Nach den Terroranschlägen in Paris rücken die deutschen Medien deutlich nach rechts. Hatten am Sonntag noch die konservativen Blätter F.A.Z. und Welt für Krieg und Staatsaufrüstung geworben, folgten ihnen Anfang der Woche auch die liberalere Süddeutsche Zeitung und Die Zeit.
Der Ruf nach robusten Militäreinsätzen, dem Einsatz bewaffneter Drohnen und der Aufrüstung lokaler Milizen, der bisher als anrüchig galt, hält nun auch in den deutschen Mainstream-Medien Einzug. Der Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst, die in letzter Zeit vor allem durch ihre Verstrickung in die Neonazi-Szene, unkontrolliertes Abhören und Lügen gegenüber dem Parlament in die Schlagzeilen geraten waren, sollen gestärkt und aufgerüstet werden. Eine Kriegs- und Law-and-order-Rhetorik, wie man sie von den amerikanischen Neocons und ihren deutschen Anhängern kennt, breitet sich jetzt auch in eher liberalen deutschen Zeitungen aus.
Tomas Avenarius bringt diesen Kurswechsel in einem Leitkommentar der Süddeutschen Zeitung vom Dienstag auf den Punkt. Unter dem Titel „Auch mit Militär“ fordert er, der Islamische Staat (IS) müsse „im Nahen Osten militärisch bekämpft und, wenn möglich, zerstört werden“.
Der langjährige Nahostkorrespondent der SZ besteht darauf, dass die im Grundgesetz verankerte politische Kontrolle über die Armee (das Prinzip der Parlamentsarmee) ausgehebelt wird und die Militärs selbst bestimmen, in welcher Form sie eingreifen. „Ob und wie die Bundeswehr sich beteiligen kann, müssen die Uniformierten den Politikern sagen“, schreibt er. Das Militärische sei ein Handwerk, das man denen überlassen sollte, die es gelernt haben.
Die Aufgabe gewählter Abgeordneter und Regierungsmitglieder sieht Avenarius darin, für „gesellschaftliche Rückendeckung für den Teil des Kampfes gegen den IS“ zu sorgen, „den nur Soldaten führen können“.
Avenarius hält Luftangriffe für wenig wirksam und, nach den Erfahrungen in Afghanistan und Irak, den massiven Einmarsch westlicher Truppen nicht für geeignet, den IS zu zerstören. Daher plädiert er in klassischer Kolonialkriegsmanier dafür, örtliche Kräfte zu bewaffnen und zu „kaufen“.
„Westliche Soldaten – ja, auch deutsche – können die irakische Armee und die Kurden-Kämpfer mehr und besser ausbilden, beraten, bewaffnen, vielleicht sogar an die Front begleiten“, schreibt er. Es gelte, „neben Luftangriffen und der Unterstützung einheimischer Truppen andere, eher nahöstliche Methoden zu nutzen: Sunnitische Stämme im Irak lassen sich kaufen, Milizen für den Kampf gegen den IS aufbauen und bewaffnen.“
Auch den vermehrten Einsatz von Killerdrohnen und Mordkommandos befürwortet Avenarius. „Der Einsatz bewaffneter Drohnen sollte nicht ausschließlich als extralegale Exekution begriffen werden. Ein Drohnenangriff auf den Jeep, in dem der Kalif fährt, gefährdet weniger Menschen als der Einmarsch mit Truppen und Panzern. Und das Ende Osama bin Ladens hat gezeigt, dass Terrorfürsten manchmal sogar mit riskanten Kommandoaktionen erreicht werden können.“
Schließlich plädiert er dafür, Polizei und Geheimdienst auszubauen und mit größeren Vollmachten zu versehen: „In Europa bedarf es eines weitaus stärkeren polizeilich-geheimdienstlichen Einsatzes, als es sich unsere Wohlfühlgesellschaften eingestehen wollen.“
Carsten Luther argumentiert auf Zeit online ähnlich wie Avenarius in der SZ, tritt aber im Gegensatz zu diesem auch für den massiven Einsatz von Bodentruppen ein. „Vergeltung ist das eine, die Terrormiliz zu besiegen, etwas ganz anderes – selbst wenn man es nur militärisch betrachtet“, schreibt er.
Die französischen Luftangriffe auf das syrische Rakka, das Zentrum des IS, hält er für ineffektiv. „Aus der Luft einfach alles dem Erdboden gleich zu machen, kann nicht die Lösung sein, will man nicht auf einen Schlag Abertausende neue Fanatiker erschaffen. Rakka und andere Städte zurückzuerobern, wird deshalb nicht ohne Bodentruppen möglich sein, Zehntausende in jedem Fall, wie amerikanische Militärexperten vorrechnen.“
Vor allem aber besteht Luther darauf, dass das vorrangige Ziel einer westlichen Militärintervention der Sturz des Regimes von Baschar al-Assad sein müsse. „Erst wenn das syrische Regime aufhört, Krieg gegen die eigene Bevölkerung zu führen, und es eine politische Perspektive für alle daran interessierten Kräfte gibt, hat auch der Kampf gegen den ‚Islamischen Staat’ eine echte Chance.“ Er will also an der Politik festhalten, die Syrien in die jetzige Katastrophe gestürzt hat.
Diese Begeisterung für Krieg und einen starken Staat ist keine spontane Reaktion auf die Terroranschläge in Paris. So brutal und schrecklich diese waren, kamen sie keineswegs überraschend. Nachdem die USA und ihre europäischen Verbündeten im Nahen und Mittleren Osten seit 15 Jahren ununterbrochen Krieg geführt und ganze Gesellschaften zerstört haben, hatten sie Experten seit langem vorausgesagt.
Nach allem, was man innerhalb kurzer Zeit über die Täter und den mutmaßlichen Drahtzieher Abdelhamid Abaaoud weiß, ist es zudem kaum glaubwürdig, dass die Geheimdienste vorher nichts wussten. Letzterer befand sich seit langem im Fadenkreuz der Sicherheitskräfte und wird mit mehreren früheren Anschlägen in Verbindung gebracht.
Der Meinungsumschwung unter Journalisten und anderen Vertretern der Mittelklasse, die früher Staatsaufrüstung und Militarismus noch skeptisch gegenüberstanden, ist auf tiefere soziale Ursachen zurückzuführen. Sie verfügen über ein feines Sensorium für gesellschaftliche Veränderungen – besonders wenn es um ihre eigenen Privilegien und ihren Lebensstil geht.
Ihre jetzige Entwicklung erinnert an die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als führende Vertreter des Kultur- und Geisteslebens zunehmend für den Militarismus schwärmten und sich in einen richtigen Begeisterungstaumel stürzten, als der Krieg schließlich begann. Sie reagierten damals wie heute auf die Zuspitzung nationaler Spannungen und auf die Verschärfung des Klassenkampfs.