Der israelische Präsident Reuven Rivlin kündigte an, er werde sich ab Sonntag mit israelischen Parteichefs treffen, um die Bildung der nächsten Koalitionsregierung zu diskutieren. Dann soll auch die Auszählung der Stimmen der Parlamentswahl vom 17. März abgeschlossen sein. Am Mittwoch wurden noch immer Stimmen von israelischen Soldaten, Gefangenen und Patienten in Krankenhäusern ausgezählt.
Alles deutet darauf hin, dass Ministerpräsident Benjamin Netanjahu eine Koalitionsregierung aus sechs rechten Parteien bilden wird. Netanjahus Partei Likud wurde mit 30 Sitzen in der Knesset, dem israelischen Parlament, stärkste Partei.
Likud gewann gegenüber der Wahl von 2013 zehn Sitze dazu. Jeweils drei Sitze gewannen die Zionistische Union, ein Bündnis aus der Awoda (Arbeiterpartei) und der kleineren Hatnua der ehemaligen Außenministerin Tzipi Livni, und die Vereinigte Arabische Liste, ein Zusammenschluss aus vier arabischen Parteien, die zusammen das Spektrum von islamistisch bis stalinistisch abdecken.
Zu Likuds potenziellen Koalitionspartnern gehören die ultrarechten Parteien Jüdisches Heim und Israel Beitenu, die über acht, bzw. sechs Sitze verfügen, die ultraorthodoxe Schas (sieben Sitze), das Vereinigte Thora-Judentum (sechs Sitze) und Kulanu, eine Abspaltung von Likud, die zehn Sitze gewonnen hat. Die daraus entstehende Koalition hätte mit 67 Sitzen eine ausreichende Mehrheit.
In der Opposition werden sich vier Parteien befinden: die Zionistische Union mit vierundzwanzig Sitzen; Jesch Atid des Nachrichtensprechers Yair Lapid, die elf Sitze bekommen hat; die kleinbürgerlich „linke“ Meretz, die mit vier Sitzen nur knapp den Sprung ins Parlament geschafft hat; und die Vereinigte Arabische Liste, die mit vierzehn Sitzen die drittgrößte Gruppierung in der Knesset ist.
Zuvor hatte Präsident Rivlin für eine Koalition der nationalen Einheit zwischen Likud und der Zionistischen Union plädiert, die zusammen eine deutliche Mehrheit hätten. Allerdings schlossen sowohl Netanjahu als auch Jitzak Herzog, der Vorsitzende der Zionistischen Union, diese Möglichkeit aus.
Nach dem fast endgültigen Ergebnis spielt die neu gegründete Partei Kulanu ("Wir alle"), die vom ehemaligen Likud-Minister Mosche Kachlon angeführt wird, eine Schlüsselrolle. Kachlon hatte letztes Jahr wegen dessen Wirtschaftspolitik mit Netanjahu gebrochen und versucht, an sephardische Arbeiter und Kleinbürger zu appellieren, die wegen stagnierender Löhne und rasant steigender Kosten für Wohnungen beunruhigt sind.
Kachlon hatte den in Bedrängnis geratenen Familien mit niedrigen Einkommen demagogisch eine „soziale Revolution“ in der Regierungspolitik versprochen und konnte damit beträchtliche Stimmengewinne erzielen. Er kritisierte Netanjahu wegen seiner ständigen Warnungen vor der Gefahr iranischer Atombomben und erklärte: „Ich habe noch niemanden getroffen, der Israel wegen der Bedrohung durch den Iran verlassen hat, oder wegen des Islamischen Staates, aber ich habe viele junge Leute im Ausland getroffen, die das Land verlassen haben, weil sie die Hoffnung verloren haben.“
Diese Wahlkampfrhetorik gab er schnell auf, als das Geschacher um Kabinettsposten begann. Kachlon erklärte am Mittwoch, er habe bereits mit Netanjahu gesprochen und werde formell mit ihm über die Teilnahme an der nächsten Regierung verhandeln, in der er den Posten des Finanzministers anstrebt.
Eine Mehrheitskoalition aus der Zionistischen Union, Jesch Atid, Meretz und Kulanu wäre zwar rechnerisch möglich, aber nur, wenn die Vereinigte Arabische Liste sie unterstützen oder sich daran beteiligen würde. Der Vorsitzende der Zionistischen Union, Herzog, schloss diese Option jedoch aus, indem er am Mittwoch seine Niederlage eingestand und erklärte, die Wähler hätten ihr Urteil über die Partei gefällt. Daher werde sie die Opposition anführen.
