Seit den Terroranschlägen von Paris sind kaum zwei Wochen vergangen, doch es ist bereits völlig klar, dass die herrschenden Eliten in den USA und Europa die Ereignisse als Vorwand für eine massive Eskalation des Kriegs in Syrien und dem Irak nutzen wollen. Man ist sich sehr schnell einig geworden, neue Boden- und Luftoperationen gegen Städte überall in Syrien und dem Irak zu starten.
In den USA verlangten Präsidentschaftskandidaten und Abgeordnete bei ihren Auftritten in Sonntags-Talkshows in schrillen Tönen alle möglichen militärischen Schritte in der kriegsgebeutelten Region.
Jeb Bush forderte in der Sendung Face the Nation eine Flugverbotszone für Syrien und „Sicherheitszonen“ am Boden. Bush erklärte, die neu stationierten US-Bodentruppen sollten „in das irakische Militär eingebettet“ werden und die USA sollten versuchen, „wieder auf die sunnitischen Stammesführer zuzugehen, die während der letzten Militäraktion effektive Partner waren“. Für den Nordirak empfiehlt Bush den USA, die dortigen „Kurden direkt zu bewaffnen“.
US-Senator Lindsey Graham rief im selben Beitrag die Streitkräfte auf, neue Operationen zum Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zu starten und den Einfluss des Iran in der Region auszumerzen. Graham forderte Operationen mit dem Ziel, „Assad zu verdrängen und keine weitere arabische Hauptstadt aufzugeben“.
Graham plädierte für den Einsatz von mindestens 20.000 US-Soldaten als Teil einer noch größeren Streitmacht aus arabischen und europäischen Staaten, die in Syrien und dem Irak die Gebiete erobern und besetzen sollen, die momentan vom IS kontrolliert werden.
Graham erklärte, dieser erneute Einmarsch in den Irak würde es den USA ermöglichen, das Land vor dem Einfluss des Iran zu schützen: „Der Iran ist überall im Irak. Er hat das Vakuum ausgefüllt, das wir hinterlassen haben, als wir gegangen sind.“
Auch im Militär- und Geheimdienstapparat werden Stimmen laut, die umfangreiche Operationen und eine Politik der verbrannten Erde fordern.
Letzte Woche zitierte die Financial Times (FT) in einem langen Kommentar mit dem Titel „IS: Bodentruppen im Land?“ hohe westliche Militärs und Geheimdienstler, die neue Angriffe auf den Irak und Syrien fordern.
Der Artikel zitiert Experten, die die Belagerung irakischer Städte wie Ramadi, Tikrit und Mosul sowie Flächenbombardements auf die zivile Infrastruktur und Wohngebiete fordern, wenn diese als Stützpunkte für die IS-Truppen dienen.
Der britische Militärexperte Afzal Ashraf, der in Bagdad als hochrangiger Antiterrorbeauftragter aktiv war, erklärte in der FT, die blutige Belagerung von Falludscha durch die USA im Jahr 2004 sollte „als Modell“ für die Bodenoperationen gegen den IS „genutzt werden“. Wie die Zeitung schrieb, erforderte die Operation in Falludscha „tausende von Soldaten und monatelange Gewalttätigkeiten“ und „verwandelte die Stadt der Moscheen in ein Trümmerfeld“. Trotzdem zitiert die FT ausführlich Ashrafs Forderungen nach ähnlichen Offensiven im ganzen Irak.
Die FT zitierte Ashraf mit den Worten: „Dafür wären enorme Mittel notwendig.“
Ashraf erklärte: „Der Luftkrieg hat seine Grenzen. Wenn man jede Stadt einzeln angreift, wird man den IS nicht los. Man muss gleichzeitig Ramadi, Tikrit, Mosul und auch Syrien treffen. Das ist eine gewaltige Operation.“
Die FT schreibt, der US-geführte Krieg trete in eine „neue Phase“ ein, in der „auch die wirtschaftliche Infrastruktur und militärische Stellungen in zivilen Wohngebieten zu den neuen Zielen der USA und ihrer Verbündeten gehören“.
Der US Air Force-General David Deptula erklärte der FT: „Wir geben den Luftstreitkräften keine Chance. Wir könnten es innerhalb von Wochen schaffen, nicht innerhalb von Jahren.“
Der pensionierte General beklagte, Washington habe davor zurückgeschreckt, Ziele in der Nähe ziviler Wohngebiete und der Infrastruktur anzugreifen. Weiter erklärte er: „Ich habe Schwierigkeiten zu begreifen, warum die USA ihren Gegnern einen solchen Vorteil einräumen.“ Er forderte die amerikanisch geführte Koalition auf, ihre Luftangriffe auf ein ähnliches Ausmaß wie im Golfkrieg 1990-91 zu erhöhen. Damals flog die US-Luftwaffe täglich 1.200 Angriffe.
