Der Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in den Vereinigten Staaten, der am Dienstag begann, findet unter Bedingungen statt, die durch einen globalen Wirtschaftszusammenbruch, eine wirtschaftliche Wachstumsschwäche in China und immer schärfere geopolitische Spannungen mit Washington geprägt sind.
Die Financial Times fasste die Stimmung in Washington mit den Worten zusammen, dass hinter dem üblichen Pomp und Gloria eines Staatsbesuchs „Xi ein Amerika vorfindet, das sich bemüht, sowohl in wirtschaftlichen Fragen, wie auch in Sicherheitsfragen auf Konfrontationskurs mit China zu gehen. Vom Pentagon bis zum Justizministerium hat die Obama-Regierung härtere Schritte gegen China vorbereitet, um gegen den Cyberdiebstahl von Handelsgeheimnissen und gegen das Vorgehen Chinas im Südchinesischen Meer vorzugehen.“
Während die Obama-Regierung auf diese Weise gegen Chinas angeblichen „Cyberdiebstahl“ polemisierte, versuchte sie gleichzeitig, die massive weltweite NSA-Spionage herunterzuspielen. Präsident Obama hob letzte Woche in einer Rede die Cyberspionage als „eins der zentralen Themen hervor, die ich mit Präsident Xi diskutieren werde“. Er verurteilte den Diebstahl von Wirtschaftsgeheimnissen als „einen Akt der Aggression, der aufhören muss“ und warnte vor „Gegenmaßnahmen der USA, um dies ins Blickfeld zu rücken“.
Im Vorfeld von Xis Besuch übten die USA auch Druck auf China aus, um Zugeständnisse bei den chinesischen Landgewinnungsprojekten im Südchinesischen Meer zu erreichen. Das Centre for Strategic and International Studies (CSIS), ein Beratergremium in Washington, das eng mit Obamas „Pivot to Asia“ gegen China verbunden ist, veröffentlichte Fotos, die angeblich zeigen, dass China neue Landebahnen baut und trotz seiner Ankündigung vom letzten Monat seine Landansprüche weiter ausdehnt.
In einer wichtigen Rede zum Thema „China“ wiederholte die Nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice viele der Kritikpunkte Washingtons, und forderte mehr „Menschenrechte“ und Zugeständnisse bei der Cyberspionage und im Südchinesischen Meer. Rice behauptete zwar, in Fragen territorialer Ansprüche in der Region neutral zu sein, forderte aber alle „Seiten mit Ansprüchen auf, allseitig die Landgewinnung einzustellen und den Bau neuer Anlagen und die Militarisierung von isolierten Außenposten in umstrittenen Gebieten zu stoppen“. Die gesamte Kritik der USA richtete sich allerdings gegen China, und nicht gegen andere Länder „mit Ansprüchen“ wie die Philippinen und Vietnam, die von Washington unterstützt werden.
Rice ließ das übergreifende Ziel der USA durchscheinen, als sie erklärte: „Viele unserer Bedenken haben eine gemeinsame Ursache. Schritte, die das internationale System unterhöhlen, oder die Regel-basierte Ordnung und die universellen Rechte Stück für Stück wegbrechen lassen, oder die einem Land einen unfairen Vorteil einräumen, sind zum Nachteil aller.“ In Wirklichkeit ist es genau umgekehrt: Die amerikanische Regierung, die auf die „Regel-basierte Ordnung“ seit dem Zweiten Weltkrieg pocht, in der die USA als dominante Macht festgeschrieben sind und die Regeln festlegen, verfolgt mit ihrem „Pivot“ das Ziel, ihre eigenen Vorteile in Asien zu sichern. Dabei beansprucht sie für sich das Recht, diese „Regeln“ notfalls mit militärischer Gewalt durchzusetzen.
Präsident Xi versuchte, der Kritik der USA die Spitze zu brechen, noch ehe er am Freitag mit Obama in Washington zusammentraf. Daher seine Entscheidung, seinen Staatsbesuch in Seattle zu beginnen, wo er mehrere Treffen mit amerikanischen Vorstandsvorsitzenden und Politikern wie dem Ex-Außenminister Henry Kissinger abhielt. Der chinesische Präsident, der von hohen Staatsvertretern und Wirtschaftsführern begleitet wird, spielt die gleiche Karte aus wie schon in anderen Ländern. Er versucht, vor allem in Wirtschaftskreisen Unterstützung zu gewinnen und mit der Aussicht auf profitable Investitionen und Märkte in China zu punkten.
