Perspektive

Nach den Terroranschlägen von Paris:

Trommelfeuer für weitere Kriege und Polizeistaat

Die Reaktion des politischen Establishments der USA und der Medien auf die Terroranschläge von Paris, die 129 Unschuldige töteten, war ebenso vorhersehbar wie reaktionär. Politiker, Experten und die Medienmacher entfesseln eine Propagandaoffensive, schüren Rachegelüste und versuchen, den Schock über die Angriffe des Islamischen Staats (IS) für mehr Militäraggression im Ausland und polizeistaatliche Unterdrückung im Inland auszunutzen.

CIA-Direktor John Brennan forderte am deutlichsten, dass die Anschläge von Paris an der „Weckruf“ wirken müssten. Er verlangte ein Ende des “Händeringens” über die Pauschalüberwachung der Bevölkerung der USA und der ganzen Welt durch die US-Regierung, die im Namen des Kampfs gegen den Terrorismus stattfindet.

Republikanische Kritiker der Obama-Regierung forderten eine stärkere US-Militärintervention im Nahen Osten. Eine Forderung betrifft die Entsendung eines weiteren Expeditionskorps nach Syrien. Der ehemalige Republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney rief in einer Meinungskolumne der Washington Post am Sonntag zum „Krieg gegen den IS“ auf. Er sagte, die USA müssten aufbringen, was nötig sei, um diesen Krieg zu gewinnen, „bis hin zum Einsatz von Bodentruppen“. In einem späteren Fernsehinterview machte er klar, dass das die Entsendung von Tausenden Soldaten nach Syrien bedeute.

Noch aufschlussreicher war das Verhalten der Medien bei Obamas Pressekonferenz vom Montag, während des G20-Gipfels im türkischen Antalya. Dort bezeichnete der US-Präsident den IS als „das Gesicht des Bösen“ und erklärte, es sei das Ziel Washingtons, „diese barbarische Terrororganisation zu schwächen und schließlich zu vernichten“.

Die Korrespondenten der großen amerikanischen Medien standen einer nach dem anderen auf, um aus dem Präsidenten die Ankündigung einer aggressiveren Militärpolitik herauszulocken.

CBS: „Eine einjährige Bombenkampagne im Irak und in Syrien hat es nicht geschafft, die Ambitionen und das Potential des IS für Angriffe auf den Westen einzudämmen. Haben Sie seine Fähigkeiten unterschätzt? Und werden Sie die Einsatzregeln der US-Kräfte ausweiten, damit sie aggressiver vorgehen können?“

ABC: „Was antworten Sie Ihren Kritikern, die sagen, dass Ihr Zögern, in einen neuen Krieg im Nahen Osten einzusteigen, und Ihre Bevorzugung der Diplomatie vor dem Einsatz des Militärs die Vereinigten Staaten schwächt und unsere Feinde stärkt?“

CNN: „Ich denke, eine Menge Amerikaner sind frustriert, wenn sie sehen, dass die Vereinigten Staaten das stärkste Militär der Welt haben […] Ich schätze, sie stellen sich die Frage – wenn Sie die Ausdrucksweise verzeihen – warum können wir diese Scheißkerle nicht einfach fertig machen?“

Die Stoßrichtung dieser Fragen ist klar. Nach mehr als vierzehn Jahren eines amerikanischen Kriegs gegen den Terror, der den ganzen Nahen Osten in Chaos und Gemetzel gestürzt hat, verlangt ein großer Teil des Establishments ein noch tödlicheres Wirken des amerikanischen Imperialismus.

Dieser übersteigerte Patriotismus verdeckt die Tatsache, dass die Terroranschläge von Paris und der IS selbst das Ergebnis einer fast fünfzehnjährigen militärischen Intervention der USA sind, die die amerikanische Hegemonie in dieser ölreichen Region zum Ziel hat.

Der IS entstand als Nebenprodukt eines unprovozierten amerikanischen Aggressionskriegs gegen den Irak und der darauf folgenden Strategie des „Teile und Herrsche“. Diese Strategie manipulierte und verschärfte die religiösen Spaltungen in dem Land. Nachdem die Bush-Regierung Saddam Hussein, einen nicht-religiösen Autokraten, beseitigt hatte, stürzte sich die Obama-Regierung im Bündnis mit Frankreich in ein weiteres militärisches Abenteuer. Die USA und die Nato brachen den Krieg in Libyen vom Zaun, um einen Regimewechsel durchzusetzen. Dabei nutzten die Imperialisten islamistische Milizen, die mit dem IS und al-Qaida verbündet waren, als Stellvertretertruppen am Boden.

