Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit arbeitet eine Kommission von ehemaligen Verteidigungspolitikern der CDU/CSU und SPD sowie Militärexperten seit einigen Monaten an der Aushebelung des Parlamentsvorbehalts bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr.
Geleitet wird die Kommission vom ehemaligen Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU), seine Stellvertreter sind Walter Kolbow (SPD), ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium und Wolfgang Schneiderhan, ehemaliger Bundeswehr-Generalinspekteur.
Ihre Tätigkeit steht in engem Zusammenhang mit der Wiederkehr des deutschen Militarismus und dem erklärten Ziel der Bundesregierung sowie des Bundespräsidenten, Deutschland müsse wieder eine größere Rolle und Verantwortung in der Welt übernehmen, auch unter Einsatz militärischer Mittel.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde als Reaktion auf die Kriegsverbrechen der Wehrmacht im Grundgesetz festgelegt, dass die Bundeswehr eine reine Verteidigungsarmee sei. Das Grundgesetz verbietet ausdrücklich die Vorbereitung eines Angriffskriegs. Nach der Wiedervereinigung drängte die damalige CDU-Regierung jedoch darauf, die Bundeswehr auch an bewaffneten Auslandseinsätzen der UNO und NATO teilnehmen zu lassen. Sie schickte 1991 und 1992 ohne Bewilligung des Parlaments Soldaten als Teil bewaffneter "Friedensmissionen" der UNO nach Somalia und Kambodscha, und beteiligte 1992 die Bundeswehr an NATO-Überwachungsflügen über Bosnien-Herzegowina. 1992 vollzog die SPD, die sich noch in der Opposition befand und zuvor solche Einsätze kritisiert hatte, eine außenpolitische Wende, forderte aber eine gesetzliche Klärung. Das Bundesverfassungsgericht urteilte schließlich im Juli 1994, dass der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig sei, jeder Einsatz allerdings die Zustimmung des Deutschen Bundestags benötige.
Seitdem haben die Regierungen, insbesondere seit der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer die Auslandseinsätze der Bundeswehr systematisch ausgeweitet. Der Bundestag segnete solche Einsätze vom Jugoslawien-Krieg bis zum Afghanistan-Einsatz regelmäßig ab.
Doch mit der außenpolitischen Wende seit der vergangenen Bundestagswahl und der zugespitzten politischen Lage in der Ukraine und im Nahen Osten ist den führenden Politikern und Militärs dieses bisher praktizierte Verfahren zu aufwendig. Sie wollen einen Freibrief für schnelle bewaffnete Interventionen. Als Begründung betonen sie die Bündnispflicht: Eine zwingend erforderliche Parlamentsentscheidung über Bundeswehreinsätze sei ein Hindernis für Deutschlands Zuverlässigkeit als Bündnispartner und für seine Führungsverantwortung in der NATO.
Am 29. Juli berichtete die Süddeutsche Zeitung über das letzte Treffen der Verteidigungspolitischen Kommission am 8. Juli in Aachen. Sie zitiert den Politikwissenschaftler James Davis, Professor an der Universität St. Gallen und Mitglied der Kommission, mit der Aussage, Deutschland gehöre zu der Gruppe von Ländern, "in der das Mitspracherecht des Parlaments besonders ausgeprägt" sei. Dies würde den Einsatz in multinationalen Verbänden erschweren.
In diesem Sinne äußerte sich auch Volker Rühe, der von 1992 bis 1998 Verteidigungsminister in den von Helmut Kohl geführten Regierungen war. "Wir haben bereits jetzt keine nationalen Streitkräfte mehr, sondern die Armeen arbeiten auf europäischer Ebene zunehmend arbeitsteilig. ... Das wird sich noch deutlich verstärken. Das heißt aber auch, dass ihr Anteil dann gesichert verfügbar sein muss."
Die Forderung nach einer Aufweichung und Aushebelung des Parlamentsvorbehalts wird in diesem Zusammenhang bereits seit längerem erhoben. So äußerte sich auch Walter Kolbow (SPD), der stellvertretende Vorsitzende der Kommission: "Mit einer Wehrverfassung von 1955 werden wir im internationalen Rahmen nicht mehr weit kommen. Es geht darum, für die Verbündeten eine Verlässlichkeit herzustellen."
Vor ihrem Treffen in Aachen besuchten die Mitglieder der Kommission das Europäische Luftfahrttransportkommando im niederländischen Eindhoven, das Nato-Hauptquartier "Allied Joint Force Nato-Command" in Brunssum und den Stützpunkt der Awacs-Aufklärungsflugzeuge in Geilenkirchen.
