Die letzte Verhandlungsrunde zwischen den USA und dem Iran über dessen Atomprogramm im schweizerischen Montreux endete am Mittwoch. Es gibt Anzeichen dafür, dass noch vor Ablauf der Frist am 31. März die Rahmenbedigungen für ein Abkommen bestehen könnten.
US-Außenminister John Kerry erklärte, er werde sich weder von der Politik, noch von „externen Faktoren“ von den Verhandlungen abbringen lassen. „Niemand hat eine vernünftigere dauerhafte Alternative vorgelegt, wie man den Iran daran hindern kann, Atomwaffen zu bekommen. Deshalb, meine Herren, ist es keine Option, den Iran einfach zur Kapitulation aufzufordern,“ fügte er hinzu.
Diese Bemerkungen waren eindeutig an die Adresse des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu gerichtet. Dieser hatte am Dienstag in einer Sondersitzung des amerikanischen Kongresses eine Hetzrede gegen den Iran gehalten und das Abkommen als „schlechtes Geschäft“ kritisiert, das zu einem „nuklearen Alptraum“ führen werde. Zwar sagte der israelische Premierminister in seiner Rede nicht ausdrücklich, welche Alternative ihm vorschwebt, doch deutete er sie mehrfach an: Angriffe auf die iranischen Atomanlagen, falls das Land sich weigere, alle seine Atomanlagen und -programme vollständig aufzugeben.
Präsident Barack Obama forderte am Montag in einem Interview mit Reuters, der Iran solle sich bereit erklären, sein Programm für mehr als zehn Jahre einzufrieren und schrittweise zurückzufahren. Washington besteht außerdem auf äußerst weitgehende UN-Inspektionen, um sicherzustellen, dass ein Abkommen auch verifiziert werden kann.
Laut dem Wall Street Journal drängen amerikanische Unterhändler Teheran, große Teile seiner Urananreicherungsanlagen und anderer Anlagen abzubauen. Sie wollen sicherstellen, dass das Land mindestens ein Jahr lang brauchen würde, um genug Brennstoff für eine Kernwaffe zu produzieren. In der Zeitung heißt es: „Vertreter erklärten zwar, man habe sich nicht ausdrücklich auf einen Zeitraum von zwölf Monaten geeinigt, aber auf beiden Seiten setzt sich die Erkenntnis durch, dass dies Teil eines Abkommens sein muss.“
Kerry nutzt die strengen, von den USA durchgesetzten Wirtschaftssanktionen, die die iranische Wirtschaft stark geschwächt haben, und die implizite Drohung mit einem Militärschlag als Druckmittel, um von den iranischen Unterhändlern große Zugeständnisse zu erpressen. Der unbewiesene und von Teheran immer wieder zurückgewiesene Vorwurf, der Iran baue Atomwaffen, ist besonders heuchlerisch, da die US-Regierung gleichzeitig Israels Atomarsenal akzeptiert. Israel weigert sich seit Jahren, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten.
Für den Iran ist das wichtigste Anliegen, dass alle Sanktionen aufgehoben werden. Dazu hat sich Washington bisher noch nicht bereit erklärt. Außenminister Javad Zarif gab sich zwar optimistisch, was die Aussicht auf ein Abkommen angeht, erklärte jedoch am Montag, die USA und ihre Verbündeten müssten „ein- für allemal einsehen, dass sich Sanktionen nicht mit einem Abkommen vereinbaren lassen. Wenn sie ein Abkommen wollen, müssen die Sanktionen aufhören“.
Ein Abkommen mit dem Iran wäre ein deutlicher Kurswechsel in der amerikanischen Außenpolitik. Dabei ginge es Washington nicht in erster Linie um das iranische Atomprogramm. Im Vordergrund stünden größere geopolitische Erwägungen. In erster Linie will Amerika seine Vorherrschaft über die energiereichen Regionen des Nahen Ostens und Zentralasiens sichern.
Die USA haben unter der Bush- und der Obama-Regierung seit mehr als einem Jahrzehnt Wirtschaftssanktionen gegen den Iran verhängt und unter dem Vorwand, sein atomares Potenzial zu zerstören, mehrfach mit Krieg gedroht. Obama hält sich nach wie vor alle Optionen offen, auch die von Militärschlägen.
Washingtons übergeordnetes Ziel war es immer, ein Regime im Iran zu installieren, das sich den wirtschaftlichen und strategischen Interessen der USA unterwirft. Mit der Wahl des neuen iranischen Präsidenten Hassan Ruhani im Jahr 2013 deutete das iranische Regime seine Bereitschaft an, deutliche Zugeständnisse zu machen, um eine Annäherung an die USA zu erreichen. Jetzt versucht Washington, die gleichen Ziele durch Verhandlungen im Atomstreit zu erreichen.
