Präsident Hollande nutzt Terroranschläge für Angriff auf demokratische Rechte

Der französische Präsident Francois Hollande machte am Montag in einer Rede vor beiden Kammern des Parlaments in Versailles deutlich, dass er als Reaktion auf die Terroranschläge des Islamischen Staates (IS) einen umfassenden Angriff auf die demokratischen Rechte der Bevölkerung plant. Mit dieser Rede hat Hollande einen großen Schritt zur Einführung autoritärer Herrschaftsformen in Frankreich gemacht.

Durch Hollandes geplante Verfassungsänderungen erhielte der Präsident umfassende Vollmachten. Er könnte u.a. die öffentliche Gewalt über zivile Einrichtungen aufs Militär übertragen und demokratische Grundrechte aussetzen. Die französische Republik würde vielleicht nicht formell aufgelöst, aber eine derartige Regierung wäre ein krasser Verstoß gegen demokratische Prinzipien.

Hollande hat bereits am Wochenende im ganzen Land den Notstand ausgerufen. Jetzt will er die unterschiedlichen juristischen Regelungen zum „Ausnahmezustand“ in der französischen Verfassung ändern. Sein Ziel ist es, innerhalb von drei Monaten die rechtlichen Mittel zu schaffen, um einen dauerhaften Notstand in Frankreich zu verhängen.

Er erklärte vor den versammelten Abgeordneten: „Wir, das heißt Sie, werden den Notstand über zwölf Tage hinaus auf bis zu drei Monate verlängern. Doch auch nach dem Ende des Notstandes müssen wir in der Lage sein, den Terrorismus in einer Weise zu bekämpfen, die mit den Prinzipien des Rechtsstaates vereinbar ist. Diese Bedrohung ist dauerhaft und der Kampf gegen den IS im In- und Ausland wird eine langwierige Angelegenheit sein. Daher habe ich auch beschlossen, die Methoden, die dem Justizsystem und den Sicherheitskräften zur Verfügung stehen, deutlich auszuweiten.“

Er wies das Parlament an, die Verfassung entsprechend zu ändern: „Ich bin angesichts der Umstände der Meinung, dass wir unsere Verfassung daraufhin umgestalten müssen, dass die Staatsgewalt in Übereinstimmung mit den Prinzipien des Rechtsstaates handeln kann, wenn sie mit Kriegshandlungen konfrontiert ist. Der derzeitige Text sieht zwei bestimmte Systeme vor, die nur eingeschränkt geeignet sind.“

Hollande erklärte, Artikel 16, der die Vergabe von umfassenden Notstandsvollmachten an den Präsidenten regelt, und Artikel 36, welcher die Ausrufung des Belagerungszustandes regelt, seien „nicht für die derzeitige Situation geeignet“. Sie sollen durch eine „angemessene Möglichkeit“ ersetzt werden, „außerordentliche Maßnahmen für einen bestimmten Zeitraum zu treffen, ohne auf den Notstand zurückgreifen zu müssen und ohne die Ausübung von Grundfreiheiten einzuschränken.“

Die Behauptung, die Regierung habe nicht die Absicht, Grundfreiheiten einzuschränken, ist ein politischer Betrug.

Hollande versucht, die verschiedenen Arten von Notstand in Frankreich zu modernisieren, weil seine Regierung die damit verbundenen Sondervollmachten für unbestimmte Zeit einsetzen will. Hollandes Äußerungen deuten darauf hin, dass er Notstandsvollmachten so lange beibehalten will, wie der IS oder eine andere Terrororganisation als Bedrohung für Frankreich eingeschätzt wird. Damit ebnet er einer Diktatur den Weg.

Ein Gesetz von 1955 erlaubt dem Staat im Falle eines Notstands Ausgangssperren zu verhängen, „alle Maßnahmen zur Kontrolle der Presse und des Rundfunks“ zu ergreifen, Wohnungen von Einzelpersonen willkürlich zu durchsuchen und Eigentum zu beschlagnahmen sowie Versammlungen zu verbieten und Militärtribunale einzurichten.

Innenminister Bernard Cazeneuve erklärte am Montag in einer kriegerischen Rede, alle rechtlichen Mittel des Notstandes würden „vollständig eingesetzt.“ Er deutete außerdem an, dass sie als erstes angewendet würden, um „Moscheen zu schließen, in denen Menschen verkehren, die Hass propagieren oder zum Hass aufrufen.“

Artikel 16 erteilt dem französischen Präsidenten umfassende Ausnahmebefugnisse, wenn „die Institutionen der Republik, die Unabhängigkeit der Nation, die Integrität ihres Staatsgebietes oder die Erfüllung ihrer internationalen Verpflichtungen ernsthaft und unmittelbar bedroht sind und gleichzeitig die ordnungsgemäße Arbeit der Verfassungsorgane unterbrochen ist...“

Allerdings können Abgeordnete und Senatoren den Verfassungsrat anrufen, um die Behauptung des Präsidenten überprüfen zu lassen, dass diese Bedingungen gegeben sind. Trotz der schrecklichen Anschläge in Paris wäre es derzeit absurd, zu behaupten, der IS sei eine ernsthafte Gefahr für die Institutionen der französischen Republik oder die Unabhängigkeit und territoriale Integrität Frankreichs.

