Weltfinanzmärkte im Chaos

Die globalen Finanzmärkte erlebten am Mittwoch einen Tag wilder Schwankungen. Die Zeichen nehmen zu, dass das finanzielle Kartenhaus, das die großen Zentralbanken der Welt durch ihre ultra-lockere Geldpolitik errichtet haben, zusammenbrechen könnte.

Die europäischen Börsen erlebten den schlimmsten Absturz seit drei Jahren, als Investoren versuchten, ihre riskanteren Wertpapiere loszuwerden. Die Befürchtung geht um, dass die europäische Wirtschaft in die dritte Rezession seit der Finanzkrise von 2008 abgleitet und dass sich das globale Wachstum weiter verringert.

Der FTSE Eurofirst Index der Top 300 europäischen Aktien ging um drei Prozent niedriger aus dem Handel. Das war sein höchster Tagesverlust seit Ende 2011. Seit Anfang September hat der zentrale Index um elf Prozent nachgegeben.

Ein zentraler europäischer Volatilitäts-Index, der manchmal auch als der “Angstmesser” bezeichnet wird, erreichte seinen höchsten Stand seit Mitte 2012, als die Angst wegen der Staatsschulden mehrerer Länder eine Krise auszulösen drohte. Alle wichtigen europäischen Indizes steuern auf ein Jahresminus zu. Der zentrale deutsche Dax hat im Laufe des Jahres mehr als zehn Prozent eingebüßt.

Während die Verkäufe in Europa weitergingen brach auch an der Wall Street ein wilder Handel sowohl an den Wertpapier- als auch an den Aktienmärkten aus. Extreme Nervosität, wenn nicht Panik, war spürbar.

Im Verlaufe des Tages sackte der Dow Jones zeitweise um mehr als 460 Punkte ab. Das Geld strömte auf der Suche nach einem sicheren Hafen in US-Staatsanleihen. Der Geldstrom nahm solche Ausmaße an, dass der Zins auf die Staatsanleihen innerhalb weniger Minuten um 35 Basispunkte sank. Der Preis der Anleihen, der sich im umgekehrten Verhältnis zum Zins bewegt, wurde durch eine stürmische Nachfrage hochgetrieben.

Der Markt-Kolumnist der Financial Times, John Authers, kommentierte diese dramatische Bewegung mit den Worten, es gebe dafür „keine mögliche Erklärung“ auf der Grundlage ökonomischer Daten, die normalerweise den Aktienmarkt bewegen. „Der plötzliche Absturz der Zinsen auf Staatsanleihen am Mittwoch, auch wenn das meiste bis zum Ende des New Yorker Handelstages wieder korrigiert wurde, lässt vermuten, dass die Krankheit der Märkte, die wir alle in der Krise von 2008 kennengelernt haben, zurückkehrt.“

Nach dem Absturz am Beginn des Handelstages stieg der Dow wieder an und schloss mit einem Tagesverlust von noch 1,06 Prozent. Der S&P 500 schloss 0,81 Prozent niedriger

Einer der Hauptgründe für den Rückgang war die Befürchtung, dass die starke Verlangsamung des globalen und europäischen Wachstums deutliche Auswirkungen auf die USA zeitigen werde.

Nach dem Schrumpfen des deutschen Bruttoinlandsprodukts im zweiten Quartal und einem scharfen Rückgang der Industrieproduktion und des Auftragseingangs im Export im August hat das Wirtschaftsministerium seine Wachstumserwartung für 2014 von 1,8 auf 1,2 Prozent revidiert und seine Prognose für 2015 von zwei Prozent auf 1,3 Prozent. Thomas Harjes, Chefökonom für Europa bei Barclays in Frankfurt sagte zu Bloomberg: „Finanzinvestoren sehen die Aussichten für die deutsche Wirtschaft zunehmend pessimistisch.“

Die Schwächung der exportabhängigen deutschen Wirtschaft ist ein Indikator für eine Abschwächung globaler Trends, weil die Preise für Industrieprodukte zu fallen beginnen. Seit Juni ist der Preis für Rohöl der Marke Brent um 28 Prozent gefallen. Der Preis für Eisenerz ist dieses Jahr bis dato um vierzig Prozent gefallen. Der Preis von Mais, Weizen und Sojabohnen ist ebenfalls zwischen zwanzig und dreißig Prozent gefallen.

Diese Entwicklungen nähren Befürchtungen, dass die viel gelobte amerikanische Erholung, so schwach wie sie war, zu Ende geht. Der scharfe Rückgang der Wall Street begann nach der Bekanntgabe von Zahlen, die zeigen, dass der Einzelhandelsumsatz im September um 0,3 Prozent zurückgegangen ist, nachdem er im August noch gestiegen war.

