Die Flut verzweifelter Menschen, die vor den Gemetzeln und Kriegen in Nordafrika und im Nahen Osten fliehen, schwillt weiter an. Am Mittwoch letzter Woche wurden über 900 Migranten von Nordafrika nach Europa aus drei überfüllten Booten gerettet.
Fast alle kamen mit dem Leben davon, aber in diesem Jahr fanden schon 2000 Flüchtlinge einen grausamen Tod, als sie das Mittelmeer überqueren wollten. Während der vergangenen 18 Monate sind schätzungsweise 5000 Migranten umgekommen. Allein am 19. April ertranken fast 900 Männer, Frauen und Kinder vor der Küste der italienischen Insel Lampedusa.
Daraufhin vergossen die Vertreter der imperialistischen Mächte Krokodilstränen. Eine zynische Kulisse, hinter der die militaristische und kolonialistische Strategie entwickelt wurde, die jetzt umgesetzt wird.
Unter dem Vorwand der „Lösung des Flüchtlingsproblems“ und der Unterbindung des Menschenhandels bereitet sich die Europäische Union jetzt auf die Unterjochung und Ausplünderung ehemaliger Kolonien vor.
Am 18. Mai beschloss die EU die Operation EUNAVFOR Med (European Union Naval Force Mediterranean Sea) Unter dem Vorwand der unerbittlichen Bekämpfung der Schlepperbanden werden von Kampfflugzeugen unterstützte Marinekräfte im Mittelmeer und in libyschen Gewässern eingesetzt. Dieser Plan kann nur als Beginn einer erneuten Intervention in Libyen und im übrigen Nordafrika verstanden werden – und als Ausweitung der derzeitigen Einsätze in Syrien und dem Irak.
Das Aufgabenprofil der Mission umfasst auch die Zerstörung der Boote der „Schlepper“. Diese können sogar in libyschen und internationalen Gewässern abgefangen, beschlagnahmt oder zerstört werden. Zu einem derartigen militärischen Vorgehen müsste der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen seine Zustimmung geben.
Der tatsächliche Auftrag von EUNAVFOR geht viel weiter als das offiziell angegebene Ziel, die Schlepperboote ausfindig zu machen und aus dem Verkehr zu ziehen. Der Guardian berichtete über ein 19-seitiges Strategiepapier über die Mission, das von der zusätzlichen Notwendigkeit eines Einsatzes von Bodentruppen ausgeht.
In dem Dokument heißt es: „Wenn eine Übereinkunft mit den zuständigen Behörden erreicht würde, könnte eine Landung ins Auge gefasst werden.“ Und weiter: „Der Einsatz würde ein breites Spektrum an Luft-, See- und Landstreitkräften erfordern. Diese könnten auch Geheimdienst-, Überwachungs- und Aufklärungsmannschaften mit sich führen, ebenso Einheiten, um Leute an Bord zu nehmen und Patrouillen (in der Luft und zu Wasser), Amphibienausrüstung, Luft-, Land- und maritime Zerstörer (sic!), einschließlich Sondereinheiten.“
In dem Papier wird auch auf die mögliche „Präsenz und Aufgaben auf libyschem Territorium“ hingewiesen. Bodeneinsätze könnten „Aktionen entlang der Küste, in Häfen oder an Ankerplätzen gegen die Einrichtungen der Schlepper und deren Schiffe sein, noch bevor diese benutzt werden.“
Das könnte viele Menschenleben kosten, was in dem Strategiepapier auch zugegeben wird: „Sind Migranten an Bord, gibt es beim Entern eines Schlepperschiffes ein hohes Risiko für Kollateralschäden, auch Todesopfer“, heißt es.
Das dem Guardian zugespielte Papier entlarvt die Lüge der EU-Beauftragten für Außen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini, die behauptete: „Keineswegs planen wir irgendeine militärische Intervention in Libyen.“
Bis zu 10 EU-Länder, darunter Italien, Großbritannien, Frankreich und Spanien, beteiligen sich aus freien Stücken an der Unternehmung. Alle diese Länder lehnen die Aufnahme von auch nur einigen Tausend Flüchtlingen ab. Sie sind sich jedoch in einer Haltung einig, die faktisch der Planung eines Krieges entspricht.
