Die „Normalisierung“ der Beziehungen zwischen den USA und Kuba, die Barack Obama und Raul Castro am 17. Dezember zeitgleich bekanntgaben, wird sowohl von den Regierungen Lateinamerikas als auch von Wirtschaftsvertretern der USA als Wendepunkt gefeiert.
Die Präsidentin Brasiliens, Dilma Rousseff, sprach im Zusammenhang mit der Herstellung diplomatischer Beziehungen und der größeren Öffnung Kubas für US-Kapital von einem „Zivilisationswandel“. Der Präsident Venezuelas, Nicolas Maduro, dessen Land soeben mit neuen Sanktionen der USA überzogen wurde, erklärte: „Dem Entgegenkommen Präsident Obamas gebührt als kühner, historisch notwendiger Geste unsere Anerkennung.“
Tags darauf berichtete das Wall Street Journal: „Von General Motors über den Agrarkonzern Cargill bis hin zum Möbelhaus Ethan Allen Interiors begrüßten US-amerikanische Unternehmen einhellig die gestrige Ankündigung des Weißen Hauses, wieder diplomatische Beziehungen zu Kuba anzuknüpfen und das seit 54 Jahren bestehende Embargo abzubauen.“
Die führenden bürgerlichen Politiker Lateinamerikas träumen von harmonischen Beziehungen zum US-Imperialismus, während den Chefs der transnationalen Unternehmen beim Gedanken an die riesigen Profite, die ihnen die Regierung in Havanna durch die Bereitstellung und polizeiliche Gängelung billiger kubanischer Arbeitskräfte in Aussicht stellt, schon das Wasser im Munde zusammenläuft.
Obama reagierte zweifellos auf Forderungen der Handelskammer und der Industrieverbände nach Zugang zum kubanischen Markt. Sicherlich gehen diese Kreise auch davon aus, dass die letzten Überbleibsel der radikalen Reformen, die auf die kubanische Revolution zurückgehen, durch ein Überfluten mit US-Dollars weitaus effektiver zerstört werden, als durch die Wirtschaftsblockade. Außerdem trägt dieses Vorgehen dazu bei, in Havanna ein gefügigeres Regime an die Macht zu bringen, das die neokolonialen Beziehungen aus der Zeit vor 1959 wiederherstellt.
Die Castro-Regierung ihrerseits betrachtet die Aussöhnung mit ihrem imperialistischen Erbfeind als Möglichkeit, die eigene Macht zu festigen und, dem Vorbild Chinas folgend, die Privilegien der herrschenden Schicht durch eine kapitalistische Entwicklung auf Kosten der kubanischen Arbeiterklasse zu bewahren.
Bei allem Jubel über den historischen Charakter der Aussöhnung fällt auf, dass in den Medien nicht gefragt wird, was dieser Schwenk über den kubanischen Staat und die ihn konstituierende Revolution aussagt. Dabei sollte der Anbruch einer neuen „Ära des Wandels“, wie die New York Times am 18.12.2014 mit überschäumender Begeisterung titelte, doch Anlass zu einer Bilanz bieten.
Für die internationale Arbeiterklasse und ihre revolutionäre Führung ist dies die entscheidende Frage. Gerade in Lateinamerika hat die Arbeiterklasse einen hohen Preis für die Verwirrung gezahlt, die über den Charakter des Castro-Regimes gestiftet wurde – nicht zuletzt durch den Pablismus, eine revisionistische Tendenz, die zu Zeiten der kubanischen Revolution innerhalb der Vierten Internationale auftrat.
Gemeinsam mit linken Nationalisten in Lateinamerika und kleinbürgerlichen Radikalen in Europa stellte diese Tendenz die Behauptung auf, dass die Machteroberung einer nationalistischen Guerillabewegung unter der Führung Fidel Castros einen neuen Weg zum Sozialismus eröffnet habe, mit dem sich der Aufbau revolutionärer marxistischer Parteien erübrige, von dem bewussten und unabhängigen Handeln der Arbeiterklasse ganz zu schweigen.
