Buchbesprechung

„Wem gehört Deutschland?“

Wem gehört Deutschland? Die wahren Machthaber und das Märchen vom Volksvermögen“, von Jens Berger, erschienen im Westend Verlag, Frankfurt, 5. Auflage 2014

Seit mehr als drei Monaten besetzt das Buch „Wem gehört Deutschland?“ einen Platz unter den ersten Zehn auf der Sachbuchliste des Spiegel oder der Wirtschaftsbestsellerliste des Manager Magazins. Die Umverteilung des Reichtums von unten nach oben, die sich in den letzten zehn Jahren beschleunigt hat, weckt großes Interesse an dieser Frage.

„Vermögen bedeutet stets auch Macht: Wer Vermögen besitzt, hält auch den Hebel in der Hand, gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen und die politische Debatte zu lenken.“ Der Autor weist auf die „zahlreichen Denkfabriken“ hin, „die auffällig oft von Familienstiftungen der Superreichen finanziert werden.“

Das Buch soll eine Informationslücke über die Reichtumsverhältnisse schließen, da der „Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung“ sich hauptsächlich auf die Armutsverhältnisse beschränkt. Die diesem Bericht zu Grunde liegende Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Bundes und der Länder liefert „keine Angaben für Haushalte mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von 18.000 Euro und mehr, da diese in der Regel nicht in so ausreichender Zahl an der Erhebung teilnehmen, dass gesicherte Aussagen über ihre Lebensverhältnisse getroffen werden können,“ schreibt dazu das Statistische Bundesamt. Die mangelhafte statistische Datenerhebung macht daher eine Untersuchung der Vermögensverhältnisse in Deutschland zur „Detektivaufgabe“.

Jens Berger erklärt ökonomische Kategorien, mit denen Statistiken arbeiten, um Armut und Vermögen zu erfassen, in verständlicher Weise und belegt sie mit umfangreichen Daten. Aufgrund seiner Analyse von Daten aus verschiedenen Quellen, wie der SOEP Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung oder der Studie „Private Haushalte und ihre Finanzen“ (PHF) der Bundesbank, nimmt die wachsende Schere zwischen Arm und Reich Gestalt an.

So erfährt der Leser, dass das oberste Promille ungefähr soviel Geld hat, wie die unteren 85 Prozent aller deutschen Haushalte. Das Vermögen der 80.000 wohlhabendsten Deutschen ist 16 Mal so groß wie das Vermögen der ärmsten 40 Millionen Deutschen, das der 800.000 wohlhabendsten Deutschen (von etwa einem Prozent der Bevölkerung) fast genau so groß wie das Vermögen der übrigen 80 Millionen. Die untersten 20 Prozent der Bevölkerung besitzen überhaupt kein Vermögen.

Berger gelangt zum Schluss: „Deutschland zählt im internationalen Vergleich zu den Ländern mit der höchsten Vermögensungleichheit.“ „Vermögen werden in Deutschland in der Regel nicht erarbeitet oder gar zusammengespart, sondern ererbt“, schreibt er und weist darauf hin, dass die Vermögen seit 1991 im Durchschnitt um 4,4 Prozent pro Jahr gestiegen sind, während das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur um 2,4 Prozent zunahm und „die Reallöhne überhaupt nicht gewachsen“ sind.

Als Indiz für diese Entwicklung nennt er den Anstieg des Deutschen Aktienindex DAX. Im Verlauf der letzten 18 Jahre stieg der DAX um 340 Prozent, während das BIP um weniger als 50 Prozent wuchs.

Gewinne, die früher von staatlichen Betrieben in öffentliches Vermögen flossen, wurden seit den 80er Jahren durch Privatisierung in private Hände übertragen, was außerdem zu drastischen Preissteigerungen führte. Unter dem Slogan „Weniger Staat – mehr privat“ begann die CDU/FDP-Regierung bereits 1984 mit dieser Politik, die von der rot-grünen Koalitionsregierung fortgeführt wurde. So wurden Industrie- und Bergbaubeteiligungen, die Lufthansa, Beteiligungen an mehreren Banken, die Mehrheit der Telekom, 49,9 Prozent der Post und zahlreiche Wohnungsgesellschaften privatisiert.

„Von den 41 Millionen Wohnungen in Deutschland gehören 33 Millionen, das sind mehr als 80 Prozent, Privatpersonen oder privaten Eigentümergemeinschaften“, schreibt Berger. „Die Hälfte des privaten Immobilienvermögens des Landes gehört den oberen 5 Prozent der Bevölkerung.“ Laut dem Immobilienportal immowelt.de sind „von den mehr als 4 Millionen Sozialwohnungen Ende der 80er Jahre nur 1,5 Millionen übrig geblieben – Tendenz weiter rückläufig.“

Die im Grundgesetz §106 vorgesehene Vermögensabgabe wurde seit Beginn der 80er Jahre nicht mehr erhoben und die Vermögenssteuern für die Länder liefen 2006 aus, obwohl die Gesetze weiterhin bestehen. Selbst in der Finanzkrise, als die Bundesregierung den Banken Hunderte von Milliarden an Stützungsgeldern in den Rachen warf, wurde das Gesetz nicht beansprucht.

Die soziale Ungleichheit wächst nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt. Dazu nennt der Autor schockierende Zahlen: „Die 85 reichsten Menschen der Welt besitzen genau so viel wie die ärmsten 3,5 Milliarden Menschen zusammen. Ein Prozent der Weltbevölkerung verfügt über ein Vermögen von 80 Billionen Euro… Das ist 65-mal so viel, wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung besitzt.“

Der Abstand zwischen Arm und Reich war noch nie so groß wie heute. Das zeigt sich auch in der Steuergesetzgebung der westlichen Industrieländer, wo die Spitzensteuersätze seit den 1980er Jahren drastisch gesenkt wurden. Damals begann die US-Regierung unter Präsident Reagan mit einem umfassenden Angriff auf die sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse und verhalf der Finanzindustrie, die einen immer stärkeren Einfluss auf die Politik nahm, durch Deregulierung zu einem rasanten Wachstum.

Jens Berger beschreibt diese Entwicklung anhand des größten amerikanischen Vermögensverwalters, BlackRock Inc., dessen Anteile zu 75 Prozent die drei Großbanken Merrill Lynch (USA), Barclays (UK) und PNC Financial Services (USA) halten.

Unter Hinweis auf eine Studie der ETH Zürich (J.B. Glattfelder u.a.) beschreibt er das Netzwerk, das wiederum diese drei Finanzinstitute kontrolliert. Die Studie untersucht über 43.000 transnationale Unternehmen. Knapp 150 Unternehmen, die Hälfte davon Finanzunternehmen, kontrollieren 40 Prozent der weltweiten Großkonzerne. 19 der 20 mächtigsten Unternehmen der Welt sind Finanzunternehmen, die sich hauptsächlich in den USA und Großbritannien befinden.

Enttäuschend sind allerdings die Schlussfolgerungen, die Berger aus den genannten Zahlen zieht. „Zivilisiert den Kapitalismus!“ lautet der Schlachtruf, mit dem das Buch endet. Mit „16 Punkten für einen Weg zu einer gerechten und stabilen Gesellschaft“ versucht er zur Reformpolitik der 1960er Jahre zurückzukehren, so dass „endlich die Menschen ihren Spargroschen in die Produkte und Anlageformen stecken [können], die sie selbst für die besten halten und dann auch selbst die Zinseinnahmen zum Vermögensaufbau nutzen [können].“

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