Der Streik der Lokführer in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch hat wütende Angriffe der Medien ausgelöst. Obwohl der Streik nachts stattfand und auf wenige Stunden beschränkt blieb, gingen die Attacken weit über das Maß hinaus, das man in solchen Fällen gewohnt ist.
Spiegel Online veröffentlichte einen Artikel mit dem Titel „Deutschlands dümmste Gewerkschaft“. Darin wirft Spiegel-Autorin Yasmin El-Sharif dem Vorsitzenden der Lokführergewerkschaft GDL Claus Weselsky vor, sein Verhalten und Vorgehen entspringe ausschließlich seinem eigenen egoistischem Machtstreben.
„Weselskys Egotrip“, schreibt die 37-jährige Journalistin, die früher für European Business News in London und Bloomberg-Businessinformation in New York gearbeitet hat, sei „die beste Werbung, die sich Arbeitgeberverbände für ihre Forderung nach einem Tarifeinheitsgesetz wünschen können“. Es sei höchste Zeit, „dass die GDL-Mitglieder aufwachen, um sich nicht den Titel der dümmsten Gewerkschaft der Welt zu verdienen“.
Das Tarifeinheitsgesetz, das gegenwärtig von der Bundesregierung in enger Zusammenarbeit mit den Unternehmerverbänden und den DGB-Gewerkschaften vorbereitet wird, sieht vor, dass zukünftig nur noch die größte Gewerkschaft in einem Betrieb Tarifverhandlungen führen und zum Streik aufrufen darf. Die DGB-Gewerkschaften hätten das Machtmonopol und kleinere Gewerkschaften – wie GDL, Cockpit, UFO (Fluglotsen) und Marburger Bund (Ärzte) – verlören die Existenzgrundlage. Praktisch läuft das auf die Abschaffung des Streikrechts hinaus.
SpiegelOnline wirft den Lokführern vor, dass sie selbst für die Abschaffung des Streikrechts verantwortlich sind, wenn sie nicht freiwillig darauf verzichten. Die Lokführer und auch die Lufthansa-Piloten sollten sich bewusst sein, schreibt El-Sharif, dass „jede überzogene Forderung“ den Befürwortern der Tarifeinheit in die Hände spiele. „Wenn die Lokführer ihren Kurs nicht ändern, rechtfertigen sie ungewollt ihre eigene Entmachtung.“
Mit nahezu den gleichen Worten endet auch ein Online-Kommentar des Südwest-Rundfunks.
Die Süddeutsche Zeitung greift nicht nur den Streik an, sondern auch die Forderung nach fünf Prozent mehr Lohn und einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit um zwei Stunden. Ihre Berliner Parlamentsredakteurin Daniela Kuhr behauptet, laut Bahn entsprächen diese Forderungen „alles in allem einem Plus von 15 Prozent“. „So selbstbewusst muss eine Berufsgruppe erst einmal sein“, entrüstet sie sich.
Vor allem empört sich die SZ-Redakteurin darüber, dass der Streik in breiten Teilen der Bevölkerung Verständnis und Unterstützung findet. Das sei „irre“, schreibt sie und beschimpft die Reisenden als Dummköpfe. Sie zeigten „Verständnis für einen Streik, den sie nicht einmal ansatzweise durchdrungen haben“.
Bereits am Tag vor Streikbeginn hatte der Chef des Innenressorts der Süddeutschen Zeitung Heribert Prantl, der sonst meist auf die Einhaltung der Grundrechte pocht, den Tarifkampf als „Krampf“ bezeichnet. Er habe kein Verständnis für diesen „unnötigen Streik gewerkschaftlicher Wichtigtuer“, schreibt Prantl. Es gehe der GDL-Führung nur um die Konkurrenz mit der DGB-Gewerkschaft EVG (Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft). Damit schade sie sich selbst und diskreditiere die Spartengewerkschaften.
Donnerstag früh meldete sich dann noch Zeit-Kolumnist Jochen Bittner zu Wort und forderte verdeckt aber unmissverständlich, dass die Lokführer in Zukunft zwangsverpflichtet werden und überhaupt nicht mehr streiken dürfen. Lokführer, Piloten und andere Arbeiter, die gesellschaftlich wichtige Arbeit leisten – Bittner nennt sie „Verantwortungsträger in der kritischen Infrastruktur“ – sollten alle Beamte werden. Als Beamter würde jeder angemessen versorgt, schreibt Bittner: „Und, noch wichtiger: Er dürfte nicht mehr streiken.“
Genau darum geht es. Das Streikrecht soll eingeschränkt und de facto abgeschafft werden.
Dieser Angriff auf das Streikrecht steht in direktem Zusammenhang mit der Wiederkehr des deutschen Militarismus. Seit Präsident Gauck und die Bundesregierung Anfang des Jahres das Ende der militärischen Zurückhaltung verkündet haben, werben Politik und Medien für eine massive Aufrüstung, und Deutschland spielt in den beiden bedeutendsten internationalen Konflikten – in der Ukraine und im Nahen Osten – eine aktive politische und militärische Rolle.
Diese aggressive Großmachtpolitik, mit der die Bundesregierung auf die tiefe Krise des Kapitalismus reagiert, duldet keine soziale und politische Opposition im Inneren. Die etablierten Parteien und die Medien haben sich geschlossen hinter den Kriegskurs der Regierung gestellt. Sie entfalten eine gleichgeschaltete Propaganda, die an Diktaturen erinnert. Demokratische Rechte werden ausgehöhlt und der staatliche Überwachungs- und Unterdrückungsapparat systematisch aufgerüstet.
Die Angriffe auf die Lokführer und das Streikrecht stehen in diesem Zusammenhang. Im Ersten Weltkrieg vor hundert Jahren schlossen die Gewerkschaften einen „Burgfrieden“ mit der Reichsregierung, stellten alle Lohnkämpfe ein und unterdrückten alle Streiks. Heute unterstützt der DGB die Kriegspolitik der Bundesregierung und setzt sich dafür ein, das Streikrecht einzuschränken.
Die Schreiberlinge in den Redaktionen, die für Krieg und gegen das Streikrecht hetzen, wissen, dass sie von der GDL (die dem konservativen Beamtenbund angehört) und ihrem Vorsitzenden Weselsky (einem CDU-Mitglied) wenig zu fürchten haben. Ihr Hass gilt den Lokführern und allen Arbeitern, die für ihre Rechte kämpfen und ihre Löhne und sozialen Errungenschaften verteidigen. Deshalb müssen ihre Attacken scharf zurückgewiesen werden.