Während der letzten sechs Monate haben Medienberichten zufolge rund 50.000 Menschen das Kosovo verlassen, allein 35.000 in den vergangenen anderthalb Monaten. Ziel sind vor allem Deutschland, Österreich und Skandinavien.
Grund ist in erster Linie die katastrophale wirtschaftliche und soziale Lage im Kosovo, die das Leben für die Mehrheit der Bevölkerung unerträglich macht. „Das Kosovo war und ist das ärmste Land in ganz Südosteuropa“, zitiert der Spiegel die Migrationsforscherin Besa Shahini vom Thinktank „European Stability Initiative“ (ESI). „Die Migrationszahlen steigen schon seit einigen Jahren kontinuierlich an, insofern geht es nicht um ein neues Phänomen.“
Der Durchschnittslohn im Kosovo liegt bei 220 Euro. Ohne die Überweisungen von Kosovaren, die im Ausland Arbeit gefunden haben, könnten viele Familien nicht überleben. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei 27 Prozent, in Wirklichkeit ist wohl von mehr als dem Doppelten auszugehen. Die Jugendarbeitslosigkeit wird auf rund 70 Prozent geschätzt. Nach Weltbank-Angaben lebt ein Drittel der Einwohner unter der Armutsgrenze mit weniger als 1,50 Euro pro Tag.
Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen lag 2013 etwas über 2500 Euro brutto. Das ist nicht einmal halb so viel wie im ärmsten EU-Staat Bulgarien und etwa ein Zehntel des EU-Durchschnitts.
Deutsche Welle berichtete über den arbeitslosen Familienvater Fitim S., der mit seiner Frau und drei Kindern nach Deutschland reiste. Er sagte, er bekomme im Kosovo nicht einmal die Sozialhilfe von monatlich 80 Euro, weil er, so die Begründung, ein Haus habe und keine Miete bezahlen müsse. „Uns hat man gesagt, dass wir in Deutschland Asyl bekommen können“, sagte der verzweifelte Familienvater.
Der britische Telegraph zitierte einen Kosovaren: „Es ist traurig für Kosovo. Aber es gibt hier keine Hoffnung für die Menschen. Sie verlassen das Land, weil sie verzweifelt sind.“
Strukturierte medizinische Versorgung gibt es nicht. Die Versorgung in einem Krankenhaus oder bei einem Arzt ist nur gegen Bargeld zu erhalten. Das Land mit 1,8 Millionen Einwohnern wird von kriminellen Clans dominiert, die in engem Kontakt zu den politischen Größen des Landes stehen, und sich durch Prostitution, Menschen-, Drogen- und Waffenhandel bereichern. Korruption grassiert.
„Wer keine Beziehungen hat oder nicht mit den Clans in den politischen Parteien verbandelt ist, hat wenig Karrierechancen“, so der Spiegel. „Viele Menschen im Kosovo haben die Situation im Land einfach satt und wollen nur noch weg“, sagt Iliriana Kaçaniku, die bei der Kosovo Foundation for Open Society (KFOS) als Expertin für EU-Integration arbeitet. Kosovo ist eines der korruptesten Länder Europas. Auf dem Index von Transparency International liegt das Land auf Platz 111.
Die europäischen Mächte haben nach der Unabhängigkeit 2008 die Lage nicht etwa verbessert, sondern sind selbst eng im Netz aus Korruption und Vetternwirtschaft verwoben. Die Mission Eulex, die eine unabhängige Justiz aufbauen sollte, ist diskreditiert.
Die Tageszeitung Koha Ditore hat recherchiert, dass eine Reihen von korrupten Staatsanwälten und Richtern, die Eulex angehören, gegen Geld Verfahren eingestellt oder mildere Urteile gefällt haben. Die Zeit nennt das Beispiel des italienischen Richters Francesco Florit, der 300.000 Euro für den Freispruch eines Mannes bekommen haben soll, der wegen Mordes angeklagt war. Florit soll sich vor dem Freispruch sechsmal mit seinen Kontaktleuten getroffen haben.
Die Katastrophe im Kosovo ist das direkte Ergebnis der Intervention der westlichen Großmächte. Sie haben die ethnischen Konflikte im ehemaligen Jugoslawien aus eigenen Interessen heraus gezielt geschürt.
1991 unterstützte die deutsche Außenpolitik das Auseinanderbrechen des jugoslawischen Staates, indem sie Slowenien und Kroatien überstürzt als unabhängige Staaten anerkannte. Die USA zogen nach und forcierten die Unabhängigkeit von Bosnien und Herzegowina. Die Folge war der vierjährige, äußerst verlustreiche Bosnienkrieg, in den die Großmächte schließlich mit eigenen Truppen eingriffen.
