Die Vermögensverteilung in den modernen Gesellschaften gleicht einer auf der Spitze stehenden Pyramide. Je höher man blickt, desto größer fällt der Anteil Weniger am Gesamtvermögen aus. Da die Obersten ihr Vermögen verschleiern und es darüber kaum amtlichen Zahlen gibt, fällt es schwer genau zu sagen, wie hoch es ist. Eine neue, von der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie will diese „große statistische Unsicherheit“ beleuchten.
Was die Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aufgrund von Annäherungen an die Spitzenvermögen herausfanden, übertrifft die bisherigen Annahmen über die soziale Ungleichheit in Deutschland bei weitem – auch wenn die Neubewertung nach Worten der Autoren „mit hoher Unsicherheit behaftet“ ist. Leider konnten sie lediglich auf drei Jahre alte Daten zurückgreifen.
Die reichsten zehn Prozent verfügen demnach über 63 bis 74 des Gesamtvermögens privater Haushalte, das sich nach Schätzungen der Forscher auf 8,6 bis 9,3 Billionen Euro beläuft. Damit besitzen rund 400.000 Haushalte mehr als die restlichen knapp 3,5 Millionen. Bisherige Daten hatten „nur“ auf einen Anteil von 60 Prozent schließen lassen.
Bei den Superreichen mussten die Autoren die bisherigen Zahlen noch stärker korrigieren. Das vermögendste Hundertstel besitzt nicht wie zuvor angenommen 18 Prozent des Gesamtvermögens, sondern mit 31 bis 34 Prozent fast doppelt so viel. Das reichste Tausendstel kontrolliert sogar dreimal so viel Vermögen, wie bisher angenommen – statt 5 sind es 14 bis 16 Prozent. Diese ungefähr 80.000 Personen sind vermögender als die ganze ärmerer Hälfte der deutschen Bevölkerung, etwa 40 Millionen Personen, zusammen genommen.
Die bisherigen Methoden, die Verteilung der Vermögen festzustellen, wiesen gravierende Mängel auf. Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) – vom selben Institut seit 1983 erhoben – befragt einige Tausend repräsentative Haushalte nach ihrem Vermögen. Es sei, so die Autoren der neuesten DIW-Studie, sehr unwahrscheinlich, dass an einer solchen telefonischen Befragung ein Millionär oder gar ein Milliardär teilnehme. Deshalb seien aufgrund der SOEP-Daten höchstens Haushalte mit einigen Dutzend Millionen Euro in die Berechnungen aufgenommen worden. Die Realität bilde das nicht ab.
Um die Superreichen in die Berechnung der Vermögensverteilung mit einfließen zu lassen, nahmen die Forscher unter anderem die Reichenliste des US-Magazin Forbes zu Hilfe, die nur Individuen mit einem Vermögen über einer Milliarde Dollar ausweist.
Deren Reichtum und Zahl hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Trotz – oder dank – der Finanzkrise stieg die Anzahl der Milliardäre in Deutschland von 34 im Jahr 2002 auf 55 im Jahr 2012. Das Gesamtvermögen dieser Wenigen belief sich 2003 auf 130 Milliarden Euro und stieg bis 2013 auf 230 Milliarden.
Diese Zahlen sind derart hoch, dass sie selbst bei den Verteidigern und Nutznießern dieser gewaltigen Ungleichheit Besorgnis erregen. Als die Wohlfahrtsorganisation Oxfam Mitte Januar einen Bericht veröffentlichte, laut dem das oberste Prozent der Weltbevölkerung schon nächstes Jahr mehr Vermögen haben wird als die restlichen 99 Prozent, schrieb die Süddeutsche Zeitung von der „sozialen Sprengkraft sozialer Ungerechtigkeit“.
Die stetige Konzentration des Reichtums an der Spitze der Gesellschaft ist nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt zu beobachten. Im Weltmaßstab ist das Ausmaß der sozialen Ungleichheit noch schreiender.
2010 besaßen global etwa 380 Milliardäre genauso viel wie die ärmere Hälfte der Menschheit. Im Laufe von nur drei Jahren sank diese Zahl auf 92 Milliardäre. Ein Jahr später waren es nochmals 12 Milliardäre weniger, die mehr besaßen als dreieinhalb Milliarden Menschen.
„Das Anwachsen der sozialen Ungleichheit“, so schrieben wir nach Veröffentlichung des Oxfam-Berichts, „ ist die Folge der Politik, die die herrschende Klasse nach der Finanzkrise von 2008 verfolgte… Regierungen reagierten auf den Zusammenbruch von Anlagewerten und die Insolvenz von Großbanken, indem sie im Zuge der Bankenrettung ungefähr 12 Billionen Dollar in die Finanzmärkte pumpten, Zinssätze von Null Prozent festsetzten und die Zentralbanken Geld drucken ließen.“
Die Reichsten in Deutschland besitzen weit mehr als bisher bekannt. Doch, um auf das anfängliche Bild zurückzukommen: Keine Pyramide kann lange auf der Spitze stehen, ohne umzufallen – oder von unten umgeworfen zu werden.