Vor dem Hintergrund hektischer diplomatischer Aktivitäten in Syrien signalisiert die Obama-Regierung die Absicht, ihre Militäraktion in der Region auszuweiten.
Am Freitag endete ein Treffen zwischen US-Außenminister John Kerry und den Außenministern von Russland, Saudi-Arabien und der Türkei über den Bürgerkrieg in Syrien ohne Ergebnis. Am gleichen Tag erklärte US-Verteidigungsminister Ashton Carter vor der Presse, es werde weitere US-Kampfeinsätze wie den vom Vortag geben, bei dem zum ersten Mal seit 2011 wieder ein amerikanischer Soldat im Irak getötet worden war.
Am 22. Oktober unterstützten amerikanische Spezialkräfte kurdische Peschmerga-Kämpfer beim Angriff auf eine Einrichtung des Islamischen Staates (IS) nahe Kirkuk im Nordirak. Das Ziel der, laut Angaben des Pentagon, erfolgreichen Operation war es, 70 Gefangene zu befreien, die vom IS festgehalten wurden. Dabei wurde der US-Soldat Joshua Wheeler getötet. Der Angriff war der erste öffentlich bekannte gewordene amerikanische Kampfeinsatz seit Beginn des neuen Krieges im Irak im Juni letzten Jahres.
Die Militäroperation und Wheelers Tod haben die zahlreichen Behauptungen von Präsident Barack Obama widerlegt, die derzeitige US-Intervention im Irak beinhalte keine direkten Kampfeinsätze von US-Truppen. Carter stellte den Vorfall in Kirkuk jedoch nicht etwa als Abweichen von der Norm dar, sondern verteidigte die Operation bedingungslos und nahm sie zum Anlass, die Absicht des US-Militärs zu bekräftigen, seine Operationen im Irak zu verschärfen.
Carter erklärte auf der Pressekonferenz am Freitag: „Es wird weitere Kommandoaktionen geben.“ Er bestätigte Meldungen, laut denen er selbst den Überfall angeordnet hatte und fügte hinzu, amerikanische Truppen „werden in Gefahr geraten, das steht außer Frage.“ Er erklärte weiter, die USA seien „entschlossen, unsere Unterstützung [gegen Anti-IS-Kräfte im Irak] auszuweiten“.
Auch ein Sprecher des Weißen Hauses verteidigte die Aktion und erklärte, sie decke sich „mit unserer Mission, die irakischen Streitkräfte auszubilden, zu beraten und zu unterstützen.“
Carters Verteidigung des amerikanischen Kampfeinsatzes deckt sich mit anderen Entwicklungen, die auf eine Verschärfung des amerikanischen militärischen Engagements im Irak weit über die derzeitigen Luftangriffe gegen IS-Kräfte hindeuten. Der Vorsitzende des Generalstabs, General Joe Dunford, erklärte letzte Woche nach einem Besuch im Irak, es sei Zeit, die Militäroperationen dort auszuweiten.
Letzten Monat hatte Carter Generalleutnant Sean MacFarland von der US Army zum Oberbefehlshaber für die Operationen im Irak und in Syrien ernannt. Zuvor waren drei Offiziere für verschiedene Aspekte der Militäraktion in den beiden Ländern verantwortlich.
Letzte Woche veröffentlichte die New York Times einen Bericht über Syrien, der auf Enthüllungen von hochrangigen Vertretern der Obama-Regierung basierte. Darin wurde deutlich, dass sich u.a. Außenminister John Kerry für Flugverbotszonen einsetzt, die vorgeblich dem Schutz der Zivilbevölkerung dienen sollen. Laut der Times lehnen Verteidigungsminister Carter und das Pentagon dieses Vorgehen ab und warnen, dieser Schritt würde ein großes Kontingent von US-Truppen erfordern und könnte zu einem direkten Konflikt mit russischen Kampfflugzeugen führen, die schwere Luftangriffe auf regierungsfeindliche „Rebellen“ im Norden und Westen des Landes fliegen.
