Medienberichte über die rechten Proteste vom vergangenen Sonntag in Brasilien schätzen die Zahl der Teilnehmer auf ein bis zwei Millionen Menschen. Die Teilnehmer forderten die Absetzung von Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT).
Diese Zahlen sind zwar, vermutlich aus politischen Gründen, übertrieben, aber die Proteste unterstreichen nichtsdestoweniger die scharfe Klassenpolarisierung in Brasilien und die politischen Gefahren für die brasilianische Arbeiterklasse.
Folha de S. Paulo, die auflagenstärkste Tageszeitung Brasiliens und keineswegs eine Gegnerin der rechten Politik der Demonstranten, nannte die Aktionen vom Sonntag „einen Protest des reichen und wohlsituierten Brasiliens“. Sie seien von der Sorge über die „ständige Kostensteigerung für Dienstleistungen wie Hausmeisterdienste und Parkplätze in dem kleinbürgerlichen Stadtteil Vila Madelena bis hin zu Privatschulen und Krankenversicherung“ getrieben. Es war auffällig, dass bei den Protesten keinerlei soziale Forderungen erhoben wurden.
Die Organisationen, die hinter der Demonstration standen, wie die Online-Plattformen „Freies Brasilien“ (Movimento Brasil Livre) und „Kommt auf die Straße“ (Vem Pra Rua), haben ideologische und finanzielle Verbindungen zu rechten Gruppen, die von den milliardenschweren Koch-Brüdern aus den USA und Brasiliens eigenen Milliardären finanziert werden.
Der Ursprung der Vem Pra Rua Web Site lässt sich bis zur Estudar-Stiftung zurückverfolgen, die von Jorge Paulo Lemann gegründet wurde, dem reichsten brasilianischen Kapitalisten. Lemanns PR-Agentur teilte der WSWS mit, die Identifizierung der Seite mit Lemann sei ein „Missverständnis“. Die Seite sei auf eigene Initiative von einem „einzelnen Angestellten geschaffen worden, der inzwischen nicht mehr für uns arbeitet“.
Sowohl die amerikanischen wie die brasilianischen Milliardäre, die die Proteste unterstützen, haben sich auf den um sich greifenden Bestechungsskandal bei Petrobras gestürzt. Eine nicht unbedeutende Motivation dabei ist die Hoffnung, dass sie sich durch die vollständige Privatisierung des staatlichen Ölkonzerns bereichern können.
Die Mobilisierung Hunderttausender Menschen unter den Bannern der antikommunistischen Rechten ist in der jüngeren Geschichte Brasiliens ohne Beispiel. Man muss mehr als 50 Jahre bis zum März 1964 zurückgehen, als Proteste unter der Parole „Märsche der Familie mit Gott für die Freiheit“ (Marchas da Família com Deus pela Liberdade) Hunderttausende Angehörige der Mittelschicht auf die Straße brachten. Diese Proteste waren Teil einer koordinierten Kampagne zur Vorbereitung eines von den USA unterstützten Militärputsches, der dann im folgenden Monat stattfand.
Die rechten Aufmärsche jener Periode dienten dem Sturz der bürgerlich-nationalistischen Regierung unter Präsident Joao Goulart, der versucht hatte, einige begrenzte Reformen zu verwirklichen, die von der herrschenden Oligarchie und ihren amerikanischen Schutzpatronen strikt abgelehnt wurden.
Die Proteste vom vergangenen Sonntag verfolgten das Ziel, die PT-Regierung zu stürzen, die zwar den finanzpolitischen Forderungen der Wall Street und des brasilianischen Kapital nachkommt, zugleich aber minimale Sozialprogramme wie Bolsa Familia aufrechterhalten hat, um die Unzufriedenheit der ärmsten Schichten des Landes zu neutralisieren. Doch die brasilianische Bourgeoisie und bestimmte Schichten der Mittelklasse, die ihr am nächsten stehen, sehen selbst diese geringfügigen sozialen Ausgaben als eine unerträgliche Beschneidung der Profite und des Wohlstands der Reichen.
An den Demonstrationen vom Sonntag nahmen an prominenter Stelle auch faschistische Elemente teil, die das Militär aufforderten, Rousseff zu stürzen. Ihre Plakate mit englischsprachigen Losungen richteten sich offensichtlich an die USA und forderten amerikanische Unterstützung für einen neuen Putsch.
Die brasilianische Militärdiktatur hatte sich in den 20 Jahren ihrer Macht durch brutale Unterdrückungsmaßnahmen, Morde und Folterungen völlig diskreditiert. Wenn heute rechte Kräfte wieder offen für einen Militärputsch agitieren können, dann aufgrund der reaktionären Rolle der PT und diverser pseudolinker Gruppen, die Illusionen in diese durchweg kapitalistische Partei schüren. Zusammen haben sie mehr als drei Jahrzehnte lang dafür gesorgt, jeden unabhängigen Kampf der brasilianischen Arbeiterklasse zu verhindern.
