Bis zu einer Million Demonstranten gingen am Samstag in Rom auf die Straße, um gegen die Arbeits- und Marktreformen und die Austeritätspolitik von Premier Matteo Renzi (PD) zu protestieren.
Zur Demonstration hatte Italiens größte Gewerkschaft CGIL aufgerufen, um einem wirkungsvollen Arbeitskampf gegen die Regierung zuvorzukommen und zu verschleiern, dass die Gewerkschaften die neuen Gesetzentwürfe selbst mit ausgearbeitet haben. So warf die CGIL-Chefin Susanna Camusso Renzi auf der Piazza San Giovanni, wo die Abschlusskundgebung stattfand, vor, er betreibe eine Konfrontationspolitik. Sie forderte ihn auf, auf der Grundlage des traditionellen „sozialen Dialogs“ in Italien enger mit der Gewerkschaftsbürokratie zusammenzuarbeiten.
Auf Camussos Rede folgte ein ähnlich lautender Beitrag von Maurizio Landini, dem Generalsekretär der Metallarbeitergewerkschaft FIOM, der am gleichen Tag auf Reuters TV versicherte: „Wenn er [Renzi] dieses Land wirklich verändern will, dann muss er das mit diesen Leuten zusammen machen, nicht gegen uns.“
Der Demonstration gingen am Freitag mehrere Streiks voraus, die gegen die Kürzungen im öffentlichen Dienst und Renzis so genannten „Jobs Act“ gerichtet waren. Von diesen Streiks war hauptsächlich der Verkehrssektor betroffen, wo es bei der Bahn und im öffentlichen Nahverkehr zu Arbeitsniederlegungen kam.
Auf Transparenten, die durch die Zentren von Rom und andern Städten getragen wurden, waren Portraits von Renzi neben Fiat-Vorstandschef Sergio Marchionne und der Ministerin für öffentliche Verwaltung, Marianna Madia, zu sehen, mit Slogans, die zur „wohl begründeten Entlassung“ dieser Herrschaften aufforderten. Marchionne hat bei Fiat bereits seine eigene radikale Umstrukturierung durchgesetzt und Werke in Italien und andern Ländern Europas geschlossen und Arbeiter entlassen. Marianna Madia, Renzis Ministerin „für Verwaltungsreformen und –vereinfachung“, ist für die Durchsetzung der Kürzungen und der „Reform“ der Arbeitsgesetze im öffentlichen Dienst verantwortlich.
Im Zentrum von Renzis Jobs Act steht die Abschaffung des Kündigungsschutzes und die Ersetzung der bisherigen Arbeitsverträge durch ein einheitliches Vertragsmodell mit dreijähriger Probezeit. Eine solche Aufweichung der Arbeitsplatz-Garantien und anderer Arbeitsschutzrechte für Arbeitnehmer steht seit langem ganz oben auf dem Forderungskatalog des Internationalen Währungsfonds, der EU und des italienischen Unternehmerverbands. Nachdem die rechte Regierung von Silvio Berlusconi dies nicht schaffte, setzt die italienische herrschende Elite ihre Hoffnungen momentan auf Renzi.
Obwohl die Gewerkschaftsführer am Samstag alles taten, sich von Renzi zu distanzieren, sind sie doch eng mit der PD verbunden, haben Renzis Aufstieg unterstützt und arbeiten seit seinem Amtsantritt im Februar eng mit ihm zusammen.
Renzis Arbeitsminister Giuliano Poletti ist ein ehemaliger Gewerkschaftsfunktionär, der der Kommunistischen Partei angehörte. Poletti ist intensiv in die Ausarbeitung des Job-Act-Entwurfs involviert, der praktisch dazu führt, die entscheidenden Errungenschaften der italienischen Arbeiterbewegung seit den 1970er Jahren abzuschaffen.
Renzi hat sich bei der Durchsetzung seiner „Reformen“ von Anfang an auf die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften verlassen. Um die Pille seiner Angriffe auf Arbeiterrechte zu versüßen, hat Renzi vor zwei Monaten eine Steuervergütung in Höhe von kümmerlichen achtzig Euro gewährt, die Menschen mit niedrigem Einkommen bis zu 1.500 Euro zugute kommt.
Über diese Maßnahme waren alle drei großen italienischen Gewerkschaften (CGIL, CISL und UIL) voll des Lobes. Für den UIL-Vorsitzenden Luigi Angeletti ist diese dürftige Steuererleichterung für Niedriglöhner ein „Wendepunkt“. Auch Camusso war begeistert und erklärte: „Wie ich sehe, hört der Premierminister auf uns.“
Anfang Oktober trafen sich Renzi, Poletti und Wirtschaftsminister Pier Carlo Padoan wieder einmal mit mehreren Gewerkschaftsführern, um die Arbeitsgesetze der Regierung zu diskutieren. Teilnehmer waren Camusso (CGIL), Angeletti (UIL) und Annamaria Furlan, die neue CISL-Chefin, sowie auch Geremia Mancini, der scheidende Sekretär der UGL (Unione Generale del Lavoro).
Nach diesem Treffen erging sich Renzi in Lobhudelei über die Gewerkschaftsführer. Er sagte, Regierung und Gewerkschaftsfunktionäre hätten „überraschend gemeinsame Standpunkte entdeckt“. Zwei Gewerkschaftsführer lobten anschließend die „Bereitschaft der Regierung, mit Arbeiterorganisationen zu diskutieren“.
Camusso musste zwar zugeben, dass „Renzis Haltung unverändert“ sei, doch sie begrüßte die Zusage der Regierung, sich zu weiteren Gesprächen mit den Gewerkschaften zu treffen. Diese Gespräche wurden schon am Montag, zwei Tage nach der Demonstration, wieder aufgenommen.
Renzi lässt keinen Zweifel daran, dass er sich über die Proteste hinwegsetzen wird und darauf baut, dass die Gewerkschaften den Widerstand entschärfen werden. Am Samstag trat er auf einem Kongress der Demokratischen Partei in Florenz auf, wo er früher Bürgermeister war, und erklärte: „Die Zeiten sind vorbei, in denen ein Straßenprotest die Regierung aufhalten konnte. Wir werden keinen Zentimeter weichen.“
Renzis Haltung wurde durch die Worte eines seiner großen Gönner, des Hedge Fond Gründers Davide Serra, noch unterstrichen. Serra sprach offen aus, das Ziel des Jobs Act bestehe darin, Italien in ein Niedriglohnparadies für Unternehmer und Investoren zu verwandeln. Er warnte vor einem Scheitern der neuen Gesetze und sagte, dies könnte potentielle Investoren vergraulen.
Die jüngsten Angriffe auf Arbeiterrechte erfolgen in einer Situation, in der ein jahrelanger Sparkurs bereits verheerende Konsequenzen für das Leben der italienischen Bevölkerung hat. Die Wirtschaft ist seit Beginn der Finanzkrise 2009 schon um etwa neun Prozent geschrumpft. Das Land hat eine der niedrigsten Gesamtbeschäftigungsraten der Eurozone, die im August auf 55,7 Prozent gesunken ist, und die Jugendarbeitslosigkeit ist auf dem Rekordstand von 44,2 Prozent angelangt. Nun versucht die Regierung, die Arbeitsrechte auch jener Minderheit von Arbeitern auszulöschen, die bisher noch einen halbwegs vernünftigen Lohn erhalten.