Türkische Regierung geht mit Polizeistaatsmethoden gegen oppositionelle Medien vor

Am frühen Morgen letzten Sonntag verhaftete die Polizei bei einer landesweiten Razzia, die 32 Verdächtigten galt, mindestens 25 Personen, darunter Journalisten und Drehbuchautoren sowie einige ehemalige Polizeichefs.

Die Antiterroreinheiten, die am frühen Morgen in der Zentrale der Tageszeitung Zaman in Istanbul aufkreuzten, sahen sich Hunderten von Protestierern gegenüber. Es gelang ihnen nicht, den Chefreporter des Blattes, Ekrem Dumanli, festzunehmen. Am Nachmittag kam die Polizei erneut und verhaftete ihn.

Einige TV-Sender übertrugen die Festnahmen, während derer Protestierer riefen „Freie Medien kann man nicht zum Schweigen bringen“. Viele Medienunternehmen äußerten sich allerdings auch gar nicht.

Den Verdächtigen wird vorgeworfen, „die Souveränität der Türkei durch Druck, Drohungen und Terror zu verletzen, eine illegale Bande aufzubauen, Dokumente zu fälschen, die Freiheit anderer zu beschneiden und Verleumdungen in die Welt zu setzen.“

Der Twitter-User „Fuat Avni“, der in der Vergangenheit bereits viele von der Regierung gedeckte Polizeiaktionen enthüllt hat, twitterte vergangenen Donnerstag, dass 400 Personen, u. a. Journalisten von Zeitungen, die der Gülen-Bewegung nahestehen (Unterstützer eines in den USA lebenden Muslim-Führers, der sich mit dem türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan überworfen hat), bei einer groß angelegten Operation verhaftet würden. Daraufhin versammelten sich Hunderte vor der Zentrale der Zaman, um die Journalisten zu unterstützen.

“Fuat Avni”, der nach eigenen Angaben dem inneren Kreis von Erdogan angehört, behauptet nun, dass die Operation ausgeweitet wird, um prominente Geschäftsleute, Medienunternehmer, Vertreter der Zivilgesellschaft und weitere Journalisten zu verhaften.

Die Festnahmen erfolgten nur zwei Tage, nachdem Erdogan ein umfangreiches Sicherheitsgesetz unterzeichnet hatte, das den Aufbau eines Polizeistaats in der Türkei vorantreibt.

Das Gesetz ermächtigt die Polizei, in Wohnungen und an Arbeitsplätzen bei „begründetem Verdacht“ Durchsuchungen vorzunehmen. Nach bisheriger Rechtsprechung waren noch „konkrete Beweise“ erforderlich, bevor die Polizei Wohnungen, Arbeitsplätze oder Autos durchsuchen durfte.

Des Weiteren unterwirft das Gesetz den Zugang von Anwälten zu den Untersuchungsakten ihrer Klienten starken Beschränkungen, falls die Anklage auf „Verstöße gegen die Verfassung“ lautet.

Anwälte werden in Zukunft keinen Zugang mehr haben zu Akten über Überwachungsmaßnahmen und über Verhöre ihrer Klienten durch Polizei und Staatsanwälte. Das Gesetz erlaubt außerdem der Regierung, das Vermögen von Personen und Gruppen zu beschlagnahmen, die wegen „Bedrohung der Verfassung und Plänen zum Sturz der Regierung“ verurteilt wurden.

Das Bestreben der Regierung, die Justiz mit ihren Leuten zu durchsetzen, zeigt sich auch an der Bestimmung des neuen Gesetzes, dass Rechtsanwälte mit zweijähriger Berufserfahrung zu Richtern und Staatsanwälten ernannt werden können. Bisher waren fünf Jahre erforderlich.

Das Gesetzeswerk beschneidet auch die Befugnisse des Obersten Berufungsgerichtes, das sein Vetorecht bei der Nominierung von Richtern verliert. Nach geltender Praxis kann das Berufungsgericht jeden Vorschlag des Hohen Rates der Richter und Staatsanwälte (HSYK) ablehnen, falls es den Kandidaten als ungeeignet für die Position ansieht. Der HSYK unterliegt weitgehend dem Einfluss der Regierung.

Erdogans Unterzeichnung des neuen Heimatschutzgesetzes ermöglichte es Hadi Salihoğlu, dem Istanbuler Oberstaatsanwalt, die Operation gegen die Journalisten durchzuführen. Zwei Tage vor seiner Verhaftung erhielt der Chefredakteur der Zaman auf sein Ersuchen hin einen offiziellen Brief des Istanbuler Oberstaatsanwaltes, demzufolge „keine offizielle Untersuchung“ gegen ihn durchgeführt werde. Nur eine Stunde später unterzeichnete Erdogan das neue Gesetz.

Auf politische Motive für den Schlag gegen die Medien deuten auch Einzelheiten im Zusammenhang mit dem Staatsanwalt und dem beteiligten Richter hin. Salihoğlu wurde am 16. Januar 2014 zum Obersten Staatsanwalt ernannt, nur kurze Zeit, nachdem die Untersuchung der Korruptionsvorwürfe gegen AKP-Funktionäre im Dezember 2013 angelaufen war.

Der Auftrag an ihn war klar: Die Untersuchung musste eingestellt werden. Er nahm die freiwillige Zurücknahme der Anklage durch den Staatsanwalt entgegen, nachdem zwei andere Staatsanwälte von dem Fall abgezogen worden waren. Es zeigt sich, dass Salihoğlu als juristischer Handlanger der Regierung fungierte.

Diese Rolle kommt auch Islam Cicek zu, dem Richter, der die Festnahme der Journalisten mit der Begründung anordnete, sie würden „die Souveränität der Türkei durch Druck, Drohungen und Terror verletzen, eine illegale Bande aufbauen, Dokumente fälschen, die Freiheit anderer beschneiden und Verleumdungen in die Welt setzen.“

İslam Cicek sprach Reza Zarrab, einen Geschäftsmann, und drei Kinder von Ministern von den Vorwürfen frei, die im Dezember 2013 im Zusammenhang mit der Korruptionsaffäre gegen sie erhoben worden waren. Bekanntheit erlangte Cicek auch durch seine Facebook-Mitteilung an Erdogan, „Möge Gott Ihnen ein langes Leben schenken“.

Das jüngste Vorgehen gegen Journalisten zeigt unmissverständlich, dass staatliche Angriffe auf demokratische Rechte zunehmen und ausgeweitet werden. Die anhaltende Kampagne gegen die Gülen-Bewegung unter dem Vorwand des „Kampfes gegen die Parallelstruktur“ ist Teil der umfassenderen Strategie, einen Polizeistaat aufzubauen. Die Gülen-Bewegung war lange ein Bündnispartner der regierenden islamistischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) und hat sich inzwischen mit ihr überworfen.

In den letzten beiden Jahren hat die AKP-Regierung versucht, die wachsende Opposition in der Arbeiterklasse und der Jugend gegen ihre Kriegstreiberei und soziale Konterrevolution unter Kontrolle zu bekommen. Die Regierung ist sich sehr bewusst über die zunehmende soziale Unzufriedenheit und den Zorn über die kriegerische Außenpolitik der Türkei im Nahen Osten, während ihr gleichzeitig die Möglichkeiten ausgehen, der Bevölkerung Zugeständnisse zu machen. Daher verlegt sie sich immer stärker auf hartes Durchgreifen.

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