Ukraine: Berliner Außenministertreffen löst Krise nicht

Zwei Tage nachdem der ukrainische Präsident Pjotr Poroschenko einen nie eingehaltenen Waffenstillstand offiziell beendet und die militärische Offensive gegen die Opposition im Osten des Landes verschärft hat, trafen sich die Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Russlands und der Ukraine am Mittwoch in Berlin. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier hatte kurzfristig zu dem Treffen eingeladen, um – wie es offiziell hieß – über einen Ausweg aus dem seit Monaten andauernden Konflikt zu beraten.

Das Ergebnis des Treffens war bescheiden. Die vier Außenminister vereinbarten, dass sich die sogenannte Kontaktgruppe spätestens am Samstag treffen solle, um über einen beidseitigen, dauerhaften Waffenstillstand zu verhandeln. Die Kontaktgruppe umfasst Vertreter der OSZE, der Ukraine, Russlands und der ostukrainischen Selbstverteidigungskräfte. Sie war bereits letzte Woche zweimal unter dem Vorsitz des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma in Donezk zusammengetreten, ohne zu einem Ergebnis zu kommen.

Steinmeier kommentierte die Vereinbarung mit den Worten: „Das ist nicht die Lösung aller Probleme. Das ist nicht die Wunderformel, die über Nacht alles gut sein lässt. Aber es ist ein erster und wichtiger Schritt in Richtung eines beidseitigen Waffenstillstands.“

Der russische Außenminister Sergei Lawrow bedankte sich ausdrücklich bei Steinmeier und sagte, der angestrebte Waffenstillstand sei wichtig, um weitere Opfer unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden. Er biete die Chance, eine Vereinbarung zwischen den Konfliktparteien zu erzielen. Die russische Regierung erklärte sich bereit, nach der Vereinbarung eines Waffenstillstands die russisch-ukrainische Grenze von Grenzschützern beider Länder gemeinsam kontrollieren zu lassen.

Während die Außenminister in Berlin verhandelten, führte Kiew seine militärische Offensive gegen ostukrainische Städte und Dörfer mit ungehemmter Brutalität fort.

Bereits die Aufkündigung des einseitigen Waffenstillstands am Montag war von blutrünstigen Drohungen begleitet worden. Präsident Poroschenko hatte verkündet, der Abbruch der Feuerpause sei „unsere Antwort an die Terroristen, Freischärler und Marodeure“. Verteidigungsminister Michail Kowal drohte: „Die Offensive endet erst, wenn der letzte russische Söldner ukrainischen Boden verlassen hat.“ Und Parlamentspräsident Alexander Turtschinow brüstete sich, Regierungstruppen und Nationalgarde seien dabei, den Osten des Landes „effektiv von Terroristen zu säubern und von den Belagerern zu befreien“.

Die Armeeführung in Kiew teilte mit, im Rahmen der „Anti-Terror-Operation“ würden etwa 120 Stützpunkte pro-russischer Aufständischer unter Feuer genommen. Dabei kämen auch Panzer und Kampfbomber zum Einsatz. Ein Berater des ukrainischen Innenministeriums behauptete, allein am Dienstag seien etwa 1.000 „Separatisten“ getötet worden. Das dementierten die Aufständischen zwar umgehend. Ihr Anführer in Lugansk, Waleri Bolotow, gab aber zu, dass es „schwere Kämpfe“ gebe.

Laut Angaben des Informationsdienstes Statfor, der den US-Geheimdiensten nahe steht, hat die Regierung im Osten des Landes 10.000 bis 20.000 Mitglieder der Armee, der Spezialkräfte des Innenministeriums, der Geheimdienste und der neugeschaffenen Nationalgarde im Einsatz, die gegen „mehrere Hundert“ gut ausgebildete Separatisten kämpften.

Dass die ukrainischen Streitkräfte auch Häuser in dicht besiedelten Gebieten unter Feuer nehmen und dabei zahlreiche Zivilisten tötet, zeigen unzählige Fotos und Videos im Internet, auch wenn ihre Authentizität in einzelnen Fällen schwer nachzuweisen ist. Allein in der Region Donezk sind nach Behördenangaben seit Beginn der Auseinandersetzungen im Frühjahr 279 Menschen getötet worden, darunter 160 Zivilisten. Laut Angaben der UN sind bisher über 110.000 Menschen nach Russland und mehr als 50.000 in andere Gegenden der Ukraine geflohen.

