Der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer (Die Grünen) hat am Montag einen Gastkommentar in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht, der einer Kriegerklärung an Russland gleichkommt. Fischer erklärt darin den Anschluss der Ukraine an die Europäische Union zur Schicksalsfrage Europas.
„Die unfreiwillige Rückkehr der Ukraine in Russlands Einflusssphäre würde das militärisch erzwungene Ende der europäischen Staatenordnung nach dem Kalten Krieg bedeuten“, schreibt Fischer. Die „Unabhängigkeit der Ukraine“ – unter der Fischer die Eingliederung der Ukraine in den Einflussbereich der EU versteht – sei „der Eckstein der postsowjetischen Staaten- und Friedensordnung in Osteuropa. Wenn dieser tragende Pfeiler wegbricht, wird das für die Sicherheit des gesamten Kontinents dramatische Konsequenzen nach sich ziehen.“
Russland wirft Fischer vor, es habe „gegen die Ukraine einen nichterklärten Krieg eröffnet“ und verfolge das Ziel, „jegliche politische und vor allem wirtschaftliche Stabilisierung des Landes dauerhaft zu verhindern“.
Aus dem Munde eines Mannes, der sieben Jahre lang für die deutsche Diplomatie verantwortlich war, sind diese Worte unmissverständlich. Wenn von der „Unabhängigkeit der Ukraine“ die Staaten- und Friedensordnung Europas abhängt und Russland der Ukraine faktisch den Krieg erklärt hat, muss der EU jedes Mittel recht sein, um Russland in die Schranken zu weisen.
Es ist bezeichnend, dass sich Fischer in seinem Artikel der Sprache der Geopolitik bedient. Er schreibt von „Einflusssphären“ und erklärt, die Nichtunterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU „wäre faktisch auf eine Ostverschiebung der Ukraine hinausgelaufen“. Den Sturz des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch im Februar bezeichnet er als „erste proeuropäische Revolution im 21. Jahrhundert“. Sie habe sich „gegen die Rückkehr des Landes in den russischen Einflussbereich“ gerichtet.
Fischer knüpft damit direkt an die Politik des deutschen Imperialismus im vergangenen Jahrhundert an. Das Zurückdrängen Russlands durch die Bildung eines von Deutschland dominierten ukrainischen Pufferstaats gehörte zu den erklärten Kriegszielen des Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg. 1918 wurde dieses Ziel mit der Gründung einer selbständigen Ukraine unter einer deutschen Marionette, dem „Hetman“ Skoropadsky, verwirklicht – bis Deutschland nach der Niederlage an der Westfront von seiner Beute lassen musste und die Oktoberrevolution auch in der Ukraine triumphierte.
Hitler knüpfte nahtlos an diese Politik an. Die entsprechenden Passagen in „Mein Kampf“ waren von Skoropadsky inspiriert, der nach dem Krieg im Münchener Exil lebte und zu den Mitbegründern des Nazi-Parteiblatts Völkischer Beobachter gehörte.
Ende 1938, ein knappes Jahr vor Hitlers Überfall auf Polen, erschienen in der internationalen Presse zahlreiche Berichte über deutsche Pläne für eine von Berlin dominierte Großukraine. Entsprechende Konzepte hatte eine Arbeitsgruppe unter dem Nazi-Ideologen Alfred Rosenberg ausgearbeitet, der 1946 in Nürnberg zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde.
„Die meisten sowjetischen sowie ausländischen Diplomaten und Politiker waren der Meinung, Hitler werde nicht direkt in die Ukraine einfallen, sondern bestrebt sein, dort eine separatistische Bewegung auszulösen“, schreibt der russische Autor Wadim S. Rogowin über diese Episode. Er zitiert den sowjetischen Botschafter in London, Maiski, der die Ansicht äußerte, Hitlers Linie werde „in etwa die gleiche sein wie mit der Tschechoslowakei. Zuerst ein Anwachsen des Nationalismus, Ausbruch von Unruhen, Aufstände der ukrainischen Bevölkerung, und im Anschluss daran die ‚Befreiung‘ der Ukraine unter der Devise der ‚Selbstbestimmung‘.“ (1)
Hitler entschied sich schließlich gegen einen großukrainischen Marionettenstaat. Stattdessen ließ er große Teile der ukrainischen Bevölkerung ausrotten, um „Lebensraum“ für eine spätere deutsche Besiedlung zu schaffen. Aber das von Maiski geschilderte Szenario entspricht – mit den nötigen historischen Korrekturen – ziemlich genau dem Vorgehen Berlins im vergangenen Jahr: Schüren von Nationalismus, Unterstützung eines „Aufstands“, und schließlich Loslösung der Ukraine aus dem „russischen Einflussbereich“ im Namen der „Unabhängigkeit“.
Dass Berlin dabei eng mit faschistischen Kräften zusammenarbeitete, die in der Tradition von Nazi-Kollaborateuren aus dem Zweiten Weltkrieg stehen, unterstreicht die historische Kontinuität zwischen der Politik des Dritten Reichs der heutigen Politik der Bundesregierung.
