Die Bundesregierung plant, ihr militärisches Eingreifen im Nahen und Mittleren Osten massiv auszuweiten. Am Mittwoch berichtete die Süddeutsche Zeitung unter dem Titel „Berlin will größeres Engagement im Irak“, dass die Regierung eine Ausbildungsmission im Nordirak anstrebt. Das Blatt habe aus Regierungskreisen erfahren, dass das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium prüfen, ob die Bundeswehr kurdische Milizen trainieren kann, die gegen den Islamischen Staat (IS) kämpfen.
Bereits Ende September hat die Bundeswehr mit Waffenlieferungen in den Irak begonnen. Insgesamt will sie 10.000 kurdische Peschmerga-Kämpfer mit Maschinengewehren, Panzerfäusten, Panzerabwehrraketen und Fahrzeugen ausrüsten. Nun sollen deutsche Militärausbilder folgen, um die Milizionäre in einem Ausbildungszentrum im nordirakischen Erbil an den Waffen zu schulen. Bislang sind dort 13 Bundeswehrsoldaten stationiert, darunter sechs Fallschirmjäger.
Laut SZ entstehen im Nordirak insgesamt vier Ausbildungszentren, die von einer internationalen Koalition unter Führung der USA geleitet werden. Die deutschen Ausbilder sollen dabei zusammen mit Soldaten aus anderen Ländern im Lager in Erbil eingesetzt werden. Insgesamt ginge es um 200 bis 300 Soldaten. Der genaue deutsche Anteil sei noch offen. In Militärkreisen sei am Mittwoch eine Zahl „um 100 herum“ kursiert. Nach Angaben aus dem Umfeld der Regierung soll es zunächst „eine gemeinsame Erkundungsreise“ von Vertretern der verantwortlichen Ministerien geben, bevor die endgültige Entscheidung über die Mission fällt.
In Wirklichkeit ist davon auszugehen, dass die Entsendung von deutschen Soldaten in den Irak längst beschlossen ist. Bereits vor zwei Wochen hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen die Obleute des Verteidigungsausschuss im Bundestag darüber informiert, dass Deutschland sein Engagement im Irak verstärken will. Neben dem Aufbau des Ausbildungszentrums in Erbil, sei auch eine deutsche Beteiligung an der Ausbildung der irakischen Armee und die Entsendung zusätzlicher Offiziere der Bundeswehr in Führungsstäbe möglich. Darauf würden die USA, welche die Kriegskoalition gegen den IS im Irak und in Syrien anführen, hinter den Kulissen drängen.
Offensichtlich ist die Ausweitung der deutschen Intervention im Irak eng mit den USA abgestimmt. Am Dienstag und Mittwoch war der amerikanische Außenminister John Kerry zu Besuch in Berlin. Im Mittelpunkt seiner Treffen mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stand die enge transatlantische Kooperation vor allem in der Außenpolitik. Das Jahr 2014 stelle die Weltgemeinschaft vor „sehr viele, auch uns sehr fordernde Aufgaben“, sagte Merkel vor ihrem Treffen mit Kerry. Es sei gut, „dass wir in enger Partnerschaft und Abstimmung mit den Vereinigten Staaten von Amerika agieren“.
Kerry dankte Deutschland für seine führende Rolle bei der Bewältigung von Konflikten wie der Krise in der Ukraine und der Ebola-Epidemie. Berlin hat Anfang des Jahres in engem Bündnis mit den USA in der Ukraine einen rechten Putsch gegen den pro-russischen Präsidenten Viktor Janukowitsch organisiert und arbeitet nun eng mit dem pro-westlichen Oligarchenregime Petro Poroschenkos zusammen. Die Ebola-Epidemie wird von den USA und Deutschland als Vorwand benutzt, die imperialistischen Interessen in Afrika aggressiver zu verfolgen. „Bei allen großen Herausforderungen sind wir Partner“, erklärte Kerry zynisch. Dabei lobte er auch die „wichtige Rolle“ Berlins in den Atomverhandlungen mit dem Iran und in Afghanistan.