Die Schritte der USA zur Verschärfung ihrer Militärintervention im Irak und in Syrien sind hauptsächlich von Sorgen wegen des zunehmenden Einflusses Russlands in beiden Ländern und dem ganzen Nahen Osten motiviert. Ende September hatte Moskau beschlossen, Luftangriffe auf islamistische Milizen zu beginnen, darunter Al Qaida-nahe Kräfte, die mit Unterstützung der CIA versuchen, Russlands einzigen arabischen Verbündeten im Nahen Osten zu stürzen: den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Russland war eingeschritten, um seine einzige Marinebasis außerhalb der Grenzen der ehemaligen Sowjetunion, den Hafen bei Tartus, sowie die Öl- und Gaspipelinerouten zu schützen. Letztere sind für die Oligarchen, die das Regime von Präsident Wladimir Putin repräsentiert, von größter Bedeutung.
Für die USA war der Krieg gegen den IS immer zweitrangig. Wichtiger war ihnen das Vorhaben, Assad zu stürzen und eine Marionette an die Spitze der syrischen Regierung zu setzen. Der amerikanische Imperialismus hält dies für einen zentralen Punkt in seinen Plänen, die Hegemonie über den ölreichen Nahen Osten zu sichern.
Die militärischen Aggressionen der USA im Nahen Osten, die seit fast fünfundzwanzig Jahren andauern, haben sich zu einem Debakel entwickelt. Das afghanische Marionettenregime wird von den Taliban bedrängt; Obama musste deshalb sein Versprechen zurücknehmen, bis Ende des Jahres alle US-Truppen abzuziehen. Libyen ist auseinandergebrochen, nachdem die USA einen Krieg geführt hatten, der mit dem Sturz und der Ermordung von Muammar Gaddafi endete. Washington hat es bisher nicht geschafft, Assad zu stürzen; und die Regierung, die sie im Irak an die Macht gebracht hat, stellt sich immer offener an die Seite des Iran und Russlands.
Der irakische Botschafter in den USA, Lukman Faily, erklärte gegenüber CNN, die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad begrüße Russlands Versuche „unseren Kampf gegen den IS zu unterstützen.“ Der bekannte irakische Schiitenführer Hakim al-Zamili erklärte Anfang des Monats gegenüber Reuters: „Ich glaube, der Irak wird in den nächsten Tagen oder Wochen gezwungen sein, Russland um Luftunterstützung zu bitten, und das hängt von seinem Erfolg in Syrien ab.“
Er fügte hinzu: „Wir wollen, dass Russland eine größere Rolle im Irak spielt. Ja, sogar eine größere Rolle als die Amerikaner.“
Russland gab am Freitag außerdem bekannt, es habe sich mit Jordanien, einem wichtigen Verbündeten der USA, geeinigt, ihre Militäroperationen in Syrien zu koordinieren.
Am gleichen Tag gab das Weiße Haus offiziell den Rücktritt von General John R. Allen bekannt, der von Obama letztes Jahr zum wichtigsten Mann im Krieg gegen den IS ernannt worden war. Der pensionierte Marines-Offizier und ehemalige Kommandant der amerikanischen Koalition in Afghanistan wird Mitte November zurücktreten. Sein Nachfolger wird Brett McGurk werden. Die New York Times wies in ihrer Berichterstattung über die Ankündigung nebenbei darauf hin, dass zwischen dem Pentagon und dem Außenministerium Unstimmigkeiten über das amerikanische Vorgehen in Syrien herrschen.
Die bereits bestehenden Streitigkeiten im amerikanischen Staat und dem außenpolitischen Establishment haben sich durch die russische Militärintervention in Syrien deutlich verschärft. Die Republikaner im Kongress, alle Republikanischen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2016, pensionierte Militärs und Geheimdienstler und ein Teil der Demokratischen Parteiführung haben das Vorgehen der Obama-Regierung als ungenügend aggressiv verurteilt und eine deutliche Eskalation gegenüber Assad und Russland gefordert. Die meisten fordern die Einrichtung von Flugverbotszonen in Syrien, einige auch eine deutliche Ausweitung der amerikanischen Militärpräsenz in der Region.
