Geringe Beteiligung bei italienischen Regionalwahlen

Die Regionalwahlen vom vergangenen Wochenende in der Emilia-Romagna und in Kalabrien gerieten zu einem eindrucksvollen Misstrauensvotum gegen die Regierung von Matteo Renzi (PD): Fast zwei Drittel der Wähler „stimmten mit den Füßen ab“, d.h. sie blieben der Wahlurne fern.

Renzis Demokratische Partei (PD) konnte die Wahl zwar für sich entscheiden, jedoch bei einer extrem niedrigen Wahlbeteiligung. In der Emilia-Romagna erreichte ihr Kandidat Stefano Bonaccini 49 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 37,7 Prozent, die sich gegenüber der Regionalwahl 2010 (68,1%) nahezu halbiert hatte. Das bedeutet, dass gerade mal ein Sechstel der Wähler aktiv für Bonaccinis Regierung stimmten.

Auf den zweiten Platz kam Alan Fabbri von der Lega Nord, der mit Unterstützung von Berlusconis Forza Italia und der faschistischen Fratelli d’Italia-Alleanza Nazionale knapp dreißig Prozent erreichte. Giulia Gibertoni von Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) kam mit dreizehn Prozent praktisch nur auf halb so viele Stimmen wie bei den letztjährigen Parlamentswahlen.

In beiden Regionen, sowohl in der Emilia-Romagna als auch in Kalabrien, waren die scheidenden Präsidenten in Finanzskandale verwickelt. Bonaccinis Vorgänger im Amt und PD-Parteikollege Vasco Errani hatte im Juli zurücktreten müssen, weil sein Bruder öffentliche Fördergelder kassiert hatte, und auch in Kalabrien war Giuseppe Scopelliti (NCD) im April über einen Korruptionsskandal gestolpert. Für die Renzi-Regierung in Rom waren die Wahlen ein wichtiger Test nach der Europawahl im Mai.

In Kalabrien, wo knapp 44 Prozent zur Wahl gingen (2010: 59%), gewann ebenfalls ein PD-Kandidat, Mario Gerardo Oliverio, mit 61 Prozent der Stimmen. Forza Italia erreichte knapp 24 Prozent und die Nuovo Centro Destra (NCD) knapp neun Prozent. Grillos Fünf Sterne konnten mit knapp vier Prozent ihren Sitz im Regionalparlament nicht halten.

Für Beppe Grillo bedeutet das jüngste Wahlresultat einen herben Rückschlag, vor allem in der Emilia-Romagna, wo seine Partei vor zwei Jahren einen steilen Aufstieg feiern konnte. Bei den Parlamentswahlen 2013 hatte die Fünf-Sterne-Bewegung aus dem Stand 25,5 Prozent der Stimmen erreicht, und noch bei den Europawahlen im Mai 2014 kam sie auf über 21 Prozent. Seither hat sie einen Großteil ihres Einflusses eingebüßt und seit der Europawahl im Mai mehr als 400.000 Stimmen verloren (über 280.000 in der Emilia-Romagna, 120.000 in Kalabrien). Fünf Abgeordnete und fünfzehn Senatoren traten bisher aus der „Fünf-Sterne-Bewegung“ aus.

Nur eine einzige Partei konnte bei diesen Regionalwahlen Stimmen zulegen, die Lega Nord. Die Partei erreichte über neunzehn Prozent. Nach dem Rücktritt ihres schwerkranken Vorsitzenden Umberto Bossi 2012, war sie im Korruptionssumpf versackt und auf etwa vier Prozent geschrumpft. Große Teile der Partei wanderten damals zu Beppe Grillo ab.

Wie das jüngste Wahlergebnis zeigt, konnte Bossis Nachfolger, der Mailänder Matteo Salvini, diese Schichten wieder zurückgewinnen. Dazu setzte er übelste Ausländerhetze und schamlose Provokationen ein: So agitierte er persönlich vor Roma-Unterkünften und provozierte tätliche Übergriffe auf Flüchtlinge. In Mailand forderte er besondere Waggons für italienische Frauen im öffentlichen Nahverkehr, um sie „vor Ausländern zu schützen“, etc..

Auch in Beppe Grillos Programm steckte von Anfang an ein zutiefst reaktionärer Kern, wie die World Socialist Web Site schon früh aufzeigte. Grillo hatte mit seinem provokativen Auftreten und seiner Konzentration auf das Internet stark von dem politischen Vakuum profitiert, das die Wirtschaftskrise und der Bankrott der Linken hinterließen.

In letzter Zeit ließ er sich mehr und mehr auf einen Wettstreit mit Matteo Salvini um rechtspopulistische Themen ein, wie man sie bisher hauptsächlich von der Lega Nord kannte.

Er schürt Separatismus, Chauvinismus und sogar faschistische Propaganda. So findet sich in einem Blog auf Grillos Homepage ein Interview mit dem rechten Schriftsteller Arrigo Petacco, der versucht, den faschistischen Staatsführer Benito Mussolini vom Mord an dem Sozialisten Giacomo Matteotti freizusprechen („Passaparola: Mussolini non ha ucciso Matteotti, Arrigo Petacco“). Matteottis Ermordung durch italienische Faschisten hatte im Jahr 1924 den Auftakt zu Mussolinis Diktatur bedeutet.

