Chinas Devisenreserven sind im letzten Monat um fast 100 Milliarden Dollar und im Dezember um 108 Milliarden Dollar geschrumpft. Das verstärkt Befürchtungen, die Kapitalflucht aus China sei in vollem Gange und die Finanzbehörden verlören ihren Kampf, den rasanten Fall des Renminbi (auch Yuan genannt) zu verhindern. Die Bekanntgabe dieser Daten hat globale Bedeutung. Sie deutet zusammen mit dem andauernden Einbruch auf den internationalen Aktienmärkten darauf hin, dass der Wirtschaftszusammenbruch, der 2008 begann, in ein neues, explosives Stadium getreten ist.
Der Abfluss von 99,5 Milliarden Dollar, nach dem höchsten monatlichen Absinken der Reserven in der Geschichte im Dezember, sorgte für ein Dreijahrestief der Reserven des Landes von 3,23 Billionen Dollar. Auf den ersten Blick vermitteln diese Zahlen den Anschein, China verfüge immer noch über genügend Reserven. Berechnungen des Internationalen Währungsfonds zufolge benötigt China jedoch Reserven in Höhe von zirka 2,75 Billionen Dollar, um seine operative Handlungsfähigkeit in Bezug auf sein Währungs- und Finanzsystem aufrechtzuerhalten. Mit anderen Worten, China hat nur noch einen Puffer von 500 Milliarden Dollar, bevor es in Schwierigkeiten gerät. Wenn der Abfluss des Geldes wie bisher weitergeht, wird dieser Puffer sehr schnell erschöpft sein.
Die globale Bedeutung der wachsenden Finanzprobleme Chinas zeigt sich, wenn man die Situation im Rahmen der Wirtschaftsgeschichte des letzten Vierteljahrhunderts analysiert. Die Auflösung der Sowjetunion Ende 1991 wurde von einer Welle bürgerlichen Triumphgeheuls und von Feiern zu Ehren des „freien Markts“ überall auf der Welt begleitet, denen sich das chinesische Regime anschloss.
Das chinesische Regime hatte die Wiederherstellung des Kapitalismus bereits angebahnt und die Arbeiterklasse im Massaker auf dem Tiananmen-Platz im Juni 1989 blutig unterdrückt. Ab Anfang 1992 begann es, China immer direkter in den kapitalistischen Weltmarkt zu integrieren und zum Billiglohnland für das internationale Kapital zu machen.
In den darauffolgenden Jahren führte das zu einem sogenannten „positiven“ wirtschaftlichen Kreislauf. Für die globalen Unternehmen führten die Öffnung Chinas und der Zugang zu seinen billigen Arbeitskräften zu einem deutlichen Anstieg ihrer Profite wie auch zu Vorteilen für die US-Finanzmärkte. Das Lohnniveau lag zeitweise bei einem Dreißigstel der Löhne in den USA.
Das chinesische Regime war bestrebt, China als weltweit führendes Billiglohnland zu etablieren; deshalb leitete es die Dollars aus dem Export in die USA und in andere westliche Märkte zurück in das US-Finanzsystem, indem es amerikanische Staatsanleihen aufkaufte. Das sorgte dafür, dass der Wert des Renminbi nicht anstieg.
Das wiederum ermöglichte es der US-Notenbank, das Zinsniveau gegen Ende der 1990er-Jahre und in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts auf einem historischen Tiefstand zu halten – was auch als „great moderation“ (die große Mäßigung) bekannt wurde.
Niedrige Zinssätze heizten die Spekulation mit Kapitalanlagen, Grund und Boden, Immobilien, Aktien etc. an, was in wachsendem Maße zur vorherrschenden Methode der Profitakkumulation in den USA wurde. Der Finanzboom und der Anstieg der Immobilienpreise halfen zusätzlich dabei, die Konsumausgaben in den USA zu stützen, selbst als die Reallöhne sanken. Damit wurde der Markt für die in China produzierten Güter zur Verfügung gestellt und weitere Handelsüberschüsse produziert, die dann wiederum in amerikanische Staatsanleihen investiert wurden, wodurch die Zinsen niedrig gehalten wurden.
Dieses Kartenhaus brach zusammen, als 2008 die Krise auf dem Hypothekenmarkt für zweitklassige Kredite den Finanzzusammenbruch in den USA und weltweit auslöste.
Diese Krise bedeutete das Ende von Chinas Exportboom. Als Reaktion auf den Verlust von mehr als 20 Millionen Arbeitsplätzen von 2008 bis 2009 brachte das Regime ein Konjunkturprogramm von einer Billion Dollar auf den Weg. Außerdem veranlassten die Finanzbehörden eine massive Ausweitung der Kreditvergabe, was zu einem Infrastruktur- und Immobilieninvestment-Boom führte, der mit Krediten finanziert wurde.
Das wiederum trieb während des sogenannten „Rohstoff-Superzyklus“ die Preise für Öl und andere Industrierohstoffe in die Höhe. Die Märkte der Schwellenländer profitierten von der erhöhten Nachfrage nach ihren Warenexporten; Finanzhäuser, die nach höheren Renditen Ausschau hielten, investierten jedoch Geld in schuldenfinanzierte Projekte.
Gleichzeitig garantierte die US-Notenbank zusammen mit anderen Zentralbanken den andauernden Zustrom billigen Geldes, indem sie die Zinsen auf einen historischen Tiefstand setzten und mit ihren jeweiligen Programmen der „quantitativen Lockerung“ die Versorgung mit Geld durch den Ankauf von Staatsanleihen und anderen Finanzanlagen erhöhten.