Der Analyst Allan von Mehren von der Danske Bank sagte der Financial Times, ein Rückgang sei nach einer Periode des Wachstums ganz normal, aber er lässt die Furcht wachsen, dass sich die USA stärker als erwartet verlangsamen, und auf das Niveau der übrigen Welt zurückfallen, anstatt dass diese zu den USA aufschließt.“

Die Angst vor sinkendem weltweitem Wachstum wird durch das Chaos an den Finanzmärkten verstärkt. In den USA wird die Unsicherheit größer, welchen Kurs die Fed verfolgt. Wenn der Wertpapierankauf Ende dieses Monats endet, ist damit zu rechnen, dass die Zinsen zu steigen beginnen.

Aber der Anstieg des Dollars in den letzten Monaten hinterlässt Spuren auf den amerikanischen Exportmärkten. Das nährt die Erwartung, dass die Fed die Rückkehr zu steigenden Zinsen doch noch einmal verschieben könnte.

Die internationalen Gegensätze nehmen zu. Der US-Finanzsektor will, dass die Europäische Zentralbank ihre „quantitative Lockerung“ vom Ankauf von privaten Wertpapieren auf den Ankauf von Staatsanleihen ausweitet. Deutschland wendet sich entschieden dagegen, weil es dadurch eine Schwächung seiner finanziellen Position befürchtet.

Die gegensätzliche Finanzpolitik der USA und Deutschlands war einer der Gründe für den amerikanischen und weltweiten Börsenkrach vom Oktober 1987. Die Fed reagierte auf diese Krise, indem sie die Schleusen öffnete und die Finanzmärkte mit unbegrenzten Mengen Geld versorgte. Das war der Beginn der Politik, die in den letzten 27 Jahren zu einer Finanzblase nach der anderen führte. Die Folgen wurden zunehmend schlimmer.

Die Politik der quantitativen Lockerung der Fed als Reaktion auf die Finanzkrise von 2008 pumpte mehr als drei Billionen Dollar in die Tresore der Banken und Finanzhäuser. So etwas hat es in der Geschichte des globalen Kapitalismus noch nicht gegeben und niemand kann mit Gewissheit sagen, was passiert, wenn das offizielle Zinsniveau auch nur geringfügig angehoben wird. Erste Hinweise gab es im letzten Jahr, als die Fed andeutete, das Programm zum Ankauf von Wertpapieren langsam auslaufen lassen zu wollen. Wilde Ausschläge der Weltmärkte waren die Folge.

Mohammed El-Erian, der frühere Vizechef von Pimco, der weltweit größten Handelsfirma für Wertpapiere, und heute Wirtschaftsberater des deutschen Versicherungskonzerns Allianz, warnt vor “schwerwiegenden Komplikationen” wie Währungsverwerfungen, die sich aus der unterschiedlichen Politik der amerikanischen Fed und der Zentralbanken Europas und Japans ergeben. „Die Geschichte lehrt uns, dass scharfe und schnelle Währungsanpassungen oft Schaden anrichten“, sagte er der Financial Times.

Eine noch schärfere Warnung vor dem möglichen Weg der Finanzmärkte sprach der Vizegouverneur der australischen Zentralbank, Guy Debelle in einer Rede in Sydney am Dienstag aus.

Debelle ist außerdem Vorsitzender des Marktausschusses der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. Er warnte vor „zerstörerischen“ Verkäufen an den Märkten, weil Investoren zu sehr auf eine Fortsetzung der Politik des leichten Geldes durch die Zentralbanken gesetzt hätten.

Er warnte, dass viele Investoren “Wertpapiere unter der Annahme von Liquidität gekauft hätten, die aber nicht vorhanden ist.“ Es gebe zahlreiche Investoren, die davon ausgingen, dass sie sich rechtzeitig vor einer allgemeinen Verkaufswelle von ihren Anlagen trennen könnten. Aber die Geschichte zeige, dass die Ausgänge unerwartet und sehr schnell verstopft sein könnten.“

Ein weiterer Grund, weswegen eine Verkaufswelle “zerstörerisch” sein könnte, sei das Zinsniveau bei Nahe-Null. „Es gibt auf den Märkten ganz sicher Platzierungen, die von Finanzierungskosten von Nahe- Null abhängig sind. Wenn die Finanzierungskosten anziehen, dann werden diese Platzierungen Schiffbruch erleiden“, sagte er.

Weniger als zwei Tage später wurden seine Warnungen zumindest teilweise bestätigt, als die Finanzmärkte heftig in Bewegung gerieten.

Finanzanalysten und diverse Talkmaster im amerikanischen Wirtschaftsfernsehen fordern daher, dass die „Strukturreformen“ der amerikanischen, europäischen und globalen Wirtschaft stärker vorangetrieben werden müssen. Mit anderen Worten, jetzt, da die Bedingungen für eine neue Finanzkrise entstehen, die noch weit verheerendere Folgen haben könnte, als die Krise 2008, kommen diese Sprachrohre der globalen Finanzeliten daher und verlangen, auch noch die restlichen Rechte der Arbeiterklasse völlig zu vernichten.

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