US-Außenminister John Kerry erklärte auf einer Pressekonferenz in Kairo während seiner jüngsten Krisenreise durch den Nahen Osten: "Die Vereinigten Staaten sind nicht dafür verantwortlich, was in Libyen passiert ist, ebenso wenig wie dafür, was heute im Irak passiert."
Während Kerrys Rede festigten der Islamische Staat im Irak und Syrien (Isis) und eine wachsende sunnitische Aufstandsbewegung ihre Kontrolle über Gebiete im Nord- und Westirak, die auch die Grenzen des Landes zu Syrien und Jordanien umfassen. Mehr als eine Million Iraker sind vor den Kämpfen geflüchtet; die sektiererische Gewalt hat tausende von Todesopfern gefordert.
Libyen befindet sich im völligen Zusammenbruch, rivalisierende Milizen kämpfen gegeneinander, eine Regierung existiert nur auf dem Papier, die Ölproduktion ist um mindestens 80 Prozent zurückgegangen, und über eine Million Menschen sind vor der Gewalt im Land geflohen. Mehrere tausend Menschen sitzen in Gefängnissen, die von bewaffneten Gruppen geleitet werden, die systematisch Folter anwenden.
Nachdem sich die Lage im Irak in ein komplettes Debakel verwandelt hatte, erhob Kerry damit die ständigen Erklärungen des politischen Establishments und der Medien zur offiziellen Haltung der Regierung:: "Die USA tragen keine Verantwortung."
Ein typisches Beispiel dafür war der Kommentar des New York Times-Kolumnisten Nicholas Kristof, eines "Menschenrechtsimperialisten“, der sich im Jahr 2003 lautstark für den amerikanischen Einmarsch im Irak ausgesprochen hatte. Er schrieb: "Das Debakel im Irak ist nicht die Schuld von Präsident Obama. Es ist nicht die Schuld der Republikaner... Es ist überwiegend die Schuld des irakischen Premierministers Nuri Kamal al-Maliki."
Maliki, eine Marionette, die von der amerikanischen Besatzungsmacht an die Macht gebracht und an der Macht gehalten wurde, muss als Sündenbock herhalten.
Der außenpolitische Kolumnist der Times, Thomas Friedman, schrieb am Sonntag, Maliki sei ein "Brandstifter," der "kaum, dass Amerika den Irak verlassen hatte", bewusst ein Chaos verursacht hat. Im Jahr 2003 hatte Friedman geäußert, die USA seien im Irak einmarschiert "weil wir es konnten". Er äußerte sich stolz über amerikanische Soldaten, die von Haus zu Haus zogen und den Irakern befahlen "Lutscht daran!" und erklärte, er habe „keine Problem mit einem Krieg um Öl."
Wenn man sich den Chor von Erklärungen anhört, laut denen die USA keine Verantwortung für die Tragödie tragen, unter der die Bevölkerung des Irak und Libyens zu leiden hat, fühlt man sich am ehesten an die Nazi-Kriegsverbrecher erinnert, die sich bei den Nürnberger Prozessen allesamt, von Hermann Göring abwärts, auf der Anklagebank für "nicht schuldig" erklärten.
Was sind die Verbrechen, von denen Kerry und so viele andere im herrschenden Establishment behaupten, dass Washington keine Verantwortung für sie trage?
Damals bezeichneten sie ihr eigenes Vorgehen mit dem Begriff "Shock and awe" ("Schock und Entsetzen"). Das war der Einsatz kolossaler Zerstörungskraft gegen eine Gesellschaft, die bereits durch zehn Jahre andauernde, sadistische Sanktionen der USA zerstört war. Der Krieg und die amerikanische Besatzung hat hunderttausende Todesopfer gefordert, Millionen zu Flüchtlingen gemacht und alle Institutionen der irakischen Gesellschaft zerstört, während Washington vorsätzlich sektiererische Spannungen geschürt hat, um den irakischen Nationalismus aus der Welt zu schaffen. Saddam Hussein, der gestürzte Herrscher des Landes, wurde von einem Standgericht zum Tode verurteilt und kurzerhand hingerichtet.
Das alles wurde mit Warnungen vor einer drohenden Gefahr durch "Massenvernichtungswaffen" und Beziehungen Bagdad zu Al Qaida gerechtfertigt. Mittlerweile weiß die ganze Welt, dass all das Lügen waren.
