Die Produktion von John Adams Oper „The Death of Klinghoffer“ (Der Tod Klinghoffers) an der New Yorker Metropolitan Opera wirft im Wesentlichen zwei Fragen auf.
Die erste betrifft das Recht dieses Werks, öffentlich aufgeführt zu werden. Die Oper, die in Brüssel im Jahr 1991 uraufgeführt wurde, basiert auf der Entführung des Kreuzfahrtschiffs „Achille Lauro“ im Jahr 1985, bei der einer der Passagiere, Leon Klinghoffer, brutal erschossen wurde. Es war das erste Mal, dass die Met die Oper auf die Bühne brachte.
Seit Monaten beschuldigte eine lautstarke, ultra-reaktionäre Fraktion der zionistischen Lobby den Komponisten John Adams des Antisemitismus und forderte, „Klinghoffer“ müsse verboten werden. Diese Kräfte sorgten für den Protest von ein paar hundert Demonstranten vor dem Opernhaus im Lincoln Center, wo am 20. Oktober endlich die Met-Uraufführung stattfand.
Die Aufführung verlief zwar wie geplant, aber der Zensurversuch wurde nur teilweise zurückgeschlagen. Met-Generaldirektor Peter Gelb hatte im vergangenen Frühjahr einem prinzipienlosen Deal mit Abraham Foxman von der Anti-Defamation League (ADL) zugestimmt. Infolge dessen wurde das Projekt einer weltweiten Live-Übertragung der Oper gestrichen, die ein Publikum von vielen Zehntausenden hätte erreichen können.
Intendant Gelb vereinbarte außerdem, eine ganze Seite des Programmhefts, das an das Publikum verteilt wurde, den Töchtern Lisa und Ilsa Klinghoffer zur Verfügung zu stellen, auf der sie die Oper denunzieren und die falsche Behauptung, sie „rechtfertige” Terrorismus, wiederholen konnten. Die Klinghoffer-Töchter arbeiten eng mit der ADL zusammen, die den Mord an ihrem Vater benutzt, um die legitimen Rechte des palästinensischen Volkes anzugreifen und die anhaltenden Verbrechen des israelischen Regimes zu verteidigen und zu vertuschen. Man muss betonen, dass diese Art Einschüchterung durch das zionistische Establishment, die Foxman maßgeblich betreibt, nach wie vor weitergeht.
Dieser Angriff auf die künstlerische Freiheit muss als allererstes zurückgewiesen werden. Danach lautet die zweite, naheliegende Frage, wie weit es dem Werk „The Death of Klinghoffer“ gelungen ist, dem Thema sowohl auf musikalischer als auch auf dramatischer Ebene gerecht zu werden.
Die Antwort auf diese zweite Frage ist, dass Adams Arbeit, zusammen mit seinen früheren Werken „Nixon in China“ und „Doctor Atomic“, zu den wenigen zeitgenössischen Opern gehört, die einen Platz im Repertoire verdienen. Die Musik, die nicht ebenmäßig verläuft, ist oft effektiv und ergreifend. Die Oper setzt sich – wenn auch in gewissen Grenzen – mit dem Thema auseinander, das in den Medien und im Kulturbereich nur selten ernsthaft und wahrheitsgemäß behandelt wird. Der Vorwurf des Antisemitismus ist eine absurde und verachtenswerte Lüge.
Als Koproduktion zwischen der Met und der English National Opera, wo das Stück im Jahr 2012 aufgeführt wurde, zeichnete sich diese Interpretation vor allem durch Realitätsnähe aus. Sie war als Erinnerung des Kreuzfahrt-Kapitäns konzipiert, der an die Ereignisse dieser drei Tage im Jahr 1985 zurückdenkt: Bariton Paulo Szot verlieh dieser Rolle große Wirkung.
Gleichzeitig hat das Werk abstrakte Elemente, vor allem die sechs Chöre, von denen zwei die Oper eröffnen, der Chor der Palästinenser im Exil und der Chor der Juden im Exil.