Zu diesen Kritikern gehören auch der ehemalige US-Oberbefehlshaber im Irak und ehemalige CIA-Direktor David Petraeus und die Redaktionsleitungen von Zeitungen wie dem Wall Street Journal und der Washington Post, außerdem die derzeitige Spitzenkandidatin für die Demokratische Präsidentschaftskandidatur und ehemalige Außenministerin Hillary Clinton. Sie fordert die Schaffung von so genannten „Schutzzonen“ in Syrien.
Auf der anderen Seite haben wichtige politische Persönlichkeiten die Regierung vor kurzem über die Medien aufgerufen, ihre Forderung nach Assads Absetzung fallenzulassen und eine Einigung mit ihm und dem russischen Präsidenten Putin anzustreben. Zu dieser Gruppe gehört der ehemalige Präsident Jimmy Carter, der in einer Kolumne in der New York Times einen „Fünf-Nationen-Plan“ zur Beendigung des syrischen Bürgerkrieges vorschlug. Gemäß diesem Plan wären sowohl Russland als auch der Iran an einem Übergangsprozess beteiligt, der Assad entmachten und einen gemeinsam ausgewählten Nachfolger an die Macht bringen sollte.
Henry Kissinger veröffentlichte Anfang des Monats einen ähnlichen Kommentar mit dem Titel „Eine Alternative zum Zusammenbruch des Nahen Ostens“. Darin fordert er eine Einigung mit Russland und Assad.
Das Treffen der Außenminister der USA, Russlands, Saudi-Arabiens und der Türkei in Wien endete ohne eine Einigung in der wichtigsten Frage: der Zukunft von Assad. Washington und Riad beharren weiterhin auf ihrer Forderung nach Assads Rücktritt als Vorbedingung für eine Einigung; Moskau schließt ihn zwar nicht aus, weigert sich jedoch, ihn zur Vorbedingung zu erklären.
Dennoch beschrieben Kerry und der russische Außenminister Sergej Lawrow die Diskussionen als positiv und einigten sich auf ein weiteres Treffen mit weiteren Teilnehmern, das noch diese Woche stattfinden soll. Russland, der Irak und die Europäische Union beharren darauf, dass auch der Iran eingeladen wird, Kerry hat dies jedoch bisher ausgeschlossen.
Es gibt auch Anzeichen dafür, dass Moskau zunehmend Druck auf Assad ausübt, früher oder später zurückzutreten. Letzte Woche wurde Assad zu intensiven Diskussionen nach Moskau bestellt. Seither setzen sich Lawrow und andere russische Regierungsvertreter für vorgezogene Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Syrien bereits im nächsten Jahr ein.
Trotz aller diplomatischen Manöver ist der amerikanische Imperialismus jedoch nicht bereit hinzunehmen, von seiner Vormachtstellung im Nahen Osten verdrängt zu werden. Washingtons militaristische und verbrecherische Politik hat eine Katastrophe über die Völker der Region gebracht, hunderttausende, wenn nicht Millionen, das Leben gekostet und viele weitere Millionen zu Flüchtlingen gemacht, ohne dass es die räuberischen Ziele seiner Kriege erreicht hätte.
Die Lügen, die als Vorwände für die Kriege dienten: der angebliche Krieg gegen den Terrorismus, die Gefahr durch Massenvernichtungswaffen, Menschenrechte, Demokratie, wurden allesamt vollständig als solche entlarvt und diskreditiert. Heute ist Washington in seinem Krieg mit dem Ziel eines Regimewechsel offen mit der al Nusra-Front verbündet, dem syrischen Al Qaida-Ableger, den das Außenministerium selbst als ausländische Terrororganisation einstuft.
Wenn der amerikanischen herrschenden Klasse freie Hand gelassen wird, wird sie auf die Verschärfung ihrer Krise im Nahen Osten unweigerlich mit einer Verschärfung der militärischen Gewalt und der Subversion reagieren und damit die Gefahr eines Krieges mit der Atommacht Russland erhöhen. Umso dringender ist daher eine internationale Bewegung der Arbeiterklasse gegen imperialistischen Krieg und seine Ursache, das kapitalistische System.