Der Tarifkampf der Lokführer und Zugbegleiter ist mit dem einwöchigen Streik in eine neue Phase eingetreten. Seit Montagnachmittag wird der Güterverkehr, seit Dienstag auch der Personenverkehr bundesweit bestreikt. Die GDL (Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer) will den Streik noch bis Sonntagmorgen fortsetzen.
Nachdem der Streik in den ersten beiden Tagen weitgehend befolgt wurde und große Teile des Güter- und Personenverkehrs zum Stillstand brachte, schlug Bahnchef Rüdiger Grube vor, den früheren Brandenburger Ministerpräsidenten Matthias Platzeck als Vermittler einzuschalten.
GDL-Chef Claus Weselsky wies dies am Dienstagmittag zurück. Auf einer Kundgebung in Köln sagte er: „Niemand sollte davon ausgehen, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt aufgrund eines PR-Gags des Vorstandsvorsitzenden die Streikaktionen beenden.“ Grube hatte zur Bedingung gemacht, dass die GDL den Streik sofort abbricht.
Vor dem Frankfurter Hauptbahnhof kommentierten am Mittwoch streikende Lokführer und Zugbegleiter, aber auch Reisende und Passanten die jüngste Streikentwicklung.
„Das soll wohl ein Witz sein, dass man uns als unabhängigen Vermittler jetzt den Platzeck vorschlägt, einen prominenten SPD-Politiker“, sagte ein junger Zugbegleiter, der von Grubes Angebot gehört hatte. „Wo die [SPD-Bundesarbeitsministerin Andrea] Nahles doch selbst das Tarifeinheitsgesetz durchsetzt, das uns mundtot machen soll.“
Damit sprach er den Gesetzentwurf zur Tarifeinheit an, den SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles gerade schnellstmöglich im Parlament durchsetzen will. Das Gesetz, das für jeden Betrieb nur noch einen Tarifvertrag vorsieht, zielt darauf ab, die Kontrolle der DGB-Gewerkschaften zu festigen und in eine regelrechte Zwangsjacke für die Beschäftigten zu verwandeln. Jeder von Arbeitern selbst organisierte Streik wäre dann von vorneherein illegal.
„Mit diesem Gesetz greifen sie das demokratische Streikrecht jedes Arbeiters an“, erklärte die Zugführerin Sabine S., die zum Bahnhof gekommen war, um ihre streikenden Kollegen zu unterstützen. Sie wies auf die deutsche Geschichte hin, erwähnte die Zerschlagung demokratischer Rechte durch die Hitler-Diktatur und später die Notstandsgesetze und sagte: „Alle Arbeiterrechte sind hier nur gegen den Widerstand von Wirtschaft und Politik erkämpft worden. Es müsste doch jedem klar sein, dass man die demokratischen Grundrechte verteidigen muss.“
„Ich hoffe wirklich sehr, dass die Lokführer durchsetzen, dass die GDL ihre Forderungen auch für das übrige Bahnpersonal erheben darf“, fuhr Sabine fort. „Von der andern Gewerkschaft, der EVG (der früheren Transnet), haben wir uns nicht vertreten gefühlt, die hat uns komplett im Stich gelassen.“
„Es geht hier um soziale Grundforderungen“, erklärte sie weiter, „um kürzere Arbeitszeiten und ein besseres Entgelt. Uns Zugbegleiterinnen kann man beispielhaft mit den Zimmermädchen in einem Hotel vergleichen, die im Akkord arbeiten. Wir reden hier von einer 54-Stundenwoche! Wir sind im gleichen Zug wie die Lokführer und haben oft dieselben Bedingungen. Auch wir brauchen mehr Zeit, um sie mit unsern Familien zuhause zu verbringen.