In Geilenkirchen stellt die Bundeswehr 440 der 1300 beim Awacs-System eingesetzten Soldaten. Deutschland finanziert ein Drittel des jährlichen Awacs-Budgets in Höhe von etwa 250 Millionen Euro. Als sich die Bundesregierung bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über die Bombardierung Libyens durch die NATO im März 2011 enthalten hatte, mussten die deutschen Besatzungsmitglieder aus den Awacs-Flugzeugen, die zu diesem Zweck über Libyen kreisten, abgezogen werden.
Diese Enthaltung, die inzwischen von deutschen Politikern, vorneweg von Vertretern der Grünen, als schwerer außenpolitischer Fehler betrachtet wird, führen die Befürworter eines stärkeren militärischen Auftretens Deutschlands immer wieder als einen Fall an, der sich nie mehr wiederholen dürfe.
Rühe erklärte dazu, dass dies ein wesentlicher Bestandteil des Arbeitsauftrags der von ihm geleiteten Kommission sei: "Es muss ein Weg gefunden werden, der für Vertrauensschutz sorgt, damit die europäischen Staaten sich auch auf solche arbeitsteiligen militärischen Strukturen einlassen."
Am Sitz der NATO-Kommandostelle im niederländischen Brunssum arbeiten 800 Soldaten, davon 90 aus Deutschland. Geleitet wird sie zurzeit von dem deutschen General Hans-Lothar Domröse. Einige Militärs betonten bei ihrem Kommissionsbesuch, dieses Kommando würde nahezu lahmgelegt, wenn die deutschen Kräfte im Ernstfall aus den Führungsstäben abgezogen würden.
Auch vor drei Jahren beim Einsatz gegen Libyen kam diese Frage auf. Allerdings wurden die deutschen Führungsoffiziere aus dem NATO-Kommando letztlich nicht abgezogen, obwohl sich Deutschland bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über den Einsatz enthalten hatte. Auch diese Tatsache wurde vor der breiten Öffentlichkeit verheimlicht!
Ein Vorschlag der Kommission zur Umgehung des Parlamentsvorbehalts könnte nach Rühe so aussehen: Die Bundesregierung lässt sich einmal im Jahr vom Parlament sogenannte "transnationale Fähigkeiten" pauschal genehmigen, also eine Art Blankoscheck für internationale Militäreinsätze ausstellen. Der Bundestag solle "zustimmend zur Kenntnis" nehmen, dass sich andere Nationen in diesen Bereichen auf die Deutschen verlassen können. Bei einem konkreten Einsatz müsse der Bundestag zwar dann immer noch zustimmen, aber die politische Hemmschwelle für eine Ablehnung wäre dann deutlich höher.
Die Forderungen und Wünsche der Militärführung und auch vieler Politiker gehen aber noch deutlich weiter. So fordern einige, die Abstimmung des Bundestags vor dem Bundeswehreinsatz durch ein sogenanntes Rückholrecht zu ersetzen. Die Süddeutsche Zeitung schreibt dazu: "Die Regierung beschließt einen Einsatz, der Bundestag kann ihn (theoretisch) wieder beenden. Bei Einsätzen, ,die keinen Aufschub dulden', ist das bereits jetzt möglich, doch darüber hinaus wird es sich nicht durchsetzen lassen."
Die Kommission soll bis zum April nächsten Jahres ihre Vorschläge dem Bundestag unterbreiten. Ihr nächstes Treffen ist für den 11. September geplant. Grüne und Linke haben trotz Einladung keine Mitglieder in die Kommission entsandt, angeblich weil sie eine Schwächung der Rechte des Parlaments fürchten.
Die Verteidigungspolitikerin der Grünen Agnieszka Brugger sagte dazu: "Wir hätten wirklich gern mitgearbeitet, wenn die Regierungsfraktionen auf unsere Anregungen eingegangen wären." Nach ihrer Meinung biete das Parlamentsbeteiligungsgesetz in seiner jetzigen Form bereits Mechanismen "für schnelle Reaktionen". Das Parlament habe "bislang immer große Verantwortung gezeigt". Man sollte hinzufügen, insbesondere dank der Zustimmung der Grünen zu den Auslandseinsätzen seit 1998!
Auch führende Vertreter der Linken haben immer wieder betont, dass die Zustimmung zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr, wenn sie "humanitär" begründet werden, an ihnen nicht scheitern werde.
Der Vorstoß für die Abschaffung des Parlamentsvorbehalts bei Auslandseinsätzen macht deutlich, dass die Wiederbelebung eines aggressiven deutschen Militarismus mit der zunehmenden Einschränkung demokratischer Strukturen einher geht.