Glaubte man den pablistischen Organisationen und ihren Haupttheoretikern, Ernest Mandel in Europa und Joseph Hansen (dem Führer der Socialist Workers Party) in den USA, so genügte die Verstaatlichung des Eigentums in Kuba, um auf die Schaffung eines „Arbeiterstaats“ unter Castros Führung zu schließen. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale, das dieser grob vereinfachenden und unmarxistischen Einschätzung des Regimes in Havanna widersprach, wurde in zynischer und verlogener Weise als Feind der kubanischen Revolution beschimpft.
Das Internationale Komitee warnte vor den politischen Implikationen, die weit über Kuba hinausgingen. Durch die Verherrlichung des Castroismus brachen die Pablisten mit der gesamten historischen und theoretischen Konzeption der sozialistischen Revolution, die auf Marx zurückging.
Die grundlegende Aussage der Ersten Internationale unter Marx, „Die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein“, wurde über Bord geworfen. Im Gegensatz dazu sahen die Revisionisten in Castros Machtübernahme den Beweis, dass die sozialistische Revolution auch mit „stumpfen Werkzeugen“, also ohne marxistische Partei und ohne jede aktive und bewusste Beteiligung der Arbeiterklasse verwirklicht werden könne. Ausreichend seien bewaffnete nationalistische Guerillaverbände, die sich auf die Bauernschaft stützten und deren Führer sich zu „natürlichen Marxisten“ entwickeln würden. Die Arbeiter und unterdrückten Massen wurden mit der Rolle passiver Zuschauer abgespeist.
Einer solchen leichtfertigen Gleichsetzung der sozialistischen Revolution mit Verstaatlichungen durch kleinbürgerliche Kräfte hatte Leo Trotzki bereits lange vor der kubanischen Revolution ausdrücklich widersprochen. Nachdem das Kreml-Regime 1939 im Zuge seines (mit Hitler vereinbarten) Einmarsches in Polen Enteignungen durchgeführt hatte, schrieb Trotzki: „Das politische Hauptkriterium für uns ist nicht die Änderung der Eigentumsverhältnisse in diesem oder jenem Gebiet, wie wichtig sie an sich auch sein mag, sondern vielmehr die Veränderung im Bewusstsein und in der Organisation des Weltproletariats, das Verbessern seiner Fähigkeit, frühere Errungenschaften zu verteidigen und neue zu erobern. Nur von diesem Standpunkt aus, und das ist der einzig entscheidende, bleibt die Politik Moskaus, als Ganzes genommen, völlig reaktionär und ist weiterhin das Haupthindernis auf dem Wege zur Weltrevolution.“
Der Kern der pablistischen Position, so das Internationale Komitee, bestand in Folgendem: 1) Zurückweisung der zentralen und führenden Rolle der Arbeiterklasse in der sozialistischen Revolution, 2) Leugnung der Notwendigkeit, eine trotzkistische Partei aufzubauen, um in der Arbeiterklasse das zur Eroberung der Macht erforderliche Bewusstsein zu schaffen. Wenn eine solche Partei, wie die Pablisten behaupteten, in Kuba überflüssig war, weshalb sollte sie irgendwo sonst auf der Welt notwendig sein?
Die Warnungen des Internationalen Komitees sollten sich vollauf bestätigen. Der Castroismus wurde zum neuen Vorbild für die sozialistische Revolution erhoben. Diese Perspektive hatte in Lateinamerika, wo die Pablisten den Aufbau von Guerillabewegungen förderten, verheerende Folgen. Sie wiesen ihre Anhänger in dieser Region an, den Kampf für eine revolutionäre Führung in der Arbeiterklasse aufzugeben und sich stattdessen mit aller Kraft den „technischen Vorbereitungen“ auf den „bewaffneten Kampf“ auf dem Lande zu widmen.
Dies hatte in dreifacher Hinsicht tragische Folgen. Die Jugendlichen und jungen Arbeiter, die am stärksten radikalisiert waren, wurden von dem Kampf für eine revolutionäre Führung in der Arbeiterklasse abgehalten. Auf diese Weise wurde die konterrevolutionäre Kontrolle der stalinistischen, sozialdemokratischen und bürgerlich-nationalistischen Bürokratien gefestigt. Die Jugendlichen selbst wurden in einen aussichtslosen, selbstmörderischen Kampf gegen die Armeen der kapitalistischen Staaten Lateinamerikas getrieben und zu Tausenden niedergemetzelt. Die gescheiterten Guerilla-Abenteuer wiederum dienten den Militärs in einem Land nach dem anderen als Vorwand für die Schaffung faschistischer Militärdiktaturen und für die brutale Unterdrückung der arbeitenden Bevölkerung.
