diversen Vorbehalten und Bedingungen von der syrischen Regierung, der Türkei und dem Hohen Verhandlungsrat angenommen. Bei letzterem handelt es sich um das Verhandlungsgremium des vom Westen unterstützten Widerstandes gegen Assad, das von den USA und Saudi-Arabien unterstützt wird.
Der Plan soll vorgeblich das amerikanische Lager und die Koalition aus Russland, dem Iran und Assad bei ihrem Krieg gegen den IS unterstützen. Er verschleiert jedoch, dass Moskau und Washington gegensätzliche Ziele verfolgen. Für die USA ist der Krieg gegen den IS im wesentlichen ein Vorwand für einen Krieg gegen Assad und seine russischen und iranischen Verbündeten. Moskau und Teheran hingegen intervenieren, um ihren einzigen arabischen Verbündeten im Nahen Osten zu stärken.
Das Waffenstillstandsabkommen fordert Verhandlungen über den Beginn eines „politischen Übergangs“ in Syrien, wobei die USA und ihre Verbündeten wie Saudi-Arabien, Katar und die Türkei darauf bestehen, dass er mit dem Rücktritt von Assad enden müsse. Das zweite zentrale Anliegen der Türkei ist es, die politische Festigung der kurdischen Gebiete in Syrien zu verhindern. Aus diesem Grund beschießt die türkische Armee von den USA unterstützte kurdische Milizen nahe der türkischen Grenze zu Nordwestsyrien.
Die US-Regierung und die Massenmedien verheimlichen zudem, dass die einzigen nennenswerten Militärkräfte, die in Syrien gegen Assad kämpfen, der IS und die al-Nusra-Front sind. Die sogenannten „gemäßigten“ Rebellen, die von der CIA, Saudi-Arabien, der Türkei, Katar und Jordanien bewaffnet, finanziert und militärisch unterstützt werden, sind etweder selbst sunnitische Dschihadisten (wie Ahrar al-Sham), kämpfen an der Seite al-Nusras oder sind militärisch irrelevant.
Laut dem Abkommen dürfen Russland und Assad weiterhin Luftangriffe auf die al-Nusra-Front fliegen, vor allem in der Provinz Aleppo. Dass dies auch Angriffe auf von den USA unterstützte Gruppen nach sich ziehen wird, die eng mit dem syrischen Ableger al-Qaidas verbündet sind, dürfte ein großes Hindernis bei der Umsetzung des Waffenstillstands sein.
Die Obama-Regierung will mit ihrem Drängen auf einen Waffenstillstand größtenteils Zeit gewinnen, um eine vollständige militärische Niederlage der al-Nusra-Front und ihrer verbündeten „Rebellen“ in deren Hochburg Aleppo zu verhindern, die von syrischen Regierungstruppen und russischen Luftschlägen bedrängt wird. Ein Sprecher der syrischen Opposition kritisierte den Waffenstillstand am Dienstag in einem Interview mit Al Jazeera, weil er keinen Schutz für die al-Nusra-Front vorsehe.
Die USA wollen zudem verhindern, dass kurdische Truppen die Versorgungslinien der „Rebellen“ von der Türkei abschneiden. Außerdem wollen sie die Türkei davon abhalten, Truppen nach Syrien zu schicken, um gegen die Kurden zu kämpfen. Eine solche Entscheidung könnte schnell eine militärische Konfrontation mit russischen Streitkräften auslösen. Da die Türkei Nato-Mitglied ist, könnte das gesamte westliche Militärbündnis in einen Krieg gegen Russland gezogen werden.
Washington betrachtet den Waffenstillstand hauptsächlich als Manöver, das es ihm ermöglichen soll, den angestrebten Regimewechsel in Syrien zu einem späteren Zeitpunkt militärisch zu eskalieren, möglicherweise nach der Präsidentschaftswahl in den USA.
Putin bezeichnete das Abkommen als großen Durchbruch auf dem Weg zum Frieden in Syrien. Die USA äußerten sich jedoch verhaltener. Regierungs- und Nichtregierungsvertreter äußerten sich skeptisch, dass der Waffenstillstand lange halten werde.