Die aktuelle politische Krise in Brasilien steht am Ende eines langen Prozesses, der mit der Gründung der PT 1980 unter der Führung ihres Vorsitzenden Luiz Inacio Lula da Silva, einem Führer der Metallarbeitergewerkschaft, begann.
Damals propagierten zahlreiche kleinbürgerliche Linke die PT als Partei für einen neuen “demokratischen, brasilianischen” Weg zum Sozialismus auf der Grundlage von nationalen Reformen und Gewerkschaftskämpfen. Verschiedene Gruppen, darunter auch revisionistische Tendenzen, die mit der Vierten Internationale gebrochen hatten, gaben ihr Bestes, um sich in die PT zu liquidieren. Sie proklamierten diesen Kurs als realistischen Ersatz für den Aufbau einer internationalen revolutionären Partei. Das pablistische Vereinigte Sekretariat behauptete sogar, dass „schon die Existenz der PT eine Dynamik schafft, die die Gefahr von Klassenzusammenarbeit deutlich vermindert.
In den folgenden Jahren erzielte die PT immer größere Wahlsiege und ging zugleich immer weiter nach rechts. Schließlich wurde Lula da Silva 2002 für zwölf Jahre brasilianischer Präsident. Die PT entpuppte sich als bevorzugtes Werkzeug der brasilianischen Bourgeoisie, das loyal die Diktate des IWF und des internationalen und brasilianischen Kapitals ausführte. Während ihrer Regierungszeit haben sich Lebensstil und Bankkonten der PT-Führer und ihrer Anhänger, darunter ehemalige radikale Studenten, Gewerkschafter und Guerillakämpfer, erheblich gewandelt. Mit korrupten Methoden rafften sie Vermögen in Millionenhöhe zusammen.
Den Höhepunkt erreichte diese Entwicklung im Petrobras-Skandal. Die Firma soll, so der Vorwurf, vier Milliarden Dollar Verluste erlitten haben, weil Aufträge an Privatfirmen zu stark überhöhten Preisen vergeben wurden. Diese Firmen wiederum sollen Bestechungsgelder in die Wahlkampfkasse und auf die privaten Konten der PT und ihrer politischen Verbündeten geleitet haben.
Unter den fast 60 beschuldigten Politikern befindet sich der ehemalige Finanzminister und Stabschef Rousseffs, der sein politisches Leben als Mitglied der OSI (International Socialist Organization) begann, der Schwesterorganisation der französischen OCI Pierre Lamberts. Am Montag wurde auch der Schatzmeister der PT und frühere Präsident der Gewerkschaft der Bankbeschäftigten sowie führende Figur im Gewerkschaftsdachverband CUT, João Vaccari Neto, beschuldigt. Der Hauptsprecher Rousseffs im Zusammenhang mit dem Skandal ist Miguel Rossetto, lange Zeit ein führendes Mitglied der brasilianischen pablistischen Gruppe des Vereinigten Sekretariats.
Während der heftigen Korruptionsaffäre treibt die Rousseff-Regierung ihr drastisches Sparprogramm voran und greift die Sozialleistungen und grundlegenden Rechte der Arbeiterklasse an.
Massenentlassungen und heftige Preissteigerungen sorgen dafür, dass Brasilien zu den sozial am stärksten gespaltenen Ländern der Welt gehört.
Wenn unter diesen Bedingungen die Rechte auf den Straßen Brasiliens mobilisieren kann, geht dies auf das Konto der so genannten Linken im Umkreis der PT, einer rechten politischen Partei der Bourgeoisie. Sie befördern nicht den sozialen Kampf oder auch nur den Widerstand, sondern sind Teil der bestehenden kapitalistischen Strukturen. Sie übernehmen die Aufgabe, die Kämpfe der Arbeiter in Schach zu halten und zu unterdrücken.
Damit beschwören sie dieselben Gefahren herauf wie in Frankreich, wo der rechtsradikale Front National die soziale Unzufriedenheit aufgrund der reaktionären Politik der wirtschaftsfreundlichen und von kleinbürgerlichen pseudolinken Gruppen wie der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) unterstützten Sozialistischen Partei von Francois Hollande ausnutzen kann. In Griechenland verschafft die rasend schnelle Kapitulation Syrizas vor den internationalen Banken - einer bürgerlichen Partei, die von pseudolinken Gruppen weltweit glorifiziert wird - faschistischen Kräften wie der Goldenen Morgenröte Auftrieb.
Die entscheidende Frage ist die der revolutionären Führung der Arbeiterklasse. In Brasilien bedeutet dies, die Arbeiter für den Sozialismus und Internationalismus zu gewinnen und einen entschlossenen politischen Kampf gegen die Arbeiterpartei und die pseudolinken Gruppen und Gewerkschaften in ihrem Umkreis zu führen. Dies ist nur durch den Aufbau einer Partei des Internationalen Komitees der Vierten Internationale möglich.