Seymour Hersh entlarvt offizielle Lügen über Bin Ladens Ermordung

Vor etwas mehr als vier Jahren, am 2. Mai 2011, wurde Osama bin Laden bei einer Kommandooperation von amerikanischen Spezialkräften getötet. Letzten Sonntag hat der Enthüllungsjournalist und Pulitzerpreisträger Seymour Hersh in der Literaturzeitschrift London Review of Books die offizielle Darstellung der US-Regierung entlarvt.

Hershs detailreicher Artikel macht einmal mehr deutlich, dass man nichts, was ein Regierungsvertreter öffentlich verlautbart, für bare Münze nehmen darf, und dass sich die Mainstreammedien zum Sprachrohr der offiziellen Lügen machen. Hersh erklärt, die Darstellung von Präsident Obama und seiner Regierung "könnte genauso gut von Lewis Carroll geschrieben worden sein“, dem Autor von Alice im Wunderland.

Als Erfindung entlarvt werden u.a. die Behauptung, das Folterprogramm der CIA habe zur Entdeckung von bin Ladens Versteck beigetragen; dass der Überfall ohne das Wissen der pakistanischen Regierung geschah; dass die Spezialeinheit ihn eigentlich lebend verhaften sollte und nur aus Notwehr erschossen hat; und dass bin Laden auf dem Flugzeugträger USS Carl Vinson eine Seebestattung nach islamischem Brauch erhalten hat.

Hersh schreibt, dass die Operation, die im Jahr 2011 zu bin Ladens Ermordung führte, im August 2010 begonnen habe, nachdem ein ehemaliger hochrangiger pakistanischer Geheimdienstler in der amerikanischen Botschaft in Islamabad aufgetaucht war und der CIA angeboten hatte, ihr bin Ladens Versteck zu verraten. Als Gegenleistung forderte er das Kopfgeld in Höhe von fünfundzwanzig Millionen Dollar, das die US-Regierung nach den Terroranschlägen am 11. September auf den Al Qaida-Führer ausgesetzt hatte.

NBC News räumte am Montag ein, sie habe unabhängig bestätigt, dass der pakistanische Geheimdienst im Jahr 2010 der CIA bin Ladens Aufenthaltsort genannt hatte – das ist die wohl wichtigste Behauptung in Hershs Bericht, die eindeutig die offizielle Story der Obama-Regierung widerlegt.

Der Aufenthaltsort des Al Qaida-Führers wurde nicht mithilfe des CIA-Folterprogramms entdeckt, wie es in dem Propagandafilm Zero Dark Thirty dargestellt wird. Diese Behauptung und der Film wurden benutzt, um in der Öffentlichkeit um Unterstützung für die illegalen Operationen der CIA zu werben und die konstruierte Darstellung der Morde durch die Obama-Regierung zu stützen.

Der ehemalige Geheimdienstler hatte der CIA verraten, dass bin Laden von 2001 bis 2006 mit mehreren seiner Frauen und Kinder unentdeckt im afghanischen Hindukusch gelebt hatte. 2006 hatte ein lokaler Stammesangehöriger dem pakistanischen Militärgeheimdienst Inter-Services Intelligence (ISI) gegen ein Bestechungsgeld seinen Aufenthaltsort verraten.

Bin Laden wurde in den Gebäudekomplex im pakistanischen Abbottabad gebracht und dort vom ISI gefangen gehalten. Das Anwesen lag weniger als vier Kilometer von der pakistanischen Militärakademie entfernt, und nur einen fünfzehnminütigen Hubschrauberflug von Tarbela Ghazi, einer Basis des ISI für verdeckte Operationen.

Dass sich bin Laden in einer Stadt aufhielt, in der das pakistanische Militär einen großen Stützpunkt unterhält, und in der es von Sicherheitsbeamten wimmelt, war immer schon das schwächste Glied in der offiziellen Version der US-Militäroperation, die zum Tod des Al Qaida-Chefs führte. Hershs Schilderung erklärt viel überzeugender, warum sich bin Laden in Abbottabad befand: die pakistanischen Behörden hatten ihn dort unter Hausarrest gestellt, während sie mit ihren amerikanischen Geldgebern über sein Schicksal diskutierten.

Wie ein ehemaliger amerikanischer Beamter Hersh erklärte, hat Saudi-Arabien bin Ladens Unterbringung in Abbottabad finanziert und war besorgt, dass er vom ISI gezwungen werden könnte, Details über die Unterstützung der saudischen Monarchie für Al Qaida mitzuteilen, wenn die amerikanische Regierung herausfinden sollte, dass er bin Laden gefangen hält. Die pakistanische Regierung hingegen befürchtete, dass die Saudis den USA Informationen über bin Ladens Aufenthaltsort geben und damit einen Konflikt mit den USA auslösen könnten. Diese Enthüllungen, nämlich dass bin Laden von zwei führenden Verbündeten der USA in dem angeblichen Kampf gegen Al Qaida untergebracht und mit Geld versorgt wurde, entlarvt den ganzen "Krieg gegen den Terror" als Betrug.

Tatsächlich hat Saudi-Arabien schon seit langem Beziehungen zu Al Qaida. Auch die Flugzeugentführer, die für die Anschläge vom 11. September verantwortlich waren, wurden von Elementen der saudischen Monarchie finanziert und unterstützt. Vermutlich wussten auch Teile des amerikanischen Staatsapparates davon.

Hershs Informant stellt eindeutig klar, dass die Obama-Regierung von Anfang an vorhatte, bin Laden zu töten, und dass alle beteiligten Parteien, Pakistan und Saudi-Arabien, diese Entscheidung enthusiastisch unterstützten; denn, wie das alte Sprichwort sagt: Tote reden nicht. Der Überfall auf bin Ladens Anwesen mit Erlaubnis des ISI war nichts anderes als ein Auftragsmord, angeordnet vom obersten Henker Obama. Der Informant hatte der CIA verraten, dass bin Ladens Gesundheitszustand schlecht sei, und dass er keinen Widerstand leisten würde.

