Das malaysische Passagierflugzeug MH17 wurde am 17. Juli möglicherweise von einer ukrainischen Flugabwehr-Einheit versehentlich während einer Übung abgeschossen. Das meldet die russische Nachrichtenagentur Rianovosti unter Berufung auf eine anonyme Quelle im ukrainischen Sicherheitsapparat.
Danach war dem Chef des 156. Flugabwehr-Raketenregiments befohlen worden, am 17. Juli die Deckung von Bodentruppen in einem Vorort von Donezk zu üben. Die Einheit habe die Aufgabe gehabt, die Begleitung und Vernichtung von Zielen „mit einer Rakete vom Typ Buk-M1 im Trainingsmodus auszuführen“.
An der Übung hätten auch zwei Kampfjets des Typs Su-25 vom Luftwaffenstützpunkt der 229. Brigade der taktischen Fliegerkräfte Kulbakino in Nikolajew teilgenommen, die als Kontrollziele dienten. Eines dieser Flugzeuge sei in der Nähe des Ortes Sarostschenskoje vom Flugabwehr-Raketensystem Buk erfasst worden.
„Der tragische Zufall könnte dazu geführt haben, dass die Flugrouten der malaysischen Boeing und der Su-25, die sich auf unterschiedlichen Höhen befanden, sich überkreuzten und auf dem Bildschirm als ein großer Punkt erschienen, was für die Zivilmaschine fatal wurde, weil sich das Beobachtungssystem in dem Fall automatisch auf das größere Ziel umstellt“, berichtete die Quelle laut Rianovosti.
Ein realer Raketenstart sei nicht vorgesehen gewesen. Warum möglicherweise trotzdem eine Rakete abgeschossen wurde, konnte der Informant nicht erklären. „Mit dieser Frage befassen sich Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes der Ukraine, die den Chef und die Mannschaft der Batterie gegen halb zehn Uhr abends abgeholt haben“, sagte er.
Von ukrainischer Seite wurde diese Informationen umgehend als falsch zurückgewiesen. „Die Informationen darüber, dass die Boeing während einer Flugabwehr-Übung abgeschossen wurde, sind absoluter Wahnsinn“, erklärte ein Sprecher des Kiewer Verteidigungsministeriums.
Verifizieren lassen sich die Angaben der von Rianovosti zitierten Quelle nicht, genauso wenig wie Behauptungen von US-Regierungskreisen, prorussische Separatisten hätten das Flugzeug abgeschossen. Die USA haben dafür bisher keinen einzigen Beweis vorgelegt, sondern sich lediglich allgemein auf „Erkenntnisse der Geheimdienste“ berufen.
Das russische Verteidigungsministerium hatte der Öffentlichkeit dagegen schon am Montag präzise Daten präsentiert, die unter anderem die Anwesenheit eines ukrainischen SU-25-Jägers in der Nähe der ukrainischen Boeing zur Zeit des Absturzes beweisen.
Generalleutnant Andrei Kartopolow von der Führung der russischen Streitkräfte hatte auf der Pressekonferenz erklärt, die SU-25 wäre in der Lage gewesen, die malaysische Boeing mit einer Rakete zu zerstören. Er hatte auch Satellitenbilder von ukrainischen Buk-Batterien gezeigt, die sich in der Nähe der umkämpften Region befanden, und über eine erhöhte elektronische Aktivität von Radarstationen zur Zeit des Absturzes berichtet, die Zielinformationen an die Buk-Batterien übermitteln. Diese Informationen würden die Angaben der Quelle von Rianovosti bestätigen.
Die ukrainische Armee hatte schon 2001 während einer Übung mit Buk-Raketen versehentlich ein russisches Passagierflugzeug vom Typ Tupolew 154 über dem Schwarzen Meer abgeschossen. Alle 78 Insassen starben.
Obwohl bisher völlig ungeklärt ist, wer die malaysische Passagiermaschine abgeschossen hat, und sich Hinweise auf eine ukrainische Täterschaft häufen, schlachten Washington, Berlin und die Europäische Union die Flugzeugkatastrophe systematisch aus, um ihre Offensive gegen Russland zu verschärfen, und gehen dabei enorme Risiken ein.
Verschärfte Wirtschaftssanktionen drohen die russische, die europäische und die Weltwirtschaft in eine neue Krise zu stürzen, und die Entsendung bewaffneter Einheiten in das Katastrophengebiet, wie sie die Niederlande und Australien mit einer UN-Resolution anstreben, birgt das Risiko einer militärischen Eskalation bis hin zu einer nuklearen Konfrontation mit Russland.
Die Westmächte stützten sich dabei auf ein rechtes, unberechenbares, von inneren Konflikten zerrissenes Regime in Kiew, das eine Eskalation des Krieges zunehmend als einzige Möglichkeit betrachtet, sich an der Macht zu halten. Das wurde am Donnerstag deutlich, als Ministerpräsident Arseni Jazenjuk unter heftigen Anschuldigungen sein Amt hinwarf.
Jazeniuk trat zurück, nachdem mehrere Wirtschaftsgesetze im Parlament gescheitert waren. Darunter befand sich auch ein Gesetz, das den teilweisen Verkauf des Gastransportsystems des Landes an ausländische Investoren ermöglicht und dringend benötigtes Geld in die Staatskasse gespült hätte. Zuvor hatten die Partei Udar des Kiewer Bürgermeisters und Ex-Profi-Boxers Vitali Klitschko sowie die faschistische Partei Swoboda das Regierungsbündnis mit Jazeniuks Vaterlandspartei aufgekündigt.
