Die Bundesregierung wird die umstrittene Vorratsdatenspeicherung in Deutschland einführen. Das verkündeten Justizminister Heiko Maas (SPD) und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) am Mittwoch.
Auf einer Pressekonferenz in Berlin stellte Maas die Leitlinien für einen Gesetzentwurf vor. Danach dürfen die „Verkehrsdaten, die bei der Telekommunikation anfallen,“ von den Telekommunikationsunternehmen bis zu zehn Wochen gespeichert und auf Anforderung an die „Strafverfolgungsbehörden“ weiter gegeben werden.
Gespeichert würden „insbesondere die Rufnummern der beteiligten Anschlüsse, Zeitpunkt und Dauer des Anrufs, bei Mobilfunk auch die Standortdaten, sowie IP-Adressen einschließlich Zeitpunkt und Dauer der Vergabe einer IP-Adresse“.
Die Vorratsdatenspeicherung ist, wie selbst bürgerliche Medien zugeben, „ein Schritt zur totalen Überwachung“ der Bevölkerung (Zeit Online). Bereits vor wenigen Wochen kommentierte das Blatt: „Vorratsdatenspeicherung heißt, dass die Informationen, wer wann wo mit jemandem gesprochen oder gemailt oder gesimst hat, gespeichert werden. Egal ob jemand verdächtig ist oder nicht, es soll monatelang nachvollziehbar bleiben, wer mit wem wie oft geredet hat.“
Dies hat weitreichende Konsequenzen: Mit den gespeicherten Daten können die Polizei und die Geheimdienste rückwirkend nachvollziehen, wer mit wem, wann, wo und wie lange kommuniziert hat und welche Websites die jeweilige Person besucht hat. Der Staat ist so in der Lage, ein vollständiges Bewegungsprofil eines jeden x-beliebigen Bürgers anzufertigen und seine gesellschaftlichen und politischen Aktivitäten zu überwachen.
De Maizière, der systematisch die innere Aufrüstung vorantreibt und seit langem aggressiv auf die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung gedrängt hat, bezeichnete die Leitlinien als „guten und klugen Kompromiss“. Maas, der sich bis vor kurzem noch als Kritiker der Vorratsdatenspeicherung gab, erklärte, dass es lediglich darum gehe, „schwerste Straftaten in Zukunft besser aufklären zu können“. Er versicherte, dass keine Bewegungsprofile erstellt und die „Freiheits- und Bürgerrechte“ gewahrt würden.
Das ist reine Augenwischerei. Maas‘ Leitlinien regeln lediglich die Speicherung, nicht aber den Zugriff auf die Daten. Dieser ist durch andere Gesetze wie etwa das Verfassungsschutzgesetz geregelt. Die Leitlinien erlauben den einzelnen Bundesländern explizit, ihre eigenen Zugriffsregeln festzulegen. Den Ländern wird ermöglicht, „in ihren Polizeigesetzen zu regeln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für bestimmte konkrete schwerste Gefahren vorliegen“, heißt es darin.
Nach Meinung ausgewiesener Experten hat sich außer der kürzeren Speicherzeit der Daten nichts an der Gesetzeswidrigkeit der Vorratsdatenspeicherung geändert. Das Gesetz dient nicht der Terrorismus- und Verbrechensbekämpfung, sondern der „totalen Überwachung“ der Bevölkerung. In einem Interview im Deutschlandfunk erklärte der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, dass auch beim neuen Gesetz der Vorwurf des „Generalverdachts“ berechtigt sei. Nach wie vor gehe „es um eine flächendeckende, nicht anlassbezogene Speicherung“.
Das Bundesverfassungsgericht hatte 2010 die damalige gesetzliche Verankerung der Vorratsdatenspeicherung für nichtig erklärt, weil Datenschutz, Datensicherheit, Transparenz und Zugriffsrechte nicht klar genug geregelt seien. Im vergangenen Jahr kippte der Europäische Gerichtshof eine EU-Richtlinie zu Vorratsdatenspeicherung mit der Begründung, sie verstoße gegen die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten.
Die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ist dabei nur ein Baustein einer massiven inneren Aufrüstung. Bereits Ende März verabschiedete die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf, der die Befugnisse der Sicherheitsbehörden massiv ausweitet und die Grundlage für einen zentralisierten Polizei- und Geheimdienstapparat schafft.
Eine Pressemitteilung des Innenministeriums nennt die „zentralen Ziele“ des Entwurfs. „Für eine bessere Zusammenarbeit innerhalb des Verfassungsschutzverbundes“ werde das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) „in seiner Zentralstellenfunktion gestärkt“. Das Bundesamt unterstützt „die Landesämter, koordiniert die Zusammenarbeit und tritt in bestimmten Fällen nötigenfalls auch selbst in die Beobachtung ein“.