Die Mitglieder aller Gewerkschaften müssten sich eigentlich mit uns solidarisieren. Aber die großen Gewerkschaftsbosse unterstützen komplett dieses Tarifeinheitsgesetz, das unsere Rechte einschneidet. Da kann ich mich nur noch fragen: Wer hat die eigentlich gewählt? Die Mitglieder?“
Ihre Kollegin warf ein: „Die hat niemand gewählt. Die haben Bestandsrecht.“ Darauf kam sie auf das Beispiel von Norbert Hansen zu sprechen (der 2008 vom Vorsitz der Transnet direkt auf den Sessel des Personalchefs der Bahn AG wechselte und dafür Millionen kassierte): „Das sagt doch schon alles, wenn so ein Gewerkschaftschef wie Hansen auf einmal im Bahn-Vorstand sitzt!“
GDL-Lokführer Ingo Klett sagte: „Die Lokführer sind nur am stärksten in der Öffentlichkeit sichtbar. Aber auch die Erzieherinnen sind im Streik, die Postler, die Postbank-Beschäftigten, die Hebammen haben gestreikt, und viele andere Arbeiter müssen um ihre Rechte kämpfen. In Deutschland gibt es ein starkes soziales Ungleichgewicht, das ganze Land ist betroffen. Die Arbeiter sind gezwungen, auf die Straße zu gehen und für ihre Rechte zu kämpfen, weil sie nicht mehr über die Runden kommen.“
Zu der Frage der jüngsten Kriegsvorbereitungen sagte Ingo: „Sie sind bereits wieder mitten drin: den nächsten Krieg vorzubereiten. Das alles wird in den Medien bloß nicht so stark veröffentlicht, aber die Situation ist sehr beunruhigend. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir das Streikrecht verteidigen.“
Auch Michael, ein junger Lokführer, unterstützt den Streik und erklärte seine Bedeutung. „Uns geht es gar nicht in erster Linie ums Geld, sondern noch viel stärker um die Arbeitsbedingungen“, sagte er. Wichtige Forderungen seien weniger Arbeitszeit, Regelungen für Schichtfolgen und Ruhezeiten, eine klare Begrenzung von Überstunden.
„Wir sind immer weniger Leute im Betrieb, viele gehen weg und wenige kommen nach. Das macht es sehr schwer, hier mit Herzblut dabei zu sein. Ich muss um zwei Uhr früh aufstehen, um zur Arbeit zu kommen, und habe nur sehr wenig Freizeit: Wie kann man da ein soziales Leben führen? Wie soll man eine Familie planen? Es funktioniert nicht. Die Leute werden ausgelaugt, und die Gesundheit leidet.
Angeblich ist das alles nötig, um unter den krassen Wettbewerbsbedingungen zu bestehen. Aber die Chefs haben Dienstwagen und führen ein teures Luxusleben. Man kann’s kaum noch hören, die Boni und all die Bereicherung. Das Geld ist doch da, die Bahn macht Gewinne, und man könnte viel mehr Leute einstellen. Stattdessen muss immer mehr und mehr Profit erwirtschaftet werden.“
Michael erläuterte, dass sich die Tarifforderungen auch auf das übrige Bahnpersonal beziehen müssten, vor allem auf die Lokrangierführer und das gesamte Zugpersonal. Er sagte: „Die Lokrangierführer sind die Billiglokführer. Sie machen im Prinzip die doppelte Arbeit und kriegen weniger Geld dafür. Ich habe diese Arbeit selbst eine Zeitlang gemacht.“ Nach wie vor sei nicht geklärt, dass die GDL-Lokführer für diese Kollegen mitstreiken dürften.
„In letzter Zeit ist es viel schlimmer geworden“, sagte Michael. „Die Dienstpläne kommen immer kurzfristiger. Es ist ein Wechselspiel, es funktioniert nur noch über den Goodwill der Lokführer und der Diensteinteiler. Wir wissen ja, dass es Arbeiter gibt, die noch schlechter dran sind als wir, aber wenn wir klein beigeben, wird es für sie noch schlimmer.“
Währen der Gespräche vor dem Bahnhof blieben immer wieder Passanten und Reisende stehen und hörten zu. Einer sagte: „Ich unterstütze die Lokführer voll und ganz, hoffentlich halten sie durch: Die Bahn will sie in die Knie zwingen, und die Kosten werden sowieso wieder auf die Bürger umgelegt.
Die Menschen müssen die Augen aufmachen und mal sehen, was hier los ist. Die Medien schreiben schon lange nicht mehr objektiv und neutral. Das ist keine Pressefreiheit, wenn ich nur die Interessen einer Seite sehe. Die Gefahr besteht, dass dieses neue Gesetz durchkommt, nach dem nur noch die großen DGB-Gewerkschaften streiken dürfen. Wir leben ja bisher schon im Überwachungsstaat, da brauchen wir nicht auch noch ein Gesetz, das Streiks verbietet.“