Der Pressesprecher des Weißen Hauses Josh Earnest erklärte: „Dieser Waffenstillstand wird schwer umsetzbar sein.“ Kerry erklärte am Dienstag in einer Anhörung vor dem außenpolitischen Ausschuss des Senats, er könne nicht dafür garantieren, dass ein Waffenstillstand tatsächlich umgesetzt werde und betonte: „Es werden sicherlich noch weitere Optionen erwogen.“ Er erklärte außerdem, man solle die Bereitschaft der Obama-Regierung nicht unterschätzen, Vergeltungsaktionen gegen Russland durchzuführen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Das Wall Street Journal schrieb am Dienstag, Verteidigungsminister Ashton Carter habe „hohen Regierungsvertretern“ bereits am Montag erklärt, der Waffenstillstand werde nicht anhalten. Die Zeitung zitierte einen hohen Vertreter der Regierung, der über Carter sagte: „Er hält das für einen [russischen] Trick.“
Der Artikel trug die Überschrift „Das Pentagon und die CIA glauben nicht, dass Russland den Waffenstillstand in Syrien einhält“ und zitiert einen „hochrangigen Regierungsvertreter“, laut dem Obamas Kabinett in der Frage des Vorgehens in Syrien gespalten ist. Verteidigungsminister Carter, der Vorsitzende des Generalstabs, General Joseph Dunford, und CIA-Direktor John Brennan hätten bei einem Treffen im Weißen Haus auf eine deutliche militärische Eskalation gegen Assad und seine russischen Hintermänner gedrängt.
Der Regierungsvertreter erklärte der Zeitung weiter, die Militär- und Geheimdienstführung verlange neue Maßnahmen, die „den Russen wirklich Schmerzen zufügen“. Laut dem Artikel fordern sie ausdrücklich eine Ausweitung der verdeckten Unterstützung für die „Rebellen“. U.a. werde diskutiert, die „Widerstandskämpfer“ mit „hochmodernen Boden-Luft-Waffen auszustatten“, damit sie russische Flugzeuge abwehren können. Die Lieferung solcher Waffensysteme sei als potenzieller „game changer“ (Wendepunkt) bezeichnet worden.
Es könnte tatsächlich ein „Wendepunkt“ sein, wenn die amerikanischen Stellvertreterkräfte in der Lage wären, russische Kampfflugzeuge abzuschießen. Dies könnte die Bedingungen für einen direkten militärischen Zusammenstoß zwischen den USA und Russland schaffen. Das Journal selbst schreibt dazu: „Jede Entscheidung, den Rebellen direkt zu helfen, russische Soldaten zu töten oder russische Flugzeuge abzuschießen, könnte eine dramatische Eskalation des Konflikts darstellen.“
Ein weiterer Regierungsvertreter erklärte über den Umgang des Weißen Hauses mit seinen Optionen in Syrien: „Um eines klarzustellen: unser Vorgehen richtet sich nicht gegen Russland. Unser Schwerpunkt ändert jedoch nichts daran, dass sich Russland in eine prekäre Lage bringt, wenn es sich in einem erbitterten Konflikt immer mehr zugunsten eines brutalen Diktators einmischt. Wenn Russland seinen Kurs nicht ändert, wird es selbst die Schuld an seinem Schicksal tragen.“
Der US-Imperialismus hat einen Bürgerkrieg in Syrien geschürt, um das pro-russische und pro-iranische Assad-Regime zu stürzen und damit seinem Ziel, der Hegemonie über den ölreichen Nahen Osten, näher zu kommen und gleichzeitig Russland und den Iran zu schwächen. Dieser Krieg dauert mittlerweile sechs Jahre an, hat schätzungsweise 470.000 Todesopfer gefordert, über fünf Millionen Syrer zur Flucht gezwungen, weitere Millionen zu Binnenvertriebenen gemacht und die soziale und physische Infrastruktur des Landes zerstört. Jetzt bereitet Washington eine Eskalation vor, die einen dritten Weltkrieg auslösen könnte.