Nachdem sie den ebenfalls säkularen Herrscher Muammar Gaddafi erfolgreich gestürzt und ermordet hatten, ließen sie Libyen im Zustand des völligen Chaos und permanenten Bürgerkriegs zurück. Nun beschloss die Obama-Regierung, diesen „Erfolg“ in Syrien zu wiederholen, wo sie den Bürgerkrieg anstachelte. Sie stützte sich auf die gleichen islamistischen Organisationen, die mit riesigen Mengen Waffen aus Libyen ausgestattet und durch eine Armee ausländischer Kämpfer aus dem ganzen Nahen Osten, Europa und Zentralasien verstärkt wurden.

Heute hat der IS erfolgreich ein Drittel des Irak und etwa die Hälfte Syriens besetzt. Jetzt behauptet die Washingtoner Regierung, sie stehe „im Krieg“ mit der islamistischen Organisation. Dabei sind ihre Hauptverbündeten Saudi-Arabien, Katar und die Türkei, die dem IS durch ihre religiös-ideologische Inspiration erst zum Erfolg verholfen, ihn finanziell ausgestattet und ihm die Waffen besorgt haben.

Dieser „Krieg gegen IS“ dauert schon ein Jahr und wird mit Bombenangriffen, tausenden Soldaten im Irak und neuerdings Einheiten der Special Forces in Syrien geführt. Dennoch hat dieser „Krieg“ praktisch nichts an der Ausdehnung und Stärke der IS-Truppen geändert. Das ist kein Zufall: Washingtons Hauptziel bleibt der Regimewechsel in Syrien. Dieser ist Teil der übergeordneten US-Strategie, den Einfluss des Iran, Russlands und Chinas in der Region zu schwächen. Die amerikanische Regierung bereitet sich auf weit gefährlichere Konfrontationen vor, und im Kampf gegen die Soldaten der syrischen Regierung bleibt der IS ein Verbündeter der USA.

Obama verkündet, er habe in den Ereignissen in Paris „das Gesicht des Bösen“ gesehen. Aber als der IS weit blutigere Gräueltaten gegen religiöse Minderheiten und jene Syrer beging, die die Regierung von Präsident Baschar al-Assad unterstützten, gab es bei den USA und ihren Verbündeten keinen Aufschrei. In dem Bürgerkrieg der letzten vier Jahre hatte die syrische Bevölkerung jeden Tag mehr Opfer zu beklagen, als am Freitag in Paris ums Leben kamen.

Außerdem waren die Angriffe in Paris nur die jüngsten einer ganzen Serie von Anschlägen der islamistischen Gruppe im Ausland. Als am 31. Oktober ein russisches Passagierflugzeug über dem Sinai abstürzte, 224 Menschen starben und der IS dafür die Verantwortung übernahm, war die Empörung der westlichen Medien von Schadenfreude gedämpft. Offenbar war es ihnen nicht Unrecht, dass Moskau für sein Eingreifen in Syrien bestraft wurde.

Auch der zweifache Bombenanschlag vergangene Woche in einem Arbeiterviertel in Beirut, dem mindestens 43 Menschen zum Opfer fielen, erschien in den amerikanischen Medien praktisch durchweg als Angriff auf eine „Hisbollah-Hochburg“. Damit wurde unterstellt, die unschuldigen zivilen Opfer hätten bekommen, was ihnen wegen der Unterstützung der schiitische Bewegung für die Assad-Regierung zustünde.

Das Establishment der USA sieht Terrorismus als solchen nicht als entscheidendes Problem. Obama erklärte auf der Pressekonferenz in der Türkei, seine „engsten militärischen und zivilen Berater“ hätten ihm erklärt, zehntausende Soldaten nach Syrien zu senden, sei nicht der Mühe wert.

Vom Standpunkt dieser Elemente in dem riesigen amerikanischen Militär- und Geheimdienstapparat ist der Terrorismus eine nützliche Taktik, wenn er sich gegen Washingtons Feinde richtet. Wenn er sich gegen die USA und ihre Verbündeten richtet, dann wird er als notwendiges Übel in Kauf genommen. Außerdem ist er nützlich als Vorwand für mehr Militarismus und die Unterdrückung der politischen Opposition im Innern.

Letztlich haben Obamas „Berater“ größere Pläne. Vor gut einer Woche hielt US-Verteidigungsminister Ashton Carter eine Rede, in der er bestätigte, dass Russland und China die größte Bedrohung für die Interessen Washingtons darstellten, und nicht der IS oder der Terrorismus. Getrieben von seiner unlösbaren Krise und seinen Widersprüchen bereitet der US-Imperialismus den größten Massenterror der Menschheitsgeschichte vor: einen dritten Weltkrieg.

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