Der Opernchor des Metropolitan hatte an diesem Werk einen nahezu einmaligen Anteil. Die Oper beginnt mit der Gruppe der palästinensischen Frauen, die um ihre Heimat trauert. Die ersten Worte in dem Stück stellen den Mythos in Frage, Palästina sei ein Land ohne Volk gewesen, als der Staat Israel gegründet wurde. “Das Haus meines Vaters wurde zerstört / Im Jahre 1948“, singen die Frauen. „Von diesem Haus blieb keine Wand bestehen, auf der ein Vogel hätte nisten können. Israel hat alles in Schutt und Asche gelegt.” Schließlich kommt der bittere Konflikt zum Ausdruck, wenn sie singen: “Unser Glaube wird die Steine, die er brach, aufnehmen und ihm die Zähne brechen” [die letzten beiden Zitate aus dem Englischen].
Der Prolog der Oper geht weiter, indem dieselben Sänger ihre Kostüme ausziehen und sich in den Chor der Juden im Exil verwandeln, als welchen sie nun von ihren Hoffnungen und Sorgen singen. So wird in den ersten zwanzig Minuten die Bühne für beide konkurrierenden “Erzählungen” bereitet.
Die Zionisten, die die Oper denunzieren, sehen darin eine “Entschuldigung” oder “Rechtfertigung” der Achille-Lauro-Entführung. Dabei verfälschen sie absichtlich den Unterschied zwischen Rechtfertigung und Erklärung.
Der erste Akt beginnt kurz nach der Entführung. Der größte Teil der Handlung wird durch die Entführer und ihre Interaktion mit dem Kapitän bestimmt. Ihn bewacht Mamoud (Aubrey Allicock), einer der Palästinenser, der nicht ohne Sensibilität von seinen Erinnerungen und von der unmittelbaren Umgebung singt.
Solo-Arien bestimmen einen Großteil dieses Akts. Ein elegischer und ahnungsvoller Ton kommt zum Tragen. Weil die Passagiere um ihre Sicherheit fürchten, versucht der Kapitän, Ruhe zu bewahren, und die Entführer bereiten ihre nächsten Schritte vor.
Der zweite Akt, indem sich die Handlung ihrem Höhepunkt nähert, ist musikalisch und dramatisch sehr viel effektvoller. Die Musik wird nun von einer Art modifiziertem Minimalismus bestimmt. Sie weist Wiederholungen, vorwärtstreibende Rhythmen und verschiedene Stimmungslagen auf und ist für Adams Entwicklung der letzten Jahrzehnte typisch. Die Partitur bietet Vitalität und echte Emotionen.
Im zweiten Akt haben sowohl Leon als auch Marilyn Klinghoffer ihren musikalischen Auftritt. Leon, ausdrucksstark gesungen vom britischen Bariton Alan Opie, fordert die Entführer in einer kurzen Arie heraus. Später, nachdem man auf ihn geschossen und ihn getötet hat, hören wir die Arie des fallenden Körpers, einen abschließenden abstrakten Monolog. Marilyn Klinghoffer (Michaela Martens, Mezzosopran) hat das letzte Wort. Ihre Reaktion auf den Kapitän, der sie über den Tod ihres Mannes informiert, ist bitter und anklagend: “Sie haben ihnen die Hand gereicht!” wiederholt sie mehrmals. Untröstlich wendet sie sich ab, um ihren Mann zu beweinen: “Mich hätten sie umbringen sollen. Ich wollte sterben.”
Bemerkenswert ist an diesem zweiten Akt auch eine spritzige Arie der britischen Tänzerin (Sopranistin Kate Miller-Heidke), die aus dem Rahmen der übrigen Handlung herausfällt und vielleicht deshalb so wirkungsvoll ist. Ein weiterer Höhepunkt ist die Arie, die Omar, der jüngste Palästinenser, singt. In früheren Produktionen war dies eine “Hosenrolle”, von einem Mezzosopran gesungen. In New York wurde Omar durch Jesse Kovarsky, einen Tänzer, dargestellt, dessen Leistung ihm vor dem Vorhang starken Publikumsapplaus eintragen sollte. Seine Geschichte wird derweil von einer Palästinenserin (Maya Lahyani) erzählt, die besingt, wie er beschloss, sein Leben zu opfern.