Schließlich nutzten die NATO-Staaten die von ihnen selbst geschürten separatistischen Bestrebungen im Kosovo, um gegen Serbien vorzugehen. 1999 stellte US-Außenministerin Madeleine Albright der serbischen Regierung auf der Konferenz von Rambouillet ein unerfüllbares Ultimatum. Als diese ablehnte, überzog die NATO das Land mit Krieg.
Schon damals stützten sich Albright und der deutsche Außenminister Joschka Fischer auf zwielichtige Elemente wie Hashim Thaci, den heutigen Vize-Regierungschef des Kosovo. Und dies, obwohl Thaci damals an der Spitze der UCK-Miliz stand, von den serbischen Behörden wegen terroristischen Anschlägen auf Sicherheitskräfte gesucht wurde und im Verdacht stand, Abtrünnige aus den eigenen Reihen liquidiert zu haben und Beziehungen zur Drogenmafia zu unterhalten.
Nach Kriegsende stand das Kosovo dann unter UN-Verwaltung, das heißt faktisch unter der militärischen und politischen Kontrolle der Mächte, die den Krieg geführt hatten. Die Unabhängigkeitserklärung des Landes 2008, die nur von den westlichen Mächten anerkannt wurde, hat die ethnischen Spannungen in der Region weiter verschärft.
Die Regierungen der Länder, die die Abspaltung und die Unabhängigkeit des Kosovo vorangetrieben haben, reagieren nun mit einer unmenschlichen Abschiebepraxis auf Flüchtlinge, die der von ihnen angerichteten Katastrophe entfliehen. Fast keiner der Asylsuchenden aus dem Kosovo darf in Deutschland oder anderen europäischen Ländern bleiben. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl errechnete, dass 2014 nur 40 Kosovaren einen Aufenthaltstitel in Deutschland erhielten. Fast 9000 hatten einen Antrag gestellt.
„Es gibt kein Asyl für Kosovaren“, sagt Manfred Schmidt, Präsident des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge unmissverständlich. Fast alle Asylanträge von kosovarischen Staatsangehörigen werden abgelehnt, weil sie keine politische Verfolgung nachweisen können. Die meisten Flüchtlinge haben für die Reise alle Ersparnisse aufgebraucht und stehen nach ihrer Rückkehr vor einer noch auswegloseren Situation.
In Deutschland haben sich die Innenminister von Bund und Ländern vor zwei Wochen auf eine Reihe von Maßnahmen verständigt, um den Zustrom von Flüchtlingen aus dem Kosovo zu bremsen. Die deutsche Bundespolizei soll die serbische Grenzpolizei unterstützen. Dies könnte so aussehen, dass Kosovaren, die bereits in Besitz eines serbischen Passes sind, an der Überquerung der ungarischen Grenze gehindert werden.
Asylsuchende aus dem Kosovo sollen nicht mehr wie bisher nach der Registrierung auf die Kommunen weiterverteilt werden. Statt dessen soll ihr Asylverfahren innerhalb von zwei Wochen in den Erstaufnahmeeinrichtungen abgewickelt werden. Der Europareferent von Pro Asyl, Karl Kopp, kritisiert: „Das werden sicher keine vorurteilsfreien Verfahren sein.“ Es gehe lediglich darum, „die Menschen so schnell wie möglich für abschiebereif zu erklären“.
Es wird auch diskutiert, das Kosovo als „sicheren Herkunftsstaat“ einzustufen. Zuletzt war eine solche Einstufung für Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien vorgenommen worden. Seit November vergangenen Jahres werden Asylanträge von Angehörigen dieser Staaten als „offensichtlich unbegründet“ in Schnellverfahren abgelehnt. Anschließend muss die Ausreise innerhalb einer Woche erfolgen. Für das Kosovo forderte bereits Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) eine solche Einstufung.
Auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sprach sich in der Süddeutschen Zeitung in zynischer Weise gegen Asyl für Kosovaren aus. „Wir haben ein Asylrecht, das für politisch Verfolgte gedacht ist. Zurzeit läuft die massenhafte Zuwanderung der Menschen aus Kosovo darüber – das kann aber nicht funktionieren, sie sind nicht politisch verfolgt. Das überfordert und gefährdet das Asylrecht.“
In Österreich hat Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) stellvertretend für die Regierung von Sozialdemokraten und Konservativen eine regelrechte Kampagne gegen die Flüchtlinge losgetreten. Sie bezeichnete es als ihre „Mission“, den Ansturm von Flüchtlingen aus dem Kosovo zu unterbinden. Dazu ließ sie im Kosovo selbst massenhaft Aufrufe verteilen, die unmissverständlich deutlich machen, dass Flüchtlinge in Österreich unerwünscht sind und möglicherweise mit Strafen belegt werden.
Im Text heißt es: „Schlepper lügen. Bei wirtschaftlichen Gründen gibt es kein Asyl in Österreich.“ Bei Verstößen gegen das EU-Einreiseverbot wird ein Bußgeld bis zu 7500 Euro angedroht.