Jazeniuk verurteilte dies als „moralisches und ethisches Verbrechen“ mit „dramatischen Konsequenzen für unser Land“. In einer wütenden Parlamentsrede warf er seinen bisherigen Verbündeten vor, „unverantwortlich politische Interessen von Einzelnen über das Schicksal des Landes zu stellen“. Die Regierungsarbeit sei nun auf Monate blockiert, sagte er. „Es gibt keine Antworten auf Fragen wie: Womit bezahlen wir morgen die Löhne, womit das Benzin für die Panzer, womit finanzieren wir unsere Armee?“
Eigentliche Zielscheibe von Jazeniuks Wutausbruch war Präsident Petro Poroschenko, der den Bruch der Koalition offenbar eingefädelt hatte, um vorzeitige Neuwahlen herbeizuführen, und ihn offen begrüßte. „Dies beweist, dass zumindest ein Teil der Abgeordneten nicht an seinen Sitzen klebt und sich dem Willen der Wähler verpflichtet fühlt“, erklärte er. „Alle Umfragen zeigen, dass die Gesellschaft eine komplette Erneuerung ihrer Führung wünscht.“
Nach Jazeniuks Rücktritt ernannte Poroschenko umgehend einen engen Vertrauten, den 36-jährigen Wladimir Groisman, zum geschäftsführenden Ministerpräsidenten.
Jazeniuk, der aus dem Bankensektor kommt und zeitweise die Ukrainische Nationalbank leitete, fürchtet den Staatsbankrott, wenn die Arbeit der Regierung durch Wahlen blockiert wird. Die ukrainische Wirtschaft befindet sich im freien Fall, sie wird in diesem Jahr um fünf bis sieben Prozent schrumpfen. Die Auftragsbücher der Unternehmen sind leer, internationale Investoren ziehen sich zurück, und Russland hat im Juni die Gaslieferungen eingestellt. Jazeniuk hatte unter anderem geplant, durch Steuererhöhungen und die Streichung von Subventionen 2,3 Milliarden Euro aufzubringen, um den Militäreinsatz in der Ostukraine zu finanzieren.
Der milliardenschwere Oligarch Poroschenko hofft dagegen, dass er in Parlamentswahlen, die in der Ausnahmesituation eines Krieges und einer scharfen Konfrontation mit Russland stattfinden, seine Machtbasis ausweiten kann. Er treibt deshalb die Offensive gegen die Großstädte Donezk und Lugansk mit äußerster Brutalität voran und hat sie auch nach dem Absturz der malaysischen Passagiermaschine nicht unterbrochen, um eine Bergung der Leichen und Sicherung der Absturzstelle zu ermöglichen.
Weitgehend unbeachtet von den westlichen Medien beschießt die ukrainische Armee dichtbesiedelte Stadtteile mit Artillerie und Luftwaffe. Human Rights Watch hat am Donnerstag einen Bericht veröffentlicht, der im Zeitraum vom 12. bis 21. Juli vier Fälle dokumentiert, in denen das ukrainische Militär Zivilisten mit Grad-Raketen angegriffen hat.
Diese Raketen – im Zweiten Weltkrieg als Stalin-Orgeln bekannt – sind ungesteuert und richten großen Schaden an, wenn sie in Wohngebieten eingesetzt werden. In den dokumentierten Fällen sind mindestens 16 Menschen umgekommen. Human Rights Watch wirft dem ukrainischen Militär deshalb Verstöße gegen internationales humanitäres Recht vor, die als Kriegsverbrechen geahndet werden können.
Die Faschisten von Swoboda haben die Aufgabe übernommen, die innenpolitischen Gegner Poroschenkos einzuschüchtern. Sie begründen ihre Unterstützung von Neuwahlen – die sie bisher aus Angst vor Stimmenverlusten abgelehnt hatten – damit, dass ein Parlament, in dem „staatliche Kriminelle“ und „Moskauer Agenten“ sitzen, nicht länger existieren dürfe. Mit „Kriminellen“ und „Agenten“ meinen sie die Partei der Regionen des gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch und die Kommunistische Partei, die bei der letzten Parlamentswahl vor zwei Jahren 30, bzw. 13 Prozent der Stimmen bekommen hatten.
Der Vorsitzende der Kommunistischen Partei wurde von einem Swoboda-Abgeordneten im Parlament verprügelt, nachdem er ein Ende des Militäreinsatzes in der Ostukraine gefordert hatte, und anschließend vom Parlamentspräsidenten des Saales verwiesen. Der Partei wurde der Fraktionsstatus entzogen, und gegen sie läuft ein Verbotsverfahren.
Die angestrebte Parlamentswahl, die am 26. Oktober stattfinden könnte, erinnert so immer mehr an Wahlen, die – wie die Reichtagswahl unter Hitler im März 1933 oder die ägyptische Präsidentenwahl im Mai 2014 – unter Bedingungen eines Ausnahmezustandes und der Unterdrückung Oppositioneller stattfanden und ein autoritäres Regime absegneten.