Es gab im Irak keine Massenvernichtungswaffen, und Al Qaida wurde dort erst aktiv, nachdem der US-Imperialismus die Regierung des Landes gestürzt und sein soziales Gefüge zerschlagen hatte. Eigentlich gab es Al Qaida überhaupt erst, seit Washington in den 1980er Jahren in Afghanistan einen blutigen Krieg von rechten Islamisten angezettelt hatte.
In Libyen und danach in Syrien setzte die Obama-Regierung statt des "Kriegs gegen den Terror" auf einen genauso zynischen und betrügerischen Vorwand für Regimewechsel: die "Menschenrechte." In Libyen flogen die USA und die Nato schwere Bombenangriffe, während sie von Islamisten geführte Milizen für einen sektiererischen Krieg organisierten und bewaffneten, der alle bestehenden sozialen und staatlichen Strukturen zerstörte. Genau wie im Irak endete auch dieser Krieg mit der brutalen Ermordung des säkularen Herrschers, in diesem Fall Muammar Gaddafis.
In Syrien führt Washington einen ähnlichen Krieg zur Durchsetzung eines Regimewechsel, in dem es sunnitische Islamisten und sektiererische Milizen unterstützt, die vom Isis angeführt werden, der gleichen Organisation, die auch große Teile des Irak erobert hat. Die USA hoffen, diesen Krieg mit der Ermordung eines dritten säkularen arabischen Staatsoberhauptes zu beenden - mit der von Baschar al-Assad.
Erst letzte Woche schlug Obama vor, den syrischen "Rebellen" Waffen im Wert von 500 Millionen Dollar zu liefern - wobei jeder weiß, dass diese Waffen in den Händen von Isis landen werden, die Washington im Irak angeblich besiegen will.
Während die Widersprüche und Betrügereien in Washingtons Politik immer offensichtlicher werden, tun die Vertreter der Regierung, als würde die amerikanische Bevölkerung nichts merken oder alles glauben. Oder als ob sie nicht merken würden, dass sich zwar 500 Millionen Dollar für einen verbrecherischen Krieg herbeizaubern lassen, während der arbeitenden Bevölkerung erklärt wird, es sei kein Geld für medizinische Versorgung, Bildung, Wohnungen oder Arbeitsplätze da.
Die Verwüstungen, die die amerikanischen Oligarchen im Nahen Osten angerichtet haben, und alle ihre schrecklichen Folgen für die Menschen, sind eine äußere Erscheinungsform der zerstörerischen Rolle, die sie in den USA selbst spielen - sie haben die industrielle Basis des Landes zerstört, seine Wirtschaft in ein Spielcasino für Finanzparasiten verwandelt und dabei die Arbeitsplätze und den Lebensstandard von Millionen Menschen zerstört. Da sie auf die zunehmende Krise im eigenen Land keine Antwort wissen, setzen sie auf Gewalt nach außen und verschlimmern die Katastrophen, die sie in anderen Ländern angerichtet haben.
Die Aussagen von Kerry, Kristof, Friedman und anderen Befürwortern und Verteidigern der Aggressionen des amerikanischen Militärs ändern nichts daran, dass der US-Imperialismus für schreckliche Verbrechen gegen die Menschheit verantwortlich ist.
Dennoch wurde niemand zur Verantwortung gezogen. Nicht diejenigen in Washington - Bush, Cheney, Rumsfeld, Rice, Powell u.a. - die sich verschworen haben, um einen Angriffskrieg zu führen; nicht diejenigen in der aktuellen Regierung, von Obama abwärts, die sich verschworen haben, ihre Vorgänger in Schutz zu nehmen und die gleiche räuberische Politik fortzusetzen; nicht die Militärführung, die den Krieg geführt hat; nicht die privaten Militärfirmen, die sich daran bereichert haben; nicht die verlogenen Medien, die geholfen haben, vor der amerikanischen Bevölkerung den Krieg zu rechtfertigen; nicht die feigen und anpasserischen Akademiker, die ihn gerechtfertigt und hingenommen haben.
Sie alle sind gemeinsam für die Katastrophen verantwortlich, unter denen die Menschen im Irak, Libyen und Syrien leiden.