Präsident Poroschenko ist entschlossen, vollendete Fakten zu schaffen, indem er möglichst viele Aufständische umbringt und die Zivilbevölkerung, die seine Regierung mehrheitlich ablehnt, einschüchtert. Er hat dabei den Rückhalt der Westmächte.

Das Weiße Haus unterstützte am Montag seine Entscheidung, den Waffenstillstand zu beenden und eine neue Offensive zu beginnen. Poroschenko habe das Recht, sein Land zu verteidigen, kommentierte eine Sprecherin von Präsident Barack Obama. Ähnlich äußerte sich der scheidende Präsident der Europäischen Kommission, Jose Manuel Barroso, der sein „Verständnis für diese Entscheidung“ kundtat.

Vertreter Deutschlands und Frankreichs äußerten sich etwas zurückhaltender. Sie hatten zuvor mehrmals an Poroschenko appelliert, die Waffenruhe zu verlängern. Aber das hat – wie auch das Außenministertreffen vom Mittwoch in Berlin – vorwiegend innenpolitische und taktische Gründe. Beide Regierungen sind bemüht, in der Öffentlichkeit nicht als Kriegstreiber, sondern als Schlichter dazustehen. Außerdem wollen sie die Konfrontation mit Russland nicht derart weit treiben wie die USA, da ihre Wirtschaft von Wirtschaftssanktionen und einem Handelskrieg viel stärker betroffen wäre als die amerikanische.

In der grundlegenden Ausrichtung ihrer Politik stimmen sie aber mit den USA überein. Sie sind entschlossen, die Ukraine aus ihrer engen wirtschaftlichen und politischen Bindung an Russland zu lösen und in den Einflussbereich der EU und der Nato einzugliedern. Auf diese Weise soll Russland selbst isoliert, geschwächt und schließlich in eine stärkere Abhängigkeit von den imperialistischen Mächten gezwungen werden.

Vor allem Deutschland verfolgt dieses Ziel mit großer Energie. Deutsche Parteistiftungen unterstützen und finanzieren in der Ukraine seit Jahren nationalistische, anti-russische Parteien. Die Bundesregierung hat bei den Maidan-Protesten und dem Sturz von Präsident Janukowitsch eine höchst aktive Rolle gespielt und den politischen Aufstieg des milliardenschweren Oligarchen Poroschenko gefördert. Sie folgt damit der traditionellen Expansionsrichtung des deutschen Imperialismus, der die Ukraine sowohl im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg besetzt hatte. Und sie arbeitet dabei mit ultrarechten Kräften wie der Swoboda- und der Vaterlandspartei zusammen, die ehemalige Nazi-Kollaborateure verehren.

Die Beziehung zwischen dem deutschen Außenminister Steinmeier und seinem amerikanischen Kollegen John Kerry ist weniger von Differenzen als von einer Arbeitsteilung geprägt: Kerry schwingt die Peitsche, Steinmeier reicht das Zuckerbrot. Während Kerry Poroschenko zu einem harten Vorgehen drängt, lädt Steinmeier an den Konferenztisch, um neue Zugeständnisse von Russland zu erhalten.

Er geht dabei bewusst das Risiko eines nuklearen Krieges ein. Die russische Regierung ist zu Zugeständnissen bereit und strebt einen Kompromiss an. Aber es ist nicht klar, ob sie einen solchen auch bekommen kann. Es gibt einen Grad der Demütigung, den der russische Präsident nicht hinnehmen kann, ohne seine eigene politische Existenz zu gefährden.

Eine Rede, die Wladimir Putin am Montag vor russischen Botschaftern hielt, war von diesem Widerspruch geprägt. Einerseits rief Putin die USA zur Zusammenarbeit auf: „Wir haben nicht die geringsten Pläne, unsere Beziehungen zu den USA einzufrieren.“ Andererseits drohte er, dem Geschehen in der Ukraine nicht endlos zuzusehen. Er äußerte sein Bedauern über den Tod von Zivilisten und die wachsenden Flüchtlingsströme und fügte hinzu: „Wir werden unsere lebenswichtigen Interessen nicht opfern, nur damit wir auf den G8/G20-Gipfeln in der Nähe sitzen dürfen.“

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