Die Politik der herrschenden Klasse und die Marktturbulenzen

Die amerikanische Notenbank Federal Reserve wird nächste Woche entscheiden, ob sie zum ersten Mal seit Beginn der weltweiten Finanzkrise im September 2008 die Zinssätze erhöhen wird. Im Vorfeld des Treffens ist ein erbitterter Streit über diese Frage ausgebrochen.

Die Fed-Vorsitzende Janet Yellen befürwortet eine Erhöhung der Zinssätze noch im Laufe des Jahres. Obwohl sie deutlich gemacht hat, dass die erste Erhöhung nur gering ausfallen werde, und dass weitere Erhöhungen nur schrittweise erfolgen werden, fordern große Teile der Finanzmärkte, den Leitzins weiterhin bei knapp über Null zu halten.

Auf alle Anzeichen, dass die Fed zu handeln beginnt, reagieren sie reflexartig mit umfangreichen Aktienverkäufen an der Wall Street, die auf den Märkten drastische Schwankungen verursachen.

Typisch für dieses Verhalten waren die Ereignisse am vergangenen Mittwoch. Der Börsentag an der Wall Street begann mit Kursgewinnen, nachdem der japanische Markt mit 7,7 Prozent den höchsten Anstieg seit Oktober 2008 verzeichnete. Dann wurde jedoch bekannt, dass eine wichtige Studie über den Arbeitsmarkt, der von Yellen angeblich intensiv beobachtet wird, ergeben hat, dass die Gesamtzahl der offenen Stellen von 5,32 Millionen im Juni auf 5,75 Millionen im Juli gestiegen ist. Diese Nachricht führte zu einer umfangreichen Verkaufswelle. Im Verlauf des Tages sank der Aktienindex um 411 Punkte und endete mit einem Minus von 239 Punkten. Der Grund dafür war die Annahme, der Bericht über den Arbeitsmarkt vergrößere die Wahrscheinlichkeit einer Zinserhöhung.

Die wilde Achterbahnfahrt der Aktienmärkten ist ein Ergebnis einer toxischen Mischung aus Gier und Furcht, welche die Finanzmärkte antreibt. Die Ursache dieser Stimmung ist die suchtartige Abhängigkeit der Märkte von extrem billigem Geld, das die Grundlage der Spekulationsprofite und hemmungslosen Bereicherung bildet.

Die mächtigen Finanzinvestoren treibt ganz einfach die Entschlossenheit an, nichts zuzulassen, was ihre spekulativen Aktivitäten in irgendeiner Weise einschränkt. Doch diese hemmungslose Gier und die Überzeugung, dass die Fed und andere Regulierungsbehörden zu nichts anderem da sind, als ihnen zu Diensten zu sein, ist nicht der einzige Faktor in der gegenwärtigen Krise der Märkte.

Ein weiterer Faktor ist die Befürchtung, dass die Finanzmärkte und das System des Weltkapitalismus insgesamt so stark von billigem Geld abhängig geworden sind, dass jede Verringerung von dessen Verfügbarkeit und jeder Schritt zur Rückkehr zu normaleren finanzpolitischen Verhältnissen, egal wie klein er sein mag, das ganze System wie ein Kartenhaus zum Einsturz bringen könnte.

Diese Position wurde von zwei der weltweit wichtigsten Wirtschaftsinstitute geäußert, der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds, sowie von mehreren Finanzkommentatoren. Ein Kommentator auf CNBC erklärte vor kurzem, wenn die Märkte wegen einer möglichen Zinserhöhung von 0,25 Prozent so besorgt sind, seien die Probleme der Weltwirtschaft noch ernster als man bisher allgemein gedacht hat.

Der Chefökonom der Weltbank, Kaushik Basu, erklärte am Mittwoch in der Financial Times, die Fed riskiere „Panik und Chaos,“ wenn sie nächste Woche beschließe, den Leitzins zu erhöhen. Stattdessen solle sie warten, bis sich die Weltwirtschaft stabilisiert hat.

Über die Auswirkungen der chinesischen Abwertung des Yuan am 11. August und ihre Folgen erklärte Basu: „Die Weltwirtschaft macht einen so beunruhigten Eindruck, dass ich glaube, es wird sich sehr negativ auf andere Länder auswirken, wenn die USA jetzt voreilig handeln.“

Er erklärte, das globale Wachstum von 2,8 Prozent, das die Weltbank erst im Juni prognostiziert hatte, sei nun aufgrund des Abschwungs bei Wirtschaftsmächten wie China und Brasilien sowie in den großen Industrienationen gefährdet, und „insgesamt steht uns eine Phase langsamen Wachstums bevor.“

„All das zusammen, und was in den letzten zwei Wochen mit den chinesischen Märkten passiert ist, führt zu der Annahme, dass die Lage schlimmer ist als noch im Juni“, erklärte er weiter.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat sich bereits gegen eine Zinserhöhung ausgesprochen. Seine Direktorin Christine Lagarde erklärte im Juni, eine Erhöhung solle auf nächstes Jahr verschoben werden. Eine der größten Befürchtungen des IWF ist, dass eine Zinserhöhung eine Kapitalflucht aus den Schwellenmärkten auslösen könnte, die mittlerweile stark von in Dollarkrediten abhängig sind.

Die Finanzmärkte sind mittlerweile so instabil, dass die Positionen des IWF und der Weltbank selbst schwere Turbulenzen auslösen könnten, wenn die Fed tatsächlich beschließt, die Zinsen zu erhöhen. Die unterschiedlichen Ansichten würden an sich schon als Grund zur Beunruhigung angesehen und eine Verkaufswelle auslösen.