Zu den Opfern dieser Politik zählte auch Castros engster Mitstreiter Che Guevara. Aus Enttäuschung über die rasche Bürokratisierung des kubanischen Staats hatte er sich auf ein aussichtsloses Abenteuer in Bolivien eingelassen. Guevara kümmerte sich nicht um das revolutionäre Potenzial der großen bolivianischen Arbeiterklasse, sondern versuchte unter den rückständigsten und unterdrücktesten Schichten der bolivianischen Bauernschaft eine Guerilla-Armee aufzubauen. Isoliert und halb verhungert wurde er Ende Oktober 1967 vom bolivianischen Militär gefasst und hingerichtet. Guevaras tragisches Schicksal nahm die Katastrophe vorweg, in die der Castroismus und der pablistische Revisionismus schließlich münden sollten.
Am Ende stand die Niederlage des mächtigen revolutionären Aufschwungs, der ganz Lateinamerika erfasst hatte. Dies wiederum trug wesentlich dazu bei, dass der Imperialismus die heftigen revolutionären Krisen und Klassenkämpfe, die von 1968 bis 1975 weltweit ausbrachen, überstehen konnte.
Das IKVI führte einen unnachgiebigen Kampf gegen die gesamte mit dem Castroismus verbundene Perspektive. Castro, so das IKVI, stand nicht für irgendeinen neuen Weg zum Sozialismus, sondern war eine besonders radikale Spielart des bürgerlichen Nationalismus, dessen Vertreter in den 1960er Jahren in zahlreichen ehemaligen Kolonien an die Macht kamen. Viele dieser Regime führten umfangreiche Verstaatlichungen durch.
Castros Politik bot keine Lösung für die grundlegenden historischen Probleme der kubanischen Gesellschaft. Ihre Rückständigkeit und Abhängigkeit von der kapitalistischen Weltwirtschaft wurde nur oberflächlich verdeckt, erst durch Subventionen aus der Sowjetunion und dann durch preisgünstige Öllieferungen aus Venezuela.
Gestützt auf Trotzkis Theorie der permanenten Revolution hielt das Internationale Komitee daran fest, dass der Kampf für die Befreiung der Kolonien und ehemaligen Kolonien von imperialistischer Unterdrückung nur dann siegreich sein kann, wenn die Arbeiterklasse seine Führung übernimmt, die Macht erobert und die Revolution international ausdehnt. Die Hauptaufgabe, die sich aus dieser Perspektive ergibt, ist der Aufbau revolutionärer Parteien in der Arbeiterklasse, und der Weg dazu liegt im ständigen Kampf gegen die Vorherrschaft von Tendenzen, die die Arbeiter dem bürgerlichen Nationalismus unterordnen.
Heute, 55 Jahre nach der kubanischen Revolution, hat die Entwicklung des Castro-Regimes die Perspektive des IKVI auf der ganzen Linie bestätigt. Sie hat nichts von ihrer Bedeutung eingebüßt, weder in Kuba oder in ganz Lateinamerika, noch weltweit.
Mit der Annäherung zwischen Washington und Havanna wird sich die ohnehin rasche Zunahme von sozialer Ungleichheit, Armut und Klassengegensätzen auf der Insel ebenso beschleunigen wie die reaktionären Reformen, mit denen die noch verbliebenen Errungenschaften der Revolution bereits abgebaut werden.
Wie in Lateinamerika und weltweit werden die Arbeiter in Kuba unweigerlich auf den Weg des revolutionären Kampfs getrieben. Um sich dafür zu wappnen, müssen sie die bitteren Lehren aus der langen Erfahrung mit dem Castroismus und dem kleinbürgerlichen Nationalismus ziehen und Sektionen der trotzkistischen Weltbewegung, des IKVI, als neue unabhängige Parteien der Arbeiterklasse aufbauen.
Der Autor empfiehlt:
Fidel Castro und kleinbürgerlich nationalistische Politik
[7. Januar 1998]