Die Wahl von Washington ist kein Zufall. Dieser Bundesstaat exportiert Waren für mehr als fünfzehn Milliarden Dollar im Jahr nach China. Das sind knapp 25 Prozent aller seiner Exporte. Xi hielt seine einzige öffentliche Rede während seines Besuchs am Dienstagabend auf einem Willkommens-Bankett vor mehreren aktuellen und ehemaligen Gouverneuren, Vorstandsvorsitzenden und anderen Wirtschaftsführern. Zugegen war auch die Handelsministerin Penny Pritzker, die die Obama-Regierung vertrat.
Es war kein Zufall, dass Xi offiziell von Kissinger eingeführt wurde, der in der Vergangenheit schon die Sorge geäußert hatte, Obamas konfrontative Haltung beschwöre einen Krieg mit China herauf. Kissinger lobte die Ziele von Xis chinesischem Traum, die wirtschaftliche Prosperität Chinas noch weiter zu stärken, und betonte die Notwendigkeit, die Beziehungen Washingtons zu Beijing nach dem Win-Win-Prinzip zu gestalten.
In seiner Rede versprach Xi, Beijings marktwirtschaftliche Reformen fortzusetzen und das Land weiter für ausländische Investitionen zu öffnen. „Wenn es um weitgehende Reformen geht, dann werden nur die Mutigen gewinnen“, erklärte er und griff Punkte auf, die er in einem Exklusivinterview mit dem Wall Street Journal im Vorfeld seines Besuchs erläutert hatte. Dabei geht es um einen weiteren Schub Privatisierungen von Staatsunternehmen und um die Liberalisierung des Finanzsektors, was transnationalen Konzernen neue Möglichkeiten eröffnet.
Xi versuchte auch, Sorgen der amerikanischen Wirtschaft zu beschwichtigen, hervorgerufen durch die Abschwächung des chinesischen Wirtschaftswachstums und die Krise an den Börsen. Er erklärte, die Regierung habe die Lage beruhigt und ein „Systemrisiko vermieden“. Er stritt auch ab, dass die Anti-Korruptionskampagne in China nur Bestandteil eines internen Machtkampfes sei. Die Tatsache, dass mehrere Opfer der Kampagne prominente Rivalen Xis sind, nährte einen solchen Verdacht.
Xi bot die Einrichtung eines gemeinsamen, „hochrangig angesiedelten Dialog-Mechanismus“ an, um die Cyberkriminalität gemeinsam mit den USA zu bekämpfen. „Die chinesische Regierung wird sich in keiner Weise an wirtschaftlichem Diebstahl beteiligen. Das Hacken von Regierungsnetzwerken ist ein Verbrechen, das nach den Gesetzes des jeweiligen Landes und nach internationalen Verträgen bestraft werden muss“, sagte er.
Der chinesische Präsident bemühte sich auch, Washington zu beruhigen, dass China den „friedlichen Pfad der Entwicklung“ beibehalten werde. China werde keine Einflusssphäre einrichten und „niemals ein Deutschland werden“. Das war eine Anspielung auf Bemerkungen des japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe, der China mit dem „Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg“ verglichen hatte.
Xi traf sich am Mittwoch auf Einladung des ehemaligen US-Finanzministers Hank Poulson auch vertraulich mit weiteren amerikanischen Wirtschaftsführern von Microsoft, Apple, Amazon, und Cisco Systems. Er erklärte, dass Chinas Hightech Industrie mit seinen 600 Millionen Internetnutzern und 1,2 Milliarden Handybesitzern Geschäftsmöglichkeiten für amerikanische Firmen böte.
Wie um diesen Punkt zu unterstreichen hatte Xi am Mittwoch auch das Boeing-Werk Everett im Bundesstaat Washington besucht. Zur Begrüßung des chinesischen Präsidenten verkündete der Vorstandsvorsitzende von Boeing, Dennis Muilenburg, ein 38 Milliarden Dollar schweres Geschäft zum Kauf von 300 Flugzeugen und gab den Bau eines Flugzeugmontagewerks in China bekannt.
Xi wurde in Seattle recht freundlich begrüßt, doch bei seinen Gesprächen mit Obama im Weißen Haus musste er sich auf schärfere Wortwechsel gefasst machen. Sicherheitsberaterin Rice erklärte in ihren Bemerkungen zu China am Montag: „Die wirklichen Knackpunkte können wir nicht übertünchen, und wir werden unsere Meinungsunterschiede weiterhin offen ansprechen.“