Entsprechende Einsätze wären durch Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen sanktioniert. In den vergangenen Jahren wurden die Militärinterventionen in Afghanistan, in der Demokratischen Republik Kongo, in Sierra Leone, Ruanda, Somalia, Haiti, im Irak und auch in Libyen durch Kapitel VII genehmigt.
Zusätzlich kann sich die EU auf Artikel 5 der Nato-Charta berufen. Nach diesem erhält bei einem Angriff auf ein Mitglied oder dessen Streitkräfte, das gesamte Bündnis ein Einsatzmandat. Ein solcher, höchstwahrscheinlich zu erwartender Angriff könnte den imperialistischen Mächten einen adäquaten Kriegsgrund liefern.
In dem Papier wird auch vor der Bedrohung der Streitkräfte der EU durch „Milizen und Terroristen“ gewarnt: „Das Vorhandensein schwerer Militärausrüstung (auch Artillerie-Batterien an der Küste) und militärisch bewaffneter Milizen stellen eine ernsthafte Bedrohung für die Schiffe der EU und die in ihrer Nähe operierenden Luftstreitkräfte dar.“
Die EU-Mächte nutzen die von ihnen verschuldete Tragödie des Bürgerkriegs in Libyen aus, um eine neue Militärintervention vorzubereiten.
Berichten zufolge soll die Operation am 25. Juni vom EU-Gipfel in Rom grünes Licht bekommen. Im Vorfeld hat Mogherini erreicht, dass sie vom Sicherheitsrat der UN unterstützt wird. Auch die Nato hat ihre Hilfe angeboten, falls sie dazu aufgefordert wird.
Diese anvisierte schmutzige imperialistische Aktion ist so zynisch wie kriminell. Die Tatsache, dass Millionen Flüchtlinge in Nordafrika und dem Nahen Osten ihre Heimat verloren haben und in ihrer Verzweiflung einem Blutbad zu entkommen versuchen, ist Folge jahrzehntelanger imperialistischer Kriege und Komplotte in dieser Region.
Die imperialistischen Mächte weisen jegliche Verantwortung weit von sich. Der Beschluss der EU-Länder für den jetzt umgesetzten Rettungsplan war tatsächlich nur das Ergebnis der großen und weit verbreiteten Wut über ihre im Kern massenmörderische Politik.
Am Donnerstag berichtete Reuters über einen neu ins Spiel gebrachten Plan der EU-Kommission, nach dem gerade einmal 40.000 Asylsuchende, die Italien und Griechenland per Schiff erreichten, auf Kontinent verteilt werden sollten. Reuters nannte als wahrscheinlichsten Grund für die geringe Zahl, dass „die Zustimmung eher möglich wurde, nachdem einige EU-Staaten, insbesondere Frankreich, ursprünglich abgelehnt hatten, ihre Türen für Migranten zu öffnen.“
In der Woche zuvor hatte die EU noch bekannt gegeben, dass sie nur 20.000 Asylsuchende, die außerhalb der Union leben, aufnehmen würde. Allein in Libyen gibt es zwei Millionen Flüchtlinge – mehr als ein Viertel der Einwohner – die aus Tunesien fliehen mussten.
Die Ursache für Krieg und die Angriffe auf demokratische Rechte, auch auf das Recht auf Einwanderung, ist die globale Krise des Kapitalismus. Die Arbeiterklasse muss den Kampf gegen den Krieg und die mit ihm verbundenen Übel aufnehmen, denn sie ist die einzige Klasse, die kein Interesse am Fortbestand militarisierter Grenzen, an Internierungslagern für verzweifelte Flüchtlinge und an dem ganzen Unterdrückungsapparat hat, den der Nationalstaat hervorgebracht hat.
Die einzige Möglichkeit die Kriegstreiberei zu beenden ist der Sturz des kapitalistischen Systems. Dazu muss sich die Arbeiterklasse im auf der Grundlage einer internationalen sozialistischen Perspektive zusammenschließen. Eine Schlüsselfrage dabei ist der Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa als Teil einer sozialistischen Weltföderation. Das ist die Perspektive für die das Internationale Komitee der Vierten Internationale kämpft.