Herzogs übereilte Kapitulation war typisch für den ganzen Wahlkampf der zionistischen „Linken“, die die Interessen der israelischen Finanzaristokratie genauso erbittert verteidigt wie Likud und die Ultrarechten. Taktische Differenzen existieren allerdings in der Frage, wie man am besten mit dem US-Imperialismus und seinen diversen Klientelstaaten im Nahen Osten umgehen sollte.
Eine Analyse der Muster, wie und warum sich die einzelnen Wählerschichten entschieden haben, deutet darauf hin, dass Netanjahu, der in den Umfragen vor der Wahl noch abgeschlagen war, in letzter Minute durch das Schüren von Angst vor Bedrohungen und mit anti-arabischem Rassismus Stimmen gewinnen konnte. Am Vormittag des Wahltages trat er medienwirksam in Har Homa auf, einem jüdischen Vorort in Ostjerusalem, der rechtswidrig auf arabischem Land gebaut wurde und warnte, seine rechte Regierung sei durch eine hohe Wahlbeteiligung von arabisch-israelischen Wählern gefährdet.
Noch um sechs Uhr abends lag die Wahlbeteiligung sogar unter derjenigen der letzten Wahl 2013. In den letzten vier Stunden stieg sie jedoch sprunghaft auf fast 72 Prozent an, 2013 lag sie bei 67 Prozent. Dieser Wert lag jedoch noch immer unter dem von 1999, als die Wahlbeteiligung 78 Prozent betrug.
Ein Großteil dieses Aufschwungs kurz vor Wahlschluss wurde nicht von Wählerbefragungen erfasst. Es wurde daher berichtet, Likud und die Zionistische Union lägen fast gleichauf. Offensichtlich wurden die späten Stimmen zu einem Großteil für Likud und seine Verbündeten abgegeben.
Laut einer Analyse des Wahlverhaltens hat Netanjahu diese Wahl gewonnen, „indem er in den letzten sechs Tagen des Wahlkampfs 200.000 Wähler umgestimmt hat, die für Jüdisches Heim, Schas, Kulanu und Yahad stimmen wollten.“
Yahad, eine Abspaltung von Schas, scheiterte knapp an der 3,25-Prozent-Hürde und kam deshalb nicht ins Parlament, alle anderen Parteien verloren Sitze im Vergleich zu den Prognosen vor der Wahl.
Die geografische Verteilung der Stimmen weist auf viele der unlösbaren Widersprüche der israelischen Gesellschaft hin. In Tel Aviv, der größten Stadt und dem Handelszentrum des Landes, erzielten die Zionistische Union und Meretz hohe Stimmanteile, nur achtzehn Prozent stimmten für Likud. Jesch Atid, 2013 noch stärkste Partei in Tel Aviv, fiel auf den vierten Platz zurück, da sich die Wähler der Zionistischen Union zuwandten.
In Jerusalem war die Verteilung genau andersherum. Likud war stärkste Kraft mit 24,2 Prozent der Stimmen, gefolgt vom Vereinigten Thora-Judentum mit 12,1 Prozent und der Zionistischen Union mit 8,4 Prozent. In Haifa lag die Zionistische Union mit 25,3 Prozent knapp in Führung, Likud erhielt 20,7 Prozent.
Außerhalb der drei großen Städte lag Likud jedoch fast überall in Führung. In Südisrael erhielt sie fast 40 Prozent der Stimmen, die Zionistische Union hingegen nur zwölf Prozent. In Städten in Galiläa, darunter Kirjat Schmona, Naharija, Afula und Safed konnte sie stärkste Kraft werden.
Die Vereinigte Arabische Liste erhielt 90 Prozent der Stimmen in überwiegend arabischen Städten wie Nazareth, Taybeh und Umm al-Fam. Die Wahlbeteiligung unter Arabern stieg deutlich an, von 53 Prozent im Jahr 2013 auf mehr als 60 Prozent.
Die fast 400.000 Israelis, die in Siedlungen im Westjordanland leben, stimmten überwiegend für das Jüdische Heim, Israel Beitenu und die ultraorthodoxen Parteien. Siedler sind in der Knesset stark überrepräsentiert. Sie stellen mehr als zehn Prozent der Mitglieder, obwohl nur 4,4 Prozent aller Israelis im Westjordanland leben.