Diese Maßnahmen sorgten jedoch nicht dafür, dass die Weltwirtschaft zu den Verhältnissen zurückkehrte, die vor 2008 herrschten. Insoweit es so etwas wie eine „Erholung“ gab, dann war sie bestenfalls kraftlos. Investitionen, der entscheidende Wachstumsmotor in der kapitalistischen Wirtschaft, blieben auf einem historisch niedrigen Niveau. Die Unternehmen häuften das Geld an, um es in Spekulationsgeschäfte wie Fusionen, Firmenübernahmen und Aktienrückkäufe zu stecken.
Die Bedeutung der massiven Ausdehnung des chinesischen Kreditvolumens zeigt sich nicht nur im wachsenden Anteil Chinas an der Weltwirtschaft. Der „Rohstoff-Superzyklus“, den es in Gang gesetzt hat, führte dazu, dass die von China abhängigen Schwellenländer nach 2008 zirka 40 Prozent zum globalen Wachstum beigetragen haben.
Sämtliche Maßnahmen, die seit 2008 eingeleitet wurden, haben die Krise jedoch keineswegs überwunden, sondern im Gegenteil die Bedingungen für einen weiteren Finanz- und Wirtschaftszusammenbruch geschaffen.
Eine Analyse der New York Times von letzter Woche verwies auf einen stagnierenden Pool von Problemkrediten (Forderungsausfälle), die eine wachsende Bedrohung für das gesamte Bankensystem darstellen. Man schätzt, dass in China der Umfang „ausfallgefährdeter Kredite“ über fünf Billionen Dollar liegen könnte, was der Hälfte der jährlichen Wirtschaftsleistung des Landes entspricht.
Laut der Finanzanalystin Charlene Chu, die in diesem Artikel zitiert wird, soll der Finanzsektor Chinas bis Ende des Jahres Kredite und andere Finanzanlagen in Höhe von 30 Billionen Dollar umfassen, verglichen mit neun Billionen Dollar vor sieben Jahren. Sie erklärte: „Die Welt hat noch nie ein Kreditwachstum von diesem Ausmaß in solch kurzer Zeit gesehen. Wir sind überzeugt davon, dass dies sämtliche Vermögenswerte auf der Welt direkt oder indirekt beeinflusst hat. Deshalb ist der Markt so nervös angesichts der Vorstellung, es könnten sich in China Kreditprobleme entwickeln.“
Das Phänomen fauler Kredite ist nicht auf China beschränkt. Man schätzt, dass sie sich in Europa auf eine Billion Dollar belaufen. Der IWF hat berechnet, dass die Schwellenländer sich mit zirka drei Billionen Dollar verschuldet haben.
Wenn man das letzte Vierteljahrhundert im Überblick betrachtet, dann ergibt sich ein Bild, das weit entfernt ist vom Triumph des „freien Markts“, der nach der Auflösung der Sowjetunion proklamiert wurde. Die anfängliche Wachstumsphase war das Ergebnis der Profitsteigerung durch die Ausbeutung der billigen Arbeitskräfte in China und anderswo. Nachdem dies in einem Finanzdesaster geendet hatte, wurde das schwer erschütterte Weltwirtschaftssystem nur noch durch Billionen von Dollar, welche die großen Zentralbanken in das Finanzsystem pumpten, und durch die massive Ausdehnung des Kredits in China gestützt.
Dieser Prozess ist jetzt an sein Ende gekommen und führt zu tiefen Rezessionstendenzen sowie zur Entstehung einer neuen Finanzkrise, deren Folgen schwerer zu werden drohen als 2008.
Die Krise in China und ihre weltweiten Auswirkungen zeigen eins ganz deutlich: Es gibt keine Wirtschaft oder Gruppe von Volkswirtschaften, die die Grundlage für eine globale wirtschaftliche Expansion bilden könnten. Die USA, die bis vor kurzem als „Lichtblick“ angesehen wurden, steuern auf eine Rezession zu, wie der Fall der Erträge für zehnjährige Schatzanleihen zeigt. Vor zwei Tagen lagen sie bei knapp über 1,7 Prozent, weil Investoren sich in „sichere Häfen“ flüchteten. Und die Fertigungsindustrie befindet sich wahrscheinlich schon in einer Rezession.
Die europäische Wirtschaft stagniert weiter. Prognosen gehen von zweistelligen Werten bei der Arbeitslosigkeit aus, und es gibt Befürchtungen in Bezug auf das Ausmaß fauler Kredite im Bankensystem. Die japanische Zentralbank hat weitere Maßnahmen zur quantitativen Lockerung in Angriff genommen und negative Zinsen eingeführt, weil es den sogenannten „Abenomics” nicht gelungen ist, die japanische Wirtschaft anzukurbeln.
Der Rezessionsdruck ist so hoch, dass mehr als ein Viertel der Länder weltweit mit negativen Zinsen operieren, eine historisch beispiellose Situation.
Die herrschende Klasse hat keine ökonomische Lösung für die Krise. Deshalb sieht ihre Reaktion drei Maßnahmen vor:
Eine Verschärfung des Angriffs auf die Arbeiterklasse durch Kürzungen bei Arbeitsplätzen und Löhnen sowie Angriffe auf die Sozialsysteme.
Zunehmend autoritäre Herrschaftsformen und Angriffe auf demokratische Rechte, um die gesellschaftlichen Kämpfe und die Klassenkämpfe zu unterdrücken, die sich jetzt entwickeln.
Eine beschleunigte Tendenz zu Kriegen, da alle kapitalistischen Großmächte versuchen, ihren Konkurrenten die Krise aufzubürden, wenn nötig mit militärischen Mitteln.
Die internationale Arbeiterklasse muss eine durchdachte Strategie entwickeln, die sich auf den Kampf für ein sozialistisches Programm stützt. Ihr Ziel muss die Eroberung der politischen Macht und der Sturz des kapitalistischen Profitsystems sein.