Obwohl diese Politik die Ukraine in einen Bürgerkrieg gestürzt und die Gefahr einer nuklearen Konfrontation mit Russland heraufbeschworen hat, beharrt Fischer darauf, dass sie unbeirrt fortgesetzt wird. Er gibt sich nicht mit dem Assoziierungsabkommen zufrieden, sondern verlangt, dass die Ukraine in die EU aufgenommen wird. Es werde „kein Weg an ihrer EU-Mitgliedschaft vorbeiführen“, schreibt er.
Dass Fischer gleichzeitig verspricht, die „Europäisierung“ der Ukraine werde zum Bruch „mit Korruption und Oligarchenherrschaft“ führen, zeigt die Skrupellosigkeit dieses imperialistischen Machtpolitikers. Fischer kennt die Figuren, die in Kiew mit europäischer Unterstützung an die Macht gelangt sind, aus eigener Anschauung. Er ist international bestens vernetzt. Er macht die Beziehungen, die er als Außenminister geknüpft hat, inzwischen als Lobbyist für international tätige Unternehmen zu Geld. Seine Firma „Joschka Fischer & Company“ arbeitet dabei eng mit dem Unternehmen seiner ehemaligen amerikanischen Amtskollegin Madeleine Albright, „Albright Stonebridge Group“, zusammen.
Der neue ukrainische Präsident, Petro Poroschenko, ist ein milliardenschwerer Oligarch, der auf der Forbes-Liste der reichsten Ukrainer auf Platz sieben rangiert. Ihm gehören nicht nur der Süßwarenkonzern Roshen, sondern auch Fabriken in der Auto-, Schiffs- und Rüstungsbranche sowie ein Fernsehsender, der in der Maidan-Bewegung eine führende Rolle spielte.
Poroschenko hat zwei weitere Oligarchen zu Gouverneuren ernannt: Igor Kolomojskij (Nummer 2 oder 3 auf der Reichenliste) in Dnjepropetrowsk und Serhij Taruta (Nummer 17) in Donetsk. Kolomojskij finanziert faschistische Milizen wie das Dnjepr- und das Azow-Bataillon, die die ostukrainische Bevölkerung und Oppositionelle terrorisieren. Er nutzt seinen Einfluss, um dem reichsten Mann der Ukraine, Rinat Achmetow, seinen Rang streitig zu machen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Auch andere Politiker des pro-westlichen Lagers, wie Julia Timoschenko und Witali Klitschko, pflegen Verbindungen zu Oligarchen-Clans oder verfügen selbst über hunderte Millionen.
Diese Bande von Mafia-Paten, die in einem Film von Francis Ford Coppola gut aufgehoben wäre, soll also laut Fischer in der Ukraine mit Korruption und Oligarchenherrschaft aufräumen. Man könnte darüber lachen, wenn die Folgen nicht so gefährlich wären.
Fischer spielt heute bei den Grünen, abgesehen von vereinzelten Gastauftritten, keine aktive Rolle mehr. Aber politisch folgt die Partei immer noch seinen Vorgaben. Sie lässt sich von keiner anderen Partei übertreffen, wenn es darum geht, die Kriegstrommel gegen Russland zu rühren.
Die parteinahe Heinrich-Böll-Stiftung hat bereits bei der Vorbereitung und Durchführung des Putsches vom 22. Februar eine führende Rolle gespielt. Seitdem wirbt sie unermüdlich für eine härtere Haltung gegenüber Moskau. Ihr Vorstand, Ralf Fücks, hat erst am Dienstag im Deutschlandfunk gefordert, deutsche Aufklärungsdrohnen und Soldaten zur Überwachung der russischen Grenze in die Ukraine zu schicken.
1999, als Fischer Außenminister war, hatten die Grünen das Tabu deutscher Kampfeinsätze im Ausland durchbrochen und sich an der Bombardierung Jugoslawiens beteiligt, wo Hitlers Wehrmacht einige ihrer schlimmsten Verbrechen beging. Nun spielen sie eine Vorreiterrolle bei der Rückkehr deutscher Soldaten an einen weiteren Schauplatz bestialischer Nazi-Verbrechen.
Viele führende Grüne hatten ihre politische Laufbahn 1968 mit Protesten gegen den Vietnamkrieg begonnen. Aufgestiegen zu Wohlstand haben sie sich selbst in imperialistische Kriegstreiber verwandelt. Fischer, der im Gegensatz zu vielen seiner Freunde aus gutbürgerlichem Elternhaus aus bescheidenen Verhältnissen kam und als Schulaussteiger in die Protestbewegung einzog, hat diesen Aufstieg verinnerlicht. An Arroganz, Skrupellosigkeit, Raffgier und Verachtung für die Bevölkerung übertrifft er sie alle.
1) Wadim S. Rogowin, „Weltrevolution und Weltkrieg“, Arbeiterpresse (Mehring) Verlag 2002, S. 180