Libor-Manipulation: BaFin erhebt schwere Vorwürfe gegen Deutsche Bank

Zum 30. Juni trat der bisherige Co-Vorsitzende der Deutschen Bank, Anshu Jain, überraschend zurück. Angeblich freiwillig. Inzwischen wird klar, dass Jain wegen seiner Verwicklung in die kriminelle Manipulation der Libor-Zinssätze gehen musste, die im Sommer 2012 aufgedeckt worden war.

Das legt ein Bericht nahe, den die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in der vergangenen Woche veröffentlicht hat. Das Wall Street Journal hat ihn inzwischen veröffentlicht. Der Bericht erhebt schwere Vorwürfe gegen vier der acht amtierenden Vorstandsmitglieder der Deutschen Bank sowie gegen zwei weitere Top-Manager des größten deutschen Kreditinstituts, darunter Anshu Jain.

Vorgeworfen wird ihnen, die Machenschaften der Deutschen Bank bei der Manipulation der Libor-Zinssätze zumindest gekannt und gedeckt zu haben. Die betreffenden Banker seien zunächst ihren Kontrollpflichten nicht ausreichend nachgekommen. Als der Skandal schließlich aufgearbeitet werden sollte, hätten sie die zuständigen Aufsichtsbehörden nur unvollständig und zum Teil unzutreffend informiert.

Jain hatte im Juni 2012 gemeinsam mit Jürgen Fitschen die Nachfolge Joseph Ackermanns an der Spitze der Deutschen Bank angetreten. Fitschen hat ebenfalls seinen Rücktritt angekündigt, will aber bis zur nächsten Aktionärsversammlung im Mai 2016 noch im Amt bleiben.

Bei einer turbulenten Aktionärsversammlung im Mai dieses Jahres war bereits heftige Kritik an Jain aufgekommen. Nur 61 Prozent der Aktionäre stimmten für die Entlastung des Vorstands. Zur Last gelegt wurde ihm unter anderem die Rekordstrafe von 2,5 Milliarden Dollar, die die Deutsche Bank wegen ihrer Rolle im Libor-Skandal im April an britische und amerikanische Aufsichtsbehörden hatte zahlen müssen.

Bereits als Jain 2012 an die Spitze der Deutschen Bank trat, gab es Vorwürfe, er habe bei der Manipulation des Libor eine entscheidende Rolle gespielt. Der Aufsichtsrat drückte aus Profitgier beide Augen zu und berief ihn trotzdem. Jain hatte der Deutschen Bank als Leiter des Investmentbankings in London, für das er seit 1995 arbeitete, Milliardenprofite beschert. Im Jahr 2005 erwirtschaftete seine Abteilung die Hälfte des weltweiten Gesamtgewinns der Bank. Im ersten Quartal 2010 steuerte sie sogar 6,6 Milliarden Euro zu den Nettoeinkünften der Bank von 9 Milliarden Euro bei.

Wie sich nun herausstellt, war dieser Geldsegen das Ergebnis krimineller Machenschaften. Jains Abteilung war direkt in die Manipulation des Libor-Zinssatzes verstrickt. Um die Tragweite der Vorwürfe zu verstehen, muss man einen Blick auf die Bedeutung des Libor-Zinssatzes und das Ausmaß der Manipulation werfen.

Der Libor (London Inter-Bank Offered Rate) ist ein Referenzzinssatz im Interbankengeschäft, der täglich neu bestimmt wird. Grob gesagt legt er fest, zu welchem Zinssatz sich Banken gegenseitig Geld leihen. Um den Libor zu ermitteln, geben bis zu 16 Banken einen Wert, zu dem sie sich Geld von anderen Banken leihen könnten, an eine zentrale Stelle in London weiter, die dann aus dem Durchschnitt dieser Werte den täglichen Libor-Zinssatz errechnet.

Ein Großteil der weltweiten Finanzmarktgeschäfte ist direkt oder indirekt an den Libor gekoppelt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung ging im Jahr 2012 davon aus, dass von der Entwicklung des Libor Wertpapiere und Kredite im Umfang von mehr als 500 Billionen Dollar abhängen.

Hierzu zählen beispielsweise Sparprodukte von Banken mit kurzfristigen Laufzeiten und flexiblen Zinssätzen. Auch viele Städte und Kommunen haben ihre Investitionen vertraglich an die Entwicklung des Libor gebunden. Sogar einige Zentralbanken regeln ihre Geldpolitik abhängig vom Libor.

Im Sommer 2012 war aufgedeckt worden, dass mehrere Banken – darunter auch die Deutsche Bank – geheime Absprachen zur Manipulation des Libor getroffen hatten. Sie hatten zur Ermittlung des Libor falsche Angaben über ihre internen Zinsen gemacht und konnten dank der Absprachen die Geldpolitik ihrer Banken auf den zu erwartenden Libor-Zinssatz einstellen.

Für die betroffenen Geschäftspartner hatte dieser Betrug verheerende Folgen. Wurde der Zinssatz künstlich in die Höhe getrieben, traf es vor allem Hypothekenbesitzer und private Kreditnehmer. Das Wall Street Journal errechnete 2012 anhand eines Fallbeispiels, dass die Erhöhung des Libor um nur 0,3 % bei einer Hypothek über 500.000 Dollar dazu führt, dass die Rückzahlungsraten um 100 Dollar pro Monat ansteigen.

