Am vergangenen Mittwoch verabschiedete die rechte ungarische Regierung von Premier Victor Orban im Eilverfahren ein Gesetz über eine sogenannte Werbesteuer für Medien. Es soll kritische Medien gezielt in den Ruin treiben und die letzten Reste von Pressefreiheit beseitigen. Das Gesetz richtet sich sowohl gegen unabhängige Medien wie gegen ausländische Medienkonzerne, die nicht vollständig auf Regierungskurs liegen.
Das Gesetz sieht vor, dass die Werbeeinnahmen von Medienunternehmen künftig drastisch besteuert werden – zusätzlich zu den ohnehin anfallenden Steuern. Werbeeinnahmen unter 500 Millionen Forint (rund 1,6 Millionen Euro) bleiben steuerfrei, danach folgen, gestaffelt nach Einnahmehöhe, Steuersätze von 10 bis 30 Prozent. Ab Einnahmen von 20 Milliarden Forint (rund 65 Millionen Euro) fallen 40 Prozent Steuern an.
Während die zusätzliche Besteuerung den Gewinn der großen privaten Medienunternehmen, die auf Regierungskurs liegