USA und Türkei uneins über Intervention in Syrien

Am Donnerstag traf in Ankara eine Delegation von hohen amerikanischen Regierungsvertretern zu Gesprächen mit der türkischen Führung ein, während sich die Krise an der syrisch-türkischen Grenze weiter verschärft und syrische Kurden in der Stadt Kobane von tausenden von Kämpfern belagert werden, die der Islamische Staat im Irak und in Syrien (Isis) mobilisiert hat.

Die beiden Vertreter der USA sind der pensionierte General John Allen, den Obama zum Koordinator der von den USA geführten Militärkoalition ernannt hat, die die Isis-Truppen angreift; und Brett McGurk, ein Vertreter des Außenministeriums, der für die diplomatische Seite der imperialistischen Intervention zuständig ist.

Wie die türkische Zeitung Hürriyet meldete, hat sich Allen am Donnerstagabend mit dem türkischen Staatssekretär im Außenministerium Feridum Sinirlioglu getroffen.

Die Obama-Regierung drängt die türkische Regierung dazu, entweder Bodentruppen über die Grenze zu schicken, um die Belagerung von Kobane zu durchbrechen, oder bewaffneten türkischen, syrischen und irakischen Kurden zu erlauben, der Stadt zu Hilfe zu kommen. Die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan hat sich bisher geweigert und die USA aufgefordert, sich öffentlich zum Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und der Einrichtung einer Flugverbotszone in Syrien sowie einer von den USA geschützten Pufferzone entlang der syrisch-türkischen Grenze zu verpflichten.

Washington und Ankara sind sich einig, dass Assads Sturz das oberste Ziel ist, aber sie haben starke Meinungsverschiedenheiten darüber, wie dieses Ziel zu erreichen ist, vor allem in ihrer Einstellung zu der kurdischen Miliz YPG, die jetzt in Kobane von drei Seiten von Isis-Truppen angegriffen wird.

Das Erdogan-Regime betrachtet die YPG, eine Abspaltung der kurdischen Separatistenpartei PKK in der Türkei, als große Gefahr, da ihre Kontrolle über eine relativ autonome Kurdenregion in Syrien der viel größeren kurdischen Bevölkerung in der Südosttürkei als Beispiel dienen könnte. Die türkische Regierung stuft sowohl die YPG als auch Isis als "Terroristen" ein und ist durchaus bereit, sie bei Kobane bis zum Tode gegeneinander kämpfen zu lassen.

Vielmehr war es die Politik der Türkei, Isis als Teil der Anti-Assad-Kampagne in Syrien zu unterstützen. Wie US-Vizepräsident Biden letzte Woche zugegeben hat, hat die Türkei tausenden von Isis-Rekruten erlaubt, durch ihr Territorium nach Syrien zu passieren und sich der islamistischen Gruppe anzuschließen.

Diese Einstellung hat politische Unruhen in der von Kurden bewohnten Region der Türkei ausgelöst. Am Dienstag und Mittwoch kamen bei regierungsfeindlichen Protesten mindestens zweiundzwanzig Menschen ums Leben. Am Donnerstag hatte die Regierung in sechs Provinzen in der Südosttürkei den Notstand ausgerufen. Die türkische Polizei stellte sich diese Woche offen auf die Seite der Isis gegen die Kurden und rief bei Straßenschlachten mit kurdischen Demonstranten Pro-Isis-Parolen.

Die Obama-Regierung steht unter zunehmendem Druck, vonseiten des Militär- und Geheimdienstapparates, von ihren kurdischen Verbündeten im Nordirak und von kriegstreiberischen Kritikern aus der Republikanischen und Demokratischen Partei, aggressiver in Syrien zu intervenieren.

Amerikanische Kampfflugzeuge haben ihre Bombenangriffe auf Isis-Stellungen rund um die belagerte Stadt am Mittwoch und Donnerstag verschärft, und die Luftangriffe haben den Vormarsch der Isis-Truppen, die etwa ein Drittel der Enklave kontrollieren, zumindest kurzzeitig aufgehalten. Berichten zufolge hat Isis Verstärkungen aus Raqqa, der de facto-Hauptstadt der Gruppe, geschickt, um den Angriff auf Kobane zu unterstützen.

Ein stetiger Strom von imperialistischen Regierungsvertretern hat Ankara besucht, um die Politik der Türkei zu beeinflussen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu veranstalteten am Donnerstag nach ihren Gesprächen eine gemeinsame Pressekonferenz. "Es ist nicht realistisch, von der Türkei zu erwarten, dass sie eigenständig eine Bodenoperation durchführt. Wir verhandeln darüber“, erklärte Cavusoglu. "Sobald es eine gemeinsame Entscheidung gibt, wird sich die Türkei nicht davor drücken, ihren Teil beizutragen."

Ein anonymer hoher Beamter Ankaras ging noch weiter; er wies Kritik an der Inaktivität der Türkei zurück und warf der Obama-Regierung vor, sie habe "sehr lange mit den Füßen gescharrt, bevor sie sich dazu entschlossen hat, gegen die katastrophalen Ereignisse in Syrien vorzugehen."

Cavusoglu betonte, das Ziel einer Intervention in Syrien müsse der Sturz der Assad-Regierung sein. "Solange Assad an der Macht ist, werden Blutvergießen und Massaker weitergehen," erklärte er. "Das Assad-Regime ist die Ursache für die Instabilität, daher ist ein politischer Wandel notwendig."

Stoltenberg erklärte, der türkische Vorschlag einer Pufferzone oder Flugverbotszone in Syrien würde in keiner Nato-Diskussion über die Krise erwogen, obwohl der französische Präsident Francois Hollande ihn öffentlich unterstützt hat. Aus Washington kamen widersprüchliche Berichte, der Pentagon-Sprecher Admiral John Kirby erklärte, eine Pufferzone sei weiterhin "Diskussionsthema“, der Pressesekretär des Weißen Hauses Josh Earnest erklärte, sie würde derzeit nicht erwogen.

Die widersprüchlichen Berichte sind nicht nur unterschiedliche Botschaften, sie widerspiegeln auch die tatsächliche Zusammenhangslosigkeit der amerikanischen und türkischen Politik in der Syrienkrise. Sowohl Washington als auch Ankara wollen Assads Sturz, doch die türkische Regierung sieht die kurdischen Separatisten als ein unmittelbareres Ziel, die Obama-Regierung versucht Isis als Vorwand für eine Verschärfung ihrer Militäroperationen in der Region auszunutzen.

Die amerikanischen Medien haben zwar ununterbrochen über Verbrechen wie die Enthauptung von gefangenen Journalisten und Entwicklungshelfern durch Isis berichtet, aber die Darstellung der Gruppe als große Bedrohung für die Bevölkerung der Nato-Länder ist lächerlich.

In einem Kommentar auf Politico.com wurde erklärt, dass Isis nur über etwa 30.000 bewaffnete Kämpfer verfügt, "deutlich weniger als alle ihre Gegner: die kurdischen Peschmerga-Kämpfer, irakische und syrische Regierungstruppen und sogar potenziell rivalisierende sunnitische Stämme. Einfach ausgedrückt, ISIL ist von stärkeren Feinden umgeben."

Die Türkei hat eine fast 700.000 Mann starke Armee, die sechstgrößte der Welt und mit Abstand die größte im Nahen Osten. Sie ist mit schweren Waffen aus amerikanischer und europäischer Produktion ausgerüstet, unter anderem mit einer großen Luftwaffe. Dennoch betonte Nato-Generalsekretär Stoltenberg krampfhaft, ein paar tausend Isis-Kämpfer an der türkischen Grenze wären eine so große Bedrohung, dass sie eine Militärintervention nach Artikel V der Nato-Charta rechtfertigen würde.

Während Washington und die Nato die Türkei zur Intervention drängen, veröffentlichte die iranische Regierung letzte Woche eine formelle Demarche zur Entscheidung des türkischen Parlaments letzte Woche, Erdogan die Befugnis zu erteilen, türkische Truppen über die Grenze zu schicken. Der Iran warnte vor "unumkehrbaren Folgen“, wenn die Türkei die Souveränität Syriens verletze, des einzigen Verbündeten des Iran unter den arabischen Staaten im Nahen Osten.

Die Sprecherin des iranischen Außenministeriums Marziyeh Afkham erklärte, Teheran würde Truppen schicken, um in Kobane gegen Isis zu kämpfen, wenn die Assad-Regierung dies fordern sollte. "Kobane ist Teil von Syriens Souveränität und territorialer Integrität, und wenn die syrische Regierung eine Anforderung stellt, sind wir bereit, ihr jede Hilfe zukommen zu lassen, die sie wünscht," erklärte sie am Mittwoch in Teheran.

Der Iran hat bereits vorgeschlagen, Truppen über die Grenze in den Irak zu schicken, um gegen Isis zu kämpfen, wenn die sunnitische Gruppe zu nahe an iranisches Staatsgebiet herankommen sollte.

Die gegensätzlichen Manöver aller Mächte, die an der syrischen Krise beteiligt sind, zeigen nur umso deutlicher, wie rücksichtslos und gefährlich die Politik der USA in der Region ist. Der Krieg, den die USA angezettelt haben, könnte sich möglicherweise weit über seinen derzeitigen Fokus in Ostsyrien und dem Westirak ausdehnen und ein allgemeiner Flächenbrand im Nahen Osten und anderen Teilen der Welt werden.

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