Steinmeier betonte auf der gemeinsamen Pressekonferenz in der Villa Borsig vor allem die enge Koordination zwischen den USA und Deutschland bei der jüngsten Kriegsoffensive im Nahen und Mittleren Osten. Es sei richtig gewesen, dass die USA und auch Deutschland eine internationale Allianz gegen den IS geschmiedet hätten. Er machte deutlich, dass die Waffenlieferungen an die Peschmerga nicht das Ende des deutschen Engagements sind. Auch in Syrien müsse weiter intensiv an einer politischen Lösung gearbeitet werden. Mit anderen Worten: Deutschland verfolgt zusammen mit den USA das Ziel, das syrische Assad-Regime zu stürzen, um auch dort eine pro-westliche Marionettenregierung an die Macht zu bringen.
Am Ende seiner Bemerkungen erklärte Steinmeier, es gebe derzeit so viele Konflikte, dass bei den Menschen der Eindruck entstehen könnte, „die Welt scheine aus den Fugen geraten“ zu sein. Die Welt ist vor allem auf Grund der aggressiven westlichen Kriegspolitik „aus den Fugen geraten“. Das zeigt sich in der Ukraine und vor allem im Nahen und Mittleren Osten. Der Überfall auf den Irak 2003, das Nato-Bombardement Libyens 2011 und der vom Westen angeheizte Bürgerkrieg in Syrien, haben Hunderttausenden das Leben gekostet und ganze Länder zerstört.
Der Aufstieg des IS, der nun als Vorwand für einen neuen Nahostkrieg unter deutscher Beteiligung benutzt wird, ist dabei das direkte Ergebnis der vergangenen Interventionen. Die imperialistischen Mächte und ihre regionalen Verbündeten haben lange die gleichen islamistischen Kräfte finanziert und bewaffnet, die sie nun benutzen, um ein direktes militärisches Eingreifen zu rechtfertigen.
Vor allem die deutsche Regierung, die sich am Angriff auf den Irak 2003 und am Nato-Krieg gegen Libyen offiziell nicht beteiligt hat, nutzt nun die Folgen dieser illegalen Kriege, um die Rückkehr des deutschen Imperialismus auf die Weltbühne voranzutreiben. In einem Kommentar in der letzten Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zog Steinmeier stellvertretend für die gesamte deutsche Bourgeoisie seine „Lehren aus Afghanistan“. Das Land steht seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Jahr 2001 unter westlicher Besatzung und versinkt immer mehr im Chaos.
Steinmeier zeichnet ein düsteres Bild vom Zustand des Landes. „Die Drogenökonomie floriert noch immer. Korruption auf allen Ebenen behindert die Modernisierung von Wirtschaft und Staat. In vielen Provinzen herrschen mächtige Warlords, in Teilen des Landes regiert immer noch Gewalt. Wer sich eine schnellere Gleichberechtigung der Frauen erhofft hat, kann trotz mancher Fortschritte nicht zufrieden sein. Und ja, es gibt immer noch die radikalislamischen Taliban.“
Die Schlussfolgerung des Außenministers: „Wir müssen uns entschiedener engagieren, wir dürfen nicht nur aufs Militärische schauen. Wir brauchen einen langen Atem... Der Blick auf die Weltkarte lässt mich davor warnen, unsere Mission voreilig als gescheitert abzuschreiben. In Libyen entschieden sich einige Staaten zu Militärschlägen, um einen blutigen Bürgerkrieg zu verhindern. Zu einem weitergehenden Engagement war aber niemand bereit. Heute droht das Land im Bürgerkrieg zu zerfallen.“ Auch in Syrien habe „sich die Völkergemeinschaft nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen“ können.
Steinmeiers „Lehren“ erinnern an die fürchterliche Logik des deutschen Imperialismus im Ersten und Zweiten Weltkrieg: Das Problem sind nicht die imperialistischen Raubzüge, sondern dass es zu wenig von ihnen gibt und sie nicht aggressiv genug geführt werden!
In der Bundesregierung werden bereits Stimmen laut, die deutsche Kampftruppen im Nahen und Mittleren Osten fordern. In einem Gespräch mit der SZ Ende letzter Woche schloss CSU-Chef Horst Seehofer deutsche Bodentruppen gegen den IS nicht aus. „Sollte sich die Situation dramatisch verändern, dann muss man neu nachdenken“, erklärte er. Die nominellen Oppositionsparteien im Bundestag, die Grünen und die Linkspartei, greifen die Bundesregierung bereits seit längerem von rechts an und fordern, dass Deutschland im Irak und und in Syrien viel massiver eingreift.