Im umgekehrten Fall, wenn der Libor künstlich niedrig gehalten wurde, ging dies massiv zu Lasten von Kommunen und anderen Institutionen, die ihre Anteile auf den Markt gebracht hatten. Mehrere Städte und Gemeinden in Deutschland und ganz Europa sind finanziell schwer angeschlagen, weil ihre Geschäfte von den Zinsmanipulationen betroffen waren.

Ein Aktienhändler verglich die Manipulation des Libor kurz nach Bekanntwerden des Skandals gegenüber dem Wall Street Journal mit der Vergiftung des öffentlichen Trinkwassers.

Der Bericht der BaFin wirft Jain zwar nicht vor, seine Händler direkt zur Manipulation angewiesen zu haben. Jain habe jedoch eine Umgebung geschaffen, die ein solches Handeln zumindest begünstigt habe. Außerdem wird er verdächtigt, weit früher von den Manipulationen gewusst zu haben, als er dies bisher zugab.

So habe er 2005 den Handelssaal der Deutschen Bank in London umbauen lassen. Künftig saßen die Händler, die einen Großteil der Gewinne der Bank erzielen, direkt neben den so genannten „Submittern“, die täglich die Werte für die Ermittlung des Libor nach außen tragen. Das habe, so der BaFin-Bericht, die Interessenkonflikte „verstärkt“. Tatsächlich seien nach der Änderung der Sitzordnung die Profite der Abteilung sprunghaft angestiegen.

Jain wird in diesem Zusammenhang vorgeworfen, er habe trotz massiver Profite keine Untersuchungen über mögliche Manipulationen eingeleitet. Im Gegenteil: der BaFin-Bericht beschreibt die interne E-Mail-Kommunikation der Bank, aus der hervorgehe, wie Jain sich für besonders hohe Boni für die profitabelsten Trader eingesetzt habe. So soll er einem Bericht des Stern zufolge dafür gesorgt haben, dass dem Händler Christian Bittar 2008 für seinen Handelsgewinn aus Zinsgeschäften von 500 Millionen Euro ein Bonus von 80 Millionen Euro zugesagt wurde. Bittar wurde drei Jahre später wegen der Zinsmanipulation entlassen.

Erst nach Bekanntwerden der ersten Gerüchte über eine mögliche Manipulation des Libor habe Jain im Jahr 2009 eine interne Untersuchung eingeleitet. Deren Ergebnisse habe er jedoch zunächst unter Verschluss gehalten und sie auch nicht dem Vorstand präsentiert.

Gegenüber der Bundesbank muss Jain demnach gelogen haben. Bei einer Anhörung zum Libor-Skandal im Jahr 2012 hatte er dem BaFin-Bericht zufolge behauptet, erstmals im Vorjahr davon gehört zu haben. Tatsächlich habe er aber von einem engen Vertrauten innerhalb der Bank bereits im Frühjahr 2008 zwei Mails erhalten, in denen von Manipulationen am Libor die Rede gewesen sein soll. Kurz zuvor war darüber auch ein Bericht im Wall Street Journal erschienen.

Die Deutsche Bank hatte bislang nur zugegeben, dass einzelne Mitarbeiter an den Manipulationen beteiligt gewesen seien. Etwa ein Dutzend Trader hatte die Bank im Jahr 2012 entlassen, nachdem der Skandal aufgeflogen war. Einige weitere hätten „Sanktionen zu spüren bekommen“, berichtet die F.A.Z..

Bis vor wenigen Tagen hatte die Deutsche Bank noch behauptet, keines der heutigen und der damaligen Vorstandsmitglieder habe Mitarbeiter zur Manipulation des Libor angewiesen. Bis zum Juni 2011 sei diesem Personenkreis auch nichts über Manipulationen des Libor bekannt gewesen.

Neben Jain erhebt die BaFin auch Vorwürfe gegen die noch amtierenden Vorstandsmitglieder Stefan Krause, Stephan Leithner, Stuart Lewis und Henry Ritchotte. Auch Chefjustiziar Richard Walker gehört zu den Beschuldigten.

Ihm und Risikovorstand Lewis wird vorgeworfen, nicht ausreichend mit den Aufklärungsbehörden kooperiert und irreführende Angaben gemacht zu haben. Henry Ritchotte wird als IT-Vorstand beschuldigt, die Computersysteme der Bank hätten den Betrug erst ermöglicht. Finanzvorstand Krause habe trotz enormer Profitsteigerungen bei internen Untersuchungen nicht genau hingesehen.

Rechtsvorstand Stephan Leithner wird im BaFin-Bericht vorgeworfen, er habe in einer internen Mail im Jahr 2013 dazu gemahnt, gegenüber der Presse nicht zu thematisieren, dass man tatsächlich schon fünf Jahre zuvor innerhalb der Bank über die Libor-Manipulationen gesprochen habe. Ansonsten käme naturgemäß die Frage auf, „warum niemand bei der Deutschen Bank damals reagiert hat“.

Bis heute ist kein einziger führender Banker für seine Beteiligung am Libor-Skandal zivil- oder strafrechtlich belangt worden. Jain, der öffentlich den Eindruck erweckt hatte, er verzichte auf die sonst übliche Abfindung, soll einem Bericht von SpiegelOnline zufolge einen zumindest einstelligen Millionenbetrag als Abfindung und in den kommenden Jahren weitere 22 Millionen Euro aus Pensionsleistungen und verschobenen Vergütungsansprüchen erhalten.

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