Ein anderer Blog Grillos bringt ganz im Stil der Lega Nord die Abspaltung verschiedener Regionen von Italien und eine allgemeine Dezentralisierung ins Spiel. Hier wird eine Situation beschworen, in der „die Veneter, die Friulianer, die Triestiner, die Sizilianer, die Sarden, die Lombarden nicht die geringste Notwendigkeit mehr spüren, länger in einem Alptraum zu bleiben, in dem die Demokratie verschwunden ist…“. Modellhaft werden die „Republik Venedig“ und das „Königreich der zwei Sizilien“ erwähnt, und Grillo bezieht sich sogar ausdrücklich auf Bosnien, das ja „gerade mal auf der andern Seite der Adria“ liegt.

Grillos eigene Anhänger protestierten gegen diesen Beitrag und schrieben Kommentare wie diesen: „Ich war einer deiner Fans, und ich habe Dir meine Stimme gegeben. Heute, nachdem diese Lega-Positionen rauskamen, entziehe ich sie dir für immer. Ich glaubte, Du wolltest Italien ändern, nein: Du willst es zerstören.“

Gerade der immer offenere Wettkampf mit der Lega Nord führt aber dazu, dass Grillo seine Unterstützer von rechts wieder an das eigentliche „Original“ verliert. Die Unterschiede zur Lega (die sich bisher auf den Norden konzentrierte und die Abspaltung „Padaniens“ von Italien fordert) sind nur taktischer Natur: In letzter Zeit mobilisiert deren Chef Salvini auch in ganz Italien für eine „Lega dei popoli“ (Lega der Völker). Sein Ziel ist eine gesamtitalienische Bewegung nach dem Vorbild des französischen Front National von Marine Le Pen.

Dies zeigt die Gefahr, die der Arbeiterklasse durch den Aufstieg derart rechter Bewegungen droht. Zwar entsprechen die knapp dreißig Prozent, die bei der Regionalwahl für das Lager der Lega-Nord-Kandidaten stimmten, effektiv nur elf Prozent der tatsächlichen Wahlberechtigten. Aber die rechtsextremen Positionen bringen ein tiefes Bedürfnis der Bourgeoisie zum Ausdruck.

Der Kern der Propaganda sowohl der Lega Nord als auch Grillos Fünf-Sterne-Bewegung besteht darin, die Arbeiter zu spalten: Einheimische gegen Flüchtlinge, Junge gegen Alte, Selbständige gegen Lohnabhängige, Italiener gegen das übrige Europa... Diese Spaltung der Arbeiterklasse gewinnt für die Regierung und die italienische Bourgeoisie strategische Bedeutung. Bisher haben sie sich weitgehend auf die Gewerkschaftsbürokratie, die PD und ihre pseudolinken Satelliten verlassen, um die Opposition in der Arbeiterklasse unter Kontrolle zu halten.

Gerade in der Emilia-Romagna muss eine Wahlenthaltung wie bei der jüngsten Regionalwahl die Alarmglocken der Bourgeoisie schrillen lassen: Die Emilia-Romagna galt im letzten Jahrhundert als so genannter „roter Gürtel“ Norditaliens, hier hatte die damalige stalinistische KPI und später ihre Nachfolgepartei PDS ihre Hochburg. Doch diese Zeiten sind lange vorbei.

Die Bevölkerung kehrt der Demokratischen Partei den Rücken. Sie hat in dieser Regionalwahl im Vergleich zu den Europawahlen im Mai 2014 fast 800.000 Stimmen verloren und konnte sich den Sitz des Regionalpräsidenten nur deshalb sichern, weil es an Alternativen mangelt.

Für den 12. Dezember haben die Gewerkschafts-Dachverbände CGIL und UIL und die Metallarbeiterunion FIOM einen Generalstreik angekündigt. Doch die Arbeiter sprengen mehr und mehr den Griff der traditionellen Gewerkschaften, wie die jüngsten Proteste vom 14. November gezeigt haben.

Die Regierung von Matteo Renzi setzt den sozialen Kahlschlag ihrer Vorgänger Berlusconi, Monti und Letta fort und provoziert mit ihren „Reformen“ immer größere Wut und Erbitterung. Am vergangenen Mittwoch (26. November) stimmte die Abgeordnetenkammer Renzis „Job Act“ zu. Sowohl die Arbeitsmarktreform als die Wahlrechtsreform sollen noch vor Weihnachten vom Parlament verabschiedet werden.

Schon die Rentenreform und mehrere drastische Sparprogramme haben die Lage für die arbeitende Bevölkerung erheblich verschärft. Prekäre Arbeitsbedingungen, Arbeitslosigkeit, Rentnerarmut, eine Jugendarbeitslosigkeit von 45 Prozent und immer neue Entlassungen und Werksschließungen schaffen die Bedingungen für soziale Aufstände.

Die Regionalwahlen vom 23. November zeigen wie dringend der Aufbau einer politischen Führung ist, die die italienische Arbeiterklasse auf der Grundlage eines internationalen, sozialistischen Programms mobilisiert und auf die kommenden Kämpfe vorbereitet. Eine solche Perspektive vertritt nur das Internationale Komitee der Vierten Internationale.

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