Andererseits betrachten einige Zentralbanker aus den Schwellenmärkten die Unsicherheit über das weitere Vorgehen der Fed ebenfalls als beträchtliche Quelle von Instabilität und meinen, es sollte eine Erhöhung bekanntgegeben werden. Der höchste stellvertretende Gouverneur der indonesischen Zentralbank, Mirza Adityaswara, äußerte diese Ansicht. Die indonesische Währung gehört zu denjenigen, die am stärksten von den globalen Unruhen betroffen ist. Sie ist auf Tiefstände gesunken, die sie seit der Asienkrise 1997-98 nicht mehr erreicht hat.

Er brachte auch eine etwas pointiertere Kritik hervor, die für Zentralbanken ungewöhnlich ist: „Wir glauben, die amerikanischen Entscheidungsträger wissen nicht, was sie machen sollen. Die Situation hat das Chaos verursacht.“

Die Fed solle eine Entscheidung treffen und danach den Märkten klarmachen, dass sie den Leitzins ein- oder zweimal erhöhen und danach aufhören werde.

Der Gouverneur der peruanischen Zentralbank, Julio Velarde, schloss sich dieser Ansicht an und erklärte, die meisten Schwellenmärkte wollten, dass die Fed die Zinsen so schnell wie möglich erhöht. „Die Unsicherheit, wann die Fed die Zinsen erhöht, verursacht mehr Schäden als es die Erhöhung selbst tun würde.“

Einige Wirtschaftskommentatoren warnten jedoch, dass eine Zinserhöhung angesichts der unterschwelligen Empfindlichkeit der Weltwirtschaft momentan zu gefährlich ist. Der Wirtschaftskommentator der Financial Times, Martin Wolf, erklärte, eine notwendige Bedingung für eine Erhöhung sei das Vertrauen darauf, dass sie nicht in der unmittelbaren Zukunft zurückgenommen werden müsse. „Allerdings ist es momentan unmöglich, darauf zu vertrauen“, schrieb er am Mittwoch.

Der ehemalige US-Finanzminister Lawrence Summers warnte in der gleichen Zeitung, die „Schulökonomie,“ wie er es nannte „unterschätzt die derzeitigen Risiken.“ Er verwies auf die Auswirkungen des russischen Staatsbankrotts von 1998, der Asienkrise von 1997-98 und die amerikanischen Subprime-Hypotheken und erklärte, die Geschichte habe gezeigt, dass „finanzielle Verknüpfungen überall vorhanden sind und erst sichtbar werden, wenn es zu spät ist.“

Er wies auf eine Reihe von Risiken hin, darunter eine mögliche Kapitalflucht aus China, die größer sein könnte als die „jeder anderen Wirtschaftsmacht der Geschichte,“ ein sinkendes Produktivitätswachstum in den USA, verschlechterte Liquiditätsbedingungen in mehreren Märkten und die wachsende Bedeutung von “positive feedback” Handelsstrategien, bei denen Investoren verkaufen, wenn die Preise fallen.

Er fuhr fort, wenn „ein Teil dieser Befürchtungen berechtigt ist, und die Fed sich für eine Erhöhung entscheidet, riskiert sie einen katastrophalen Fehler.“

Die amerikanische Wirtschaft gilt zwar als „Lichtblick“ der Weltwirtschaft, allerdings könnten hier auch einige der größten Risiken konzentriert sein.

Während sich die Investitionen in die Realwirtschaft noch immer nicht auf das Niveau erholt haben, auf dem sie vor der Finanzkrise lagen, macht die Wirtschaft Profite, indem sie sich Geld zu extrem niedrigen Zinsen leiht und damit Fusionen, Firmenaufkäufe und Aktienrückkäufe finanziert. Leveraging - der Einsatz von Schulden - ermöglicht hohe Renditen, solange die Zinssätze nicht steigen. Doch schon eine geringe Erhöhung könnte den ganzen Prozess ins Gegenteil umkehren.

Laut einem Bericht in der Financial Times von letzter Woche drohe der amerikanischen „Schuldenorgie“ ein „Wendepunkt.“ Die Zeitung erklärte, Energiekonzerne, die billige Finanzierung in Anspruch genommen hätten, aber jetzt mit den Folgen sinkender Preise konfrontiert seien, könnten gezwungen sein, Insolvenz anzumelden. Der Stratege Eric Gross von Barclays wies darauf hin, dass das Problem für Energiekonzerne mit niedriger Wertung nicht sei, ob sie sieben oder neun Prozent Zinsen zahlen müssten, sondern „ob sie überhaupt Kapital erhalten.“

Auch die Pharma- und Gesundheitsindustrie, in der eine ganze Reihe von Abschlüssen durch Kredite finanziert wurden, könnte unter höheren Zinssätzen leiden.

Laut Zahlen der Bank of America Merill Lynch liegt die Schuldenlast hoch bewerteter amerikanischer Unternehmen insgesamt auf dem höchsten Stand seit 2002, und selbst wenn man die Teile der Wirtschaft außen vor lässt, die unter sinkenden Rohstoffpreisen leiden, ist die Verschuldung heute auf dem Niveau, auf dem sie 2008 lag.

Diese Entwicklungen machen deutlich, dass sieben Jahre nach der Pleite von Lehman Brothers keine der Maßnahmen, die Regierungen und Zentralbanken zur Bewältigung der Krise eingeleitet haben, der Weltwirtschaft irgendeine Form von Stabilität gebracht haben. Stattdessen führten sie dazu, dass sich die Finanzoligarchie auf Kosten der Bevölkerung hemmungslos bereichert und gleichzeitig haben sie die Bedingungen für eine Finanzpanik geschaffen, die noch katastrophalere Formen annehmen könnte, als 2008.

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