Die SPD hat in der Wahl zur Bürgerschaft in Bremen, so heißt die Landtagswahl im norddeutschen Stadtstaat, ihr schlechtestes Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg eingefahren. Nach der amtlichen Hochrechnung hat sie nur noch 32,9 Prozent der Stimmen erhalten (minus 5,7 Prozentpunkte). Wegen besonderer Wahlregelungen wird das amtliche Endergebnis erst am Mittwoch erwartet.
Berücksichtigt man die ebenfalls historisch tiefe Wahlbeteiligung, ist der Verlust der SPD noch größer. Nur die Hälfte war zu den Urnen gegangen, das ist das schlechteste Ergebnis nicht nur für Bremen, sondern für ganz Westdeutschland seit 1945. Die Wahlbeteiligung in der Stadt Bremerhaven lag am Sonntag sogar bei nur noch 40 Prozent – ein Minus von acht Punkten.
Die seit acht Jahren mitregierenden Grünen fuhren prozentual noch größere Verluste ein. Sie verloren 7,2 Prozentpunkte und kamen auf 15,3 Prozent der Wählerstimmen.
Nutznießer dieser Verluste sind die anderen Parteien. Insgesamt ziehen nun sieben Parteien in die Bürgerschaft ein. Die CDU erreichte trotz eines absoluten Rückgangs ihrer Stimmen aufgrund der niedrigen Wahlbeteiligung mit 22,6 Prozent ein Plus von gut zwei Prozentpunkten. Die Linkspartei erzielte gut 9 Prozent (ein Plus von 3,6). Die FDP zieht wieder und die „Alternative für Deutschland“ (AfD) erstmals in die Bremer Bürgerschaft ein. Die rechte Partei „Bürger in Wut“ holte in Bremerhaven wieder über 5 Prozent der Stimmen und erhält dadurch erneut einen Sitz in der Bürgerschaft.
Das Ergebnis der Bremer Bürgerschaftswahl ist nicht nur eine Abstrafung der regierenden Sozialdemokraten und Grünen. Es ist eine Absage an das gesamte politische Establishment. Ein Großteil der Bevölkerung stimmte sprichwörtlich mit den Füßen ab und blieb den Wahllokalen fern. Dabei gilt die Regel: Je ärmer der Stadtteil und ihre Bewohner, desto weniger gingen zur Wahl.
Die SPD hat am meisten Stimmen an die Nichtwähler verloren. Laut Umfragen von Infratest dimap gaben 46 Prozent der Nichtwähler an: „Ich bin bewusst nicht zur Wahl [gegangen], um meine Unzufriedenheit mit der Politik zu zeigen“. 58 Prozent erklärten: „Derzeit vertritt keine Partei meine Interessen“. Und mehr als zwei Drittel der Nichtwähler sagten, sie seien der Wahl fern geblieben, weil „Politiker doch nur ihre eigenen Interessen verfolgen“.
In Bremen, wo die SPD seit 1946 ununterbrochen den Regierungschef gestellt hat, ist die in ganz Deutschland ständig wachsende Kluft zwischen Arm und Reich mit Händen zu greifen.
In den reichen Stadtteilen konzentrieren sich die Millionäre. Bremen ist trotz des Werftensterbens immer noch einer der größten Industriestandorte Deutschlands. Neben dem zweitgrößten Hafen im Land haben Konzerne wie Daimler, Airbus und ArcelorMittal Werke in Bremen und Bremerhaven.
Gleichzeitig ist die Armut in keinem anderen Land so ausgeprägt wie in Bremen. Jeder vierte der mehr als 650.000 Einwohner des Stadtstaates ist arm. Betroffen sind vor allem Kinder. Etwa jedes dritte Kind ist arm, in Bremerhaven leben 38 Prozent aller Kinder in Hartz-IV-Familien. Ganze Stadtteile verelenden.
Der Ausnahmezustand in Bremen wegen angeblichem Terrorverdachts, den SPD-Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) vor zwei Monaten organisierte, war eine in diesem Zusammenhang zu sehende Bürgerkriegsübung. Sie richtete sich gegen die potenzielle Opposition in den Armutsvierteln.