In der Met-Aufführung waren die Auftritte durchwegs von großer Ausdruckskraft. Erwähnung verdienten auch die beiden anderen Entführer, Molqi, gesungen vom Tenor Sean Pannikar, und “Rambo”, gesungen vom Bassbariton Ryan Speedo Green. Das MET Orchestra dirigierte souverän David Robertson, Generalmusikdirektor des St. Louis Symphony Orchestra.
Sechs Chöre weist die Oper insgesamt auf. Einem Chor des Meeres im ersten Akt entspricht ein Wüsten-Chor in zweiten. Akt. Eins schließt mit einem ahnungsvollen Nacht-Chor, während der Tag-Chor in ungewöhnlich optimistischer Art die Passagiere zeigt, wie sie erleichtert das Schiff verlassen, das kurz vor der letzten Szene in Kairo angelegt hat. Unnötig zu sagen, dass dies musikalisch eine höchst vielseitige Bandbreite erfordert, von den Kostümen und unterschiedlichen Stimmungslagen ganz zu Schweigen. So war der Applaus für diese Gruppe professioneller Sänger unter Leitung von Donald Palumbo bei jedem Vorhang groß.
Die größte Schwäche des Werks zeigt sich vielleicht an den Eröffnungschören. Sie sind zweifellos wirkungsvoll, doch haftet ihnen etwas Abstraktes an. Die "konkurrierenden Erzählungen", die den Boden für die Tragödie bereiten, sind sowohl Stärke wie Schwäche der Oper. Es ist sicher richtig, dass John Adams und die Librettistin Alice Goodman versuchen, die Wurzeln des Terrorismus zu erklären, aber ihre Erklärungen greifen zu kurz.
Nur am Anfang werden die Ereignisse von 1948 erwähnt, als das palästinensische Volk enteignet wurde, und das ist alles. Natürlich ist es leichter gesagt als getan, vor allem in einem Werk dieser Art, jedoch spielen auch die Auswirkungen einer jahrzehntelangen Besatzung, einschließlich der im Krieg von 1967 beschlagnahmten Gebiete, eine große Rolle. Die geopolitischen Aspekte, die Isolierung der Palästinenser und der historische Verrat an ihnen werden nicht erwähnt. Und doch kann der individuelle Terror gegen Unschuldige, der 1985 auf der Achille Lauro zum Ausdruck kam, sonst gar nicht verstanden werden.
Regisseur Tom Morris, Bühnenbauer Tom Pye und Videodesigner Finn Ross haben gemeinsam versucht, mittels projizierter Texte Hintergrundinformationen bereitzustellen. Diese Technik kommt auch in anderen aktuellen Met-Produktionen zum Einsatz. Dies sorgt jedoch zuweilen eher für Ablenkung, denn dadurch wandert der Blick vom dramatischen Bühnengeschehen weg zu den Text-Erläuterungen.
Einmal weist der Text darauf hin, dass Präsident Ronald Reagan während der Achille-Lauro-Krise Oberstleutnant Oliver North anrief, den berüchtigten Architekten des Iran-Contra-Skandals, um eine Antiterror-Arbeitsgruppe einzuberufen. Dies ist nicht unwichtig. Aber da nun mal diese Technik offensichtlich verwendet wurde, muss die Frage gestattet sein, warum nicht auch andere Aspekte der Geschichte erläutert wurden.
Dem Publikum bleibt das Gefühl, Zeuge einer zeitlosen Tragödie zu sein, einer Katastrophe mit einem Anfang, aber ohne Ende. Das ist wahrscheinlich die Art, wie Adams und Goodman die Sache sehen. Ihr durchwegs humaner Versuch, die Situation zu erfassen, ist begrüßenswert, hinterlässt jedoch ein falsches Gefühl von Hoffnungslosigkeit.
Offizieller Trailer der Met-Aufführung.