Der pensionierte Beamte erklärte, die Operation gegen bin Laden sei "eindeutig und unbestreitbar ein vorsätzlicher Mord gewesen." Ein ehemaliger Kommandant der Spezialeinheit Navy SEALs erklärte Hersh: "Wir wollten bin Laden nicht am Leben lassen - der Terrorist sollte nicht weiterleben. Rechtlich gesehen wussten wir, dass wir in Pakistan einen Mord begehen würden. Das haben wir verinnerlicht. Wenn wir diese Missionen beginnen, sagt sich jeder von uns: 'Seien wir ehrlich. Wir werden einen Mord begehen’.”

Die Obama-Regierung hat seit bin Ladens Ermordung immer wieder erklärt, er sollte nur im äußersten Notfall getötet werden, das Hauptziel sei es gewesen, ihn lebend zu fangen.

Hersh schreibt, die amerikanischen Kommandos seien, ohne auf Widerstand zu treffen, in das Gebäude eingedrungen. Es gab kein Feuergefecht, wie Regierungsvertreter behauptet hatten. Die Spezialkräfte setzten Sprengladungen ein, um stählerne Sicherheitstüren aufzusprengen und arbeiteten sich methodisch in die Räume im dritten Stock vor, in denen sich bin Laden aufhielt. Der Al Qaida-Führer flüchtete in sein Schlafzimmer, dort wurde er von zwei der Navy-Seals mit Schnellfeuergewehren in Stücke geschossen. Die SEAL’s handelten nicht in Notwehr, der schwer kranke bin Laden griff nie nach einem AK-47-Sturmgewehr, und er versuchte auch nie, eine seiner Frauen als menschlichen Schutzschild zu benutzen.

Hersh schreibt, nach der Ermordung von bin Laden sei eine "sorgfältig konstruierte Geschichte" verbreitet worden, um zu verheimlichen, dass der pakistanische Staat den USA Informationen über seinen Aufenthaltsort zukommen ließ. Obama sollte eine Woche nach der Ermordung "erklären, dass die DNA-Analyse bestätigt, dass bin Laden bei einem Drohnenangriff im Hindukusch auf der afghanischen Seite der Grenze getötet wurde... Man ging davon aus, dass es zu gewaltsamen Protesten kommen würde, wenn bekannt würde, welche Rolle Pakistan dabei gespielt hatte."

Das Weiße Haus beschloss jedoch, bin Ladens Ermordung noch in der gleichen Nacht bekanntzugeben, zum Teil weil ein amerikanischer Hubschrauber in bin Ladens Anwesen gestürzt war, sodass sich die Operation nicht verbergen ließ. Die Bekanntgabe (Hersh bezeichnet sie als einen "Haufen von eigennützigen und falschen Angaben“) gab dem Weißen Haus außerdem die Möglichkeit, Unterstützung für die Ausweitung des Militarismus im Ausland und Angriffe auf demokratische Rechte in den USA zu generieren.

Auch die Behauptung, bin Ladens Leiche sei nach einem angemessenen islamischen Bestattungsritual von Bord der USS Carl Vinson ins Meer geworfen worden, wird als Lüge entlarvt. Vielmehr wurden die Überreste von bin Ladens durchsiebter Leiche - darunter sein Kopf, in dem, wie Hersh schreibt, "nur wenige Einschusslöcher" waren - kurzerhand in einen Leichensack gesteckt. Während des Helikopterfluges nach Jalalabad in Afghanistan wurden Teile der Leiche über dem Hindukusch abgeworfen.

Die Mainstreammedien kritisierten Hersh sofort, dass er sich auf anonyme Quellen berufe. Solche Kritik bedeutet allerdings wenig, wenn die gleichen Medien ständig anonyme Quellen aus Regierungs- und Geheimdienstkreisen zitieren, um die offizielle Linie im "Krieg gegen den Terror" zu forcieren und amerikanische Provokationen in der Ukraine und dem Südchinesischen Meer zu rechtfertigen. Für die Stenografen der Regierung und der Mainstreammedien ist Hershs größte Sünde, dass er anonyme Quellen benutzt, um die offizielle Darstellung infrage zu stellen, anstatt sie nachzuplappern.

Nach seiner bisherigen Bilanz zu urteilen, ist Hersh ein viel glaubwürdigerer Zeuge als die zahllosen millionenschweren Nachrichtensprecher und Experten, die sich als Verteidiger des amerikanischen Imperialismus verdingen. Er war der erste Journalist, der die Misshandlung von irakischen Gefangenen durch amerikanische Soldaten in Abu Ghraib enthüllte. 2013 und 2014 veröffentlichte er zwei vernichtende Enthüllungsarbeiten über die Behauptungen der USA, die syrische Regierung hätte Chemiewaffen eingesetzt. Sie zeigten, dass es viel wahrscheinlicher sei, dass die von den USA unterstützten "Rebellen" dafür verantwortlich waren.

Es ist keineswegs sicher, dass Hersh die letzte und ultimative Darstellung der Ereignisse abgeliefert hat, die zu bin Ladens Tod führten. Sie basiert zwar hauptsächlich auf den Schilderungen eines einzigen ehemaligen Geheimdienstlers und weiterer anonymer Geheimdienstler aus den USA und Pakistan, aber seine Darstellung ist viel robuster und glaubwürdiger, als die Propagandageschichte, die die Obama-Regierung und die Mainstreammedien verbreitet haben.

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