Doch der Niedergang der SPD beschränkt sich nicht auf Bremen, er ist ein bundesweites Phänomen. Nachdem die Sozialdemokraten vor zehn Jahren unter Kanzler Gerhard Schröder die Hartz-Gesetze und die Rente mit 67 beschlossen haben, arbeiten sie nun in der Großen Koalition an der Weiterführung dieser Politik, wie etwa dem Angriff auf das Streikrecht durch das Tarifeinheitsgesetz.
Kosmetische Änderungen wie der Mindestlohn ändern nichts an der Tatsache, dass die SPD die Interessen der Banken und Konzerne vertritt. Hinzu kommt, dass sie mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier eine aggressive militärische Außenpolitik forciert. Der von ihr unterstützte Putsch in der Ukraine hat eine Entwicklung in Gang gesetzt, die die NATO an den Rand eines Kriegs mit der Atommacht Russland bringt.
Das gleiche gilt für die Grünen. Bis 2005 mit der SPD in der Bundesregierung, haben sie die SPD seither sowohl in sozialen Fragen wie in der militaristischen Rhetorik gegen Russland rechts überholt. Es ist kein Zufall, dass die Spitzenkandidatin der Bremer Grünen, Karoline Linnert, in der letzten Legislaturperiode den Posten der Finanzsenatorin innehatte.
Die Linke konnte zwar von den Verlusten der SPD und der Grünen leicht profitieren und einige Prozentpunkte gutmachen. Aber sie hat in den letzten Jahren in vielen Landesregierungen bewiesen, dass sie sich als Mehrheitsbeschafferin für Rot-Grün versteht. Die Bremer Landtagsfraktion hatte bereits 2009 dem Haushalt von SPD und Grünen zugestimmt. Auch in dieser Wahl war es ihr erklärtes Ziel, Rot-Grün als Mehrheitsbeschaffer zu dienen. Ihre weitgehendste Forderung war die Einstellung von 240 zusätzlichen Lehrern und Lehrerinnen.
Nur einen Tag nach der Bürgerschaftswahl kündigte der amtierende Bürgermeister und SPD-Spitzenkandidat Jens Böhrnsen überraschend an, er werde nicht erneut für das Amt des Regierungschefs zur Verfügung stehen.
Nach Böhrnsens Rückzug ist offen, welche Koalition Bremen zukünftig regiert. Böhrnsen hatte am Wahlabend noch angekündigt, er wolle die Koalition mit den Grünen fortsetzen, die nach ihren massiven Verlusten voraussichtlich nur noch eine hauchdünne Mehrheit von einem Sitz hat. Er kündigte seinen Rücktritt an, nachdem der SPD-Landesvorsitzende Dieter Reinken (SPD) eine mögliche Große Koalition mit der CDU ins Spiel gebracht hatte. Die CDU-Spitzenkandidatin Elisabeth Motschmann, geborene Baronesse von Düsterlohe, bot der SPD sofort eine Regierungsbeteiligung an.
Doch auch die wiederbelebte FDP könnte eine Rolle spielen. Weniger, weil sie mit einer parteilosen Jungunternehmerin aus reichem Hause, Lencke Steiner, wieder in der Bremer Bürgerschaft sitzt. Vielmehr spielen bundesweite Überlegungen Pate bei dem Gedanken an die so genannte Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP. Diese wäre „mutmaßlich das strategische Lieblingsspielzeug von [SPD-] Parteichef Sigmar Gabriel“, schreibt die Süddeutsche Zeitung.
Doch unabhängig davon, welche Koalition letztlich den Stadtstaat regiert, wird sich politisch wenig ändern. Alle Parteien der offiziellen Politik sind austauschbar, gleichen sich wie ein Ei dem anderen und können letztlich alle miteinander koalieren. Dafür tut sich eine immer breitere Kluft zwischen den offiziellen Parteien und der Masse der Bevölkerung auf, deren Opposition gegen soziale Angriffe, den Abbau von demokratischen Rechten und Krieg in den Wahlen keinen Ausdruck findet.
Diese Opposition wird sich andere Kanäle suchen. Der Aufbau der Partei für Soziale Gleichheit, die den kommenden Auseinandersetzungen eine fortschrittliche – internationale sozialistische – Richtung gibt, ist dringender denn je.