Diese Orientierung hat zu scharfen Differenzen in Washington geführt. Vor allem mit die Republikaner und Demokraten, die enge Verbindungen zu Israel und anderen US-Verbündeten wie Saudi-Arabien und den Golfstaaten unterhalten, lehnen jede Annäherung an den Iran entschieden ab. Die Republikanische Führung hat Netanjahus Rede am Dienstag inszeniert und versucht eine Einigung mit dem Iran zu verhindern. Sie hat ein Gesetz vorlegt, das vorschreibt, dass ein mögliches Abkommen mit dem Iran vom Kongress genehmigt werden müsse.
Die Obama-Regierung ist sich zwar bewusst, dass ein Abkommen ihre Beziehungen mit Israel und Saudi-Arabien gefährden könnte. Allerdings hofft sie, den Iran zu Zugeständnissen in einer Reihe von strategischen Fragen zu bringen. Die USA koordinieren ihre Militäroperationen gegen den Islamischen Staat bereits zum Teil mit dem Iran, der das überwiegend schiitische Regime in Bagdad mit Beratern und Ausrüstung unterstützt.
Gleichzeitig versucht Washington, seine aktuellen Verbündeten zu beruhigen. Kerry flog nach Saudi-Arabien, um sich am Donnerstag mit König Salman und den Außenministern der Golfstaaten zu treffen. Saudi-Arabien, das den Iran seit langem als seinen größten Rivalen in der Region betrachtet, fürchtet um seinen Einfluss, wenn Washington die Sanktionen gegen den Iran aufhebt und engere Beziehungen zu dem Land aufbaut.
Der Hauptgrund für den Versuch der Obama-Regierung, mit dem Iran zu einer Einigung zu kommen, besteht jedoch in Erwägungen, die weit über den Nahen und Mittleren Osten hinausgehen. Vor dem Hintergrund eines globalen Wirtschaftszusammenbruchs und zunehmender geopolitischer Spannungen, verschärfen die USA die Konfrontation mit Russland. Gleichzeitig bringen sie ihre Truppen im asiatischen Raum gegen China in Stellung.
Mit anderen Worten: Die USA bereiten sich auf einen möglichen Krieg gegen zwei Atommächte gleichzeitig vor, deshalb versuchen sie, den Iran auf ihre Seite zu ziehen oder zumindest zu neutralisieren, denn er liegt in einer strategisch wichtigen Position zwischen dem Nahen Osten und Zentralasien.
Reva Bhalla, eine Analystin der Denkfabrik Stratfor, schrieb vor kurzem in einem Kommentar mit dem Titel „Der Schneidepunkt dreier Krisen“. Sie bezog sich dabei auf die wachsende Wirtschaftskrise in Europa, die Spannungen mit Russland um die Ukraine und die Verhandlungen mit dem Iran. Alle drei Krisen seien „untrennbar miteinander verbunden“, so Bhalla. Sie rechnet dabei mit einem Scheitern des Minsker Abkommens zur Ukraine und argumentiert, die USA müssten sich auf einen Konflikt mit Russland entsprechend vorbereiten.
Bhalla erklärte weiter: „Aber um sich auf den Schauplatz Eurasien konzentrieren zu können, muss zuerst die Lage im Nahen Osten geklärt werden, vor allem mit dem Iran. Wenn die Vereinigten Staaten realistische Szenarien durchspielen, in denen amerikanische Soldaten in Europa gegen Russland kämpfen, müssen sie in der Lage sein, ihre Truppen schnell zu verlagern. Diese waren in den letzten zwölf Jahren damit beschäftigt, die Feuer zu löschen, die aufkeimende dschihadistische Emirate gelegt hatten, und bereiteten sich auf einen potenziellen Konflikt am Persischen Golf [gegen den Iran] vor.“
Bhalla weist darauf hin, dass ein amerikanisch-iranisches Abkommen weit über die Frage des Atomprogramms hinausgehen werde, und kommentiert: „Es wird die regionalen Konturen einer iranischen Einflusssphäre bestimmen. Es wird es Washington und Teheran möglich machen, auf Feldern zu kooperieren, in denen sie die gleichen Interessen verfolgen.“ Ihre Schlussfolgerung: „Egal welche Partei im Weißen Haus sitzt, die USA werden die Gefahr eines wachsenden Konfliktes in Eurasien als vorrangig vor der Deeskalation des Konfliktes mit dem Iran erachten.“
Es bleibt abzuwarten, ob die Obama-Regierung in der Lage sein wird, trotz offenem Widerstands von seiten Israels und Teilen des Kongresses ein Abkommen mit dem Iran zu schließen. Die nächste Verhandlungsrunde beginnt am 15. März. Obama wird jede Rahmenvereinbarung prüfen, bevor er einem vollständigen, detaillierten Abkommen zustimmt, das bis zum 30. Juni abgeschlossen sein soll.