Während Washington auf eine verheerende Intensivierung seiner Luftangriffe drängt, macht das wachsende Engagement von Frankreich, Deutschland und Großbritannien deutlich, dass Syrien zur zentralen Arena eines vollständig globalisierten Stellvertreterkriegs wird.
Seit den Anschlägen von Paris hat das französische Militär seinen Luftkrieg im Norden Syriens massiv verstärkt. Die französischen Bomber werden jetzt durch deutsche Tornado-Aufklärungsjets unterstützt.
Wie der Generalinspekteur der Bundeswehr, Volker Wieker, am Sonntag erklärte, plant Deutschland die Entsendung von etwa 1.200 Soldaten sowie Teilen der Luftwaffe und Marine in das Kriegsgebiet. Letzte Woche erklärten Vertreter der Bundesregierung dem Spiegel, die neue Truppe könnte schon bald in Kampfeinsätze verwickelt werden.
Auch Großbritannien scheint zu neuen, umfangreichen Interventionen bereit zu sein. Das Parlament bereitet sich darauf vor, am Mittwoch über ein umfassendes Militärpaket für Syrien abzustimmen. Wie der britische Premierminister David Cameron am Wochenende ankündigte, werden unabhängig vom Ergebnis der Abstimmung in den kommenden Wochen Dutzende von britischen SAS-Kommandos in Syrien stationiert werden.
Russland steht laut syrischen und syrisch-libanesischen Medien möglicherweise kurz davor, selbst ein beträchtliches Kontingent an Bodentruppen einzusetzen.
Diese Berichte über russische Bodentruppen kommen zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Spannungen zwischen Moskau und der türkischen Regierung in bisher ungekanntem Ausmaß verschärft haben. Der Grund war der Abschuss eines russischen Bombers durch das türkische Militär in der Woche zuvor. Russische und syrische Medien reagierten darauf mit Kritik an der Türkei. Sie wiesen auf Ankaras Unterstützung für islamistische Terrorgruppen hin und auf die Profite, die Ankara aus dem Handel mit Öl aus Regionen macht, die vom IS kontrolliert werden.
Die syrische staatliche Nachrichtenagentur SANA meldete am Wochenende: „Die türkische Regierung hat vor kurzem ihre Unterstützung für Terroristen und deren Versorgung mit Waffen und Munition erhöht, um es ihnen zu ermöglichen, ihr kriminelles Treiben fortzusetzen. Als Gegenleistung erhält die Türkei Öl und Antiquitäten, die aus Syrien und dem Irak gestohlen und zu niedrigen Preisen gekauft werden. Sie profitiert dabei von der Anwesenheit von Terroristen, denen sie ermöglicht hat, die Grenzregionen zu kontrollieren.“
Tatsächlich ist der türkische Staat tief in den IS und mit ihm verbundene Terrornetzwerke verstrickt, die aus den verdeckten Operationen der USA, der europäischen Mächte, der Türkei und der Scheichtümer des Persischen Golfs zum Sturz von Assad entstanden sind.
Bereits letzte Woche flogen amerikanische Luftstreitkräfte Flächenbombardements gegen Hunderte von IS-Tanklastern im Norden Syriens, die vermutlich dort auf türkische Käufer warteten. Analysten weisen darauf hin, dass der Grund für diesen Schritt der USA die zunehmenden Bombenangriffe der Türkei gegen die von den USA unterstützten kurdischen Milizen waren.
Während sich die USA und die europäischen Mächte um ihre jeweiligen Anteile an einer Neuaufteilung Syriens streiten, schürt der eskalierende Stellvertreterkrieg die Risikobereitschaft der regionalen Mächte. Dies wiederum erhöht die Gefahr, dass plötzlich ein Flächenbrand ausbricht.
Am Wochenende flogen israelische Flugzeuge einen Überraschungsangriff auf syrische Ziele nahe der libanesischen Grenze. Daraufhin scheinen russische Kampfflugzeuge in israelischen Luftraum eingedrungen zu sein.
Alle diese Ereignisse deuten auf die wachsende Gefahr eines generellen Flächenbrands und den Ausbruchs eines Weltkriegs hin. Nach wochenlangen hektischen Bemühungen, ein multinationales Abkommen oder eine Koalition zur „Beendigung“ des Kriegs in Syrien zusammenzuschustern, machen die jüngsten Entwicklungen deutlich, dass sich alle Großmächte rasend schnell auf einen Konflikt zubewegen.