Darüber hinaus gehe es um „die Verbesserung des Informationsflusses“ und den „Ausbau der Analysefähigkeit“. „Alle relevanten Informationen müssen zwischen den Verfassungsschutzbehörden ausgetauscht werden“, wobei „das gemeinsame Verbundsystem NADIS (Nachrichtendienstliches Informationssystem) zu nutzen“ sei, heißt es weiter.
NADIS ist ein nichtöffentliches automatisiertes Datenverbundsystem, an dem die Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern beteiligt sind. Wikipedia zufolge enthielt es im Jahr 2013 „personenbezogene Eintragungen“ von etwa 1,6 Millionen sogenannten „Zielpersonen“. Mit der Zusammenführung „der relevanten Informationen im NADIS“ sollen „länderübergreifende Beziehungen und Strukturen besser erkennbar“ und „Informationsinseln“ vermieden werden.
Hinter den juristischen Floskeln verbirgt sich die Schaffung eines zentralisierten Polizei- und Geheimdienstapparats, der den Anspruch erhebt, die Bevölkerung flächendeckend und lückenlos auszuspähen und die Daten zwischen den Sicherheitsbehörden auszutauschen.
So heißt es im Gesetzesentwurf: „Die föderale Organisation der einheitlichen Gesamtaufgabe Verfassungsschutz darf nicht mit einer Zersplitterung der Informationsbasis und archaischen Arbeitsmitteln einhergehen.“ Auch im „nicht-gewaltorientierten Beobachtungsbereich“ müsse „daher eine umfassende strukturierte Speicherung vorhandener Erkenntnisse zu Ereignissen und Personen die Grundlage dafür bilden, Informationen im Verbund analysefähig zusammenzuführen“. „Blinde Flecken für länderübergreifende Zusammenhänge“ würden „mit der Verbundlösung“ beseitigt.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Auch die verschiedenen Geheimdienste werden untereinander stärker vernetzt. So kann dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) „der automatisierte Abruf von Daten aus den beim Bundesamt für Verfassungsschutz ... geführten Dateien ermöglicht werden“. Gleichzeitig ist den Verfassungsschutzbehörden „der automatisierte Abruf von Daten“ aus der „zentralen Hinweisdatei“ des MAD erlaubt.
Der gesamte Text des über 70-seitigen Gesetzesentwurfs ist ein Angriff auf elementare rechtsstaatliche Grundsätze. Das im Grundgesetz verankerte Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten, das bereits in der Vergangenheit immer weiter aufgeweicht wurde, wird de facto aufgehoben.
Es war nach den Erfahrungen der Nazi-Diktatur ins Grundgesetz aufgenommen worden, um zu verhindern, dass erneut ein hochzentralisierter und allmächtiger staatlicher Repressionsapparat entsteht. In der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) der Nazis wurden schrittweise sämtliche Kompetenzen von Polizei und Geheimdiensten zusammengefasst, um die Bevölkerung zu terrorisieren.
In den Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik leben solche Traditionen fort. In den vergangenen Monaten kamen immer mehr Fakten ans Licht, die die enge Verstrickung der Geheimdienste und der Polizei mit der rechten Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) belegen. Mittlerweile ist bekannt, dass mindestens 25 V-Leute des Verfassungsschutzes im direkten Umfeld des NSU aktiv waren und dass rechtsextreme Organisationen wie der Thüringer Heimatschutz und der baden-württembergische Ableger des Ku-Klux-Klan vom Verfassungsschutz aufgebaut und finanziert wurden.
Dem Gesetzesentwurf zufolge dürfen die umstrittenen V-Leute nun in Zukunft ganz offiziell Straftaten begehen. De Maizière erklärte im Bundestag, dass aus seiner Sicht „erhebliche Straftaten“ von V-Leuten „gerechtfertigt“ seien, wenn damit ein „Anschlag“ verhindert werden könnte. Sein Prinzip – und das sagte er wörtlich – sei: „Je schwerer die Straftat ist, umso gewichtiger muss die denkbare Information sein.“ Das ist nichts anderes als der Aufruf zu staatlich sanktionierten Straftaten!
70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gehen die deutschen Eliten dazu über, alle Beschränkungen der Nachkriegszeit auch in der Innenpolitik rückgängig zu machen. Sie bereiten sich damit darauf vor, den wachsenden Widerstand gegen ihre unpopuläre Spar- und Kriegspolitik notfalls mit Gewalt zu unterdrücken.
Der Plan des Innenministeriums, eine schwer bewaffnete paramilitärische „Anti-Terror-Einheit“ der Bundespolizei zu schaffen, muss in diesem Zusammenhang gesehen werden. Gleichzeitig soll der Etat des Innenressorts bereits im nächsten Jahr um 6,7 Prozent auf 6,6 Milliarden Euro steigen. Damit werden Hunderte Millionen Euro zusätzlich direkt in die Ausstattung des Polizei- und geheimdienstlichen Überwachungs- und Unterdrückungsapparats fließen.