Der Belagerungszustand wird in einer „allgemeinen Erläuterung“ des französischen Senats so charakterisiert: „(1) die Ausübung der Polizeibefugnisse wird von den zivilen Behörden auf das Militär übertragen. (2) Die Polizeibefugnisse werden ausgeweitet, den Militärbehörden sind Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen bei Tag und Nacht erlaubt; weiter die Verbringung von Häftlingen und Obdachlosen in Gebiete, für die der Belagerungszustand gilt; die Beschlagnahme von Waffen und Munition und das Verbot von Publikationen und Versammlungen, die geeignet sind, die öffentliche Ordnung zu stören. (3) Militärtribunale können Zivilisten wegen Straftaten und Fehlverhalten zu Lasten der Sicherheit des Staates, seiner Institutionen und der öffentlichen Ordnung verurteilen.“

Laut derzeitigem französischem Recht gilt der Belagerungszustand jedoch nur für einen Teil des Staatsgebietes im Falle von Krieg oder einem bewaffneten Aufstand. Diese Bedingungen sind im Kampf gegen eine geheime terroristische Vereinigung wie den IS, der höchstens ein paar hundert Mitglieder in Frankreich hat, eindeutig nicht gegeben.

Dass offiziell darüber diskutiert wird, auf solche Maßnahmen zurückzugreifen, verdeutlicht, dass die kapitalistischen Regimes in Frankreich und Europa vor einer schweren Krise stehen. Die bürgerliche Demokratie befindet sich im Niedergang

Die imperialistischen Nato-Mächte, darunter auch Frankreich, haben einen Krieg angezettelt, um das syrische Regime zu stürzen. Als Stellvertretertruppen haben sie islamistische Terrormilizen, aus denen später der IS entstand, mit Waffen und Finanzmitteln versorgt. Sie haben außerdem Bedingungen geschaffen, unter denen der Krieg auf Europa und den Rest der Welt übergreifen konnte. Der IS wird durch diesen neokolonialen Krieg immer stärker. Doch anstatt ihn zu beenden, nutzen die imperialistischen Mächte die Tragödie in Paris für einen Generalangriff auf demokratische Rechte aus.

Für die geplanten Maßnahmen gibt es in der Geschichte nur wenige Präzedenzfälle. Das letzte Mal, als alle Befugnisse des Notstands auf dem ganzen Staatsgebiet angewandt wurden, war während des Algerienkrieges 1954-62. Damals versuchte der französische Imperialismus, den Unabhängigkeitskampf der algerischen Bevölkerung im Blut zu ertränken.

Allerdings wurden mehrere Regelungen des Gesetzes angewandt, als im Jahr 2005 während der Unruhen in den Vororten der Notstand ausgerufen wurde. Anlass für die Unruhen in den armen Immigrantengemeinden war der Tod zweier Jugendlicher namens Zyed Benna und Bouna Traoré, die auf der Flucht vor der Polizei waren.

Im zwanzigsten Jahrhundert haben nur zwei französische Staatsoberhäupter volle Notstandsbefugnisse erhalten: Marschall Petain nach der Gründung der Nazi-Kollaborationsregierung in Vichy 1940 und General Charles de Gaulle während des „Putschs der Generäle“ auf dem Höhepunkt der Krise der französischen Herrschaft in Algerien.

Dass die französische Regierung auf Methoden zurückgreift, die mit einer solchen Geschichte behaftet sind, zeigt, dass die sozialen Spannungen in Frankreich und ganz Europa ein gefährlich hohes Niveau erreichen. Der europäische Kapitalismus diskreditiert sich durch seine brutale Austeritätspolitik, das rasante Anwachsen sozialer Ungleichheit und immer umfangreichere Kriege von der Ukraine über den Nahen Osten bis nach Mali. Während die Bevölkerung immer weiter in Armut stürzt und immer unzufriedener wird, hat er ihr keine Zukunft zu bieten.

Das Vorgehen des französischen Staates richtet sich vorgeblich gegen den IS. Der eigentliche Grund für die Errichtung eines autoritären Regimes, wie Hollande es betreibt, ist jedoch die Unterdrückung der Arbeiterklasse, der großen Mehrheit der Bevölkerung.

Der ehemalige Präsident Nicolas Sarkozy hat bereits gefordert, 11.500 Personen, über die Geheimdienstdossiers existieren, unter Hausarrest zu stellen und ihnen elektronische Fußfesseln anzulegen, bis die Behörden entschieden haben, ob sie gefährlich sind. Laurent Wauquiez, einer seiner wichtigsten Unterstützer, forderte den Bau von Internierungszentren.

Diese Entwicklungen müssen als politische Warnung verstanden werden. Die mehrheitlich zustimmende Reaktion der Medien auf Hollandes Rede und die kriegerischen Äußerungen der bürgerlichen Oppositionsparteien zeigen, dass undemokratische Maßnahmen großen Rückhalt in der herrschenden Klasse finden. Nur in der Arbeiterklasse genießt die Demokratie wirklichen gesellschaftlichen Rückhalt. Ihre Verteidigung erfordert die Mobilisierung der Arbeiterklasse in einem unabhängigen Kampf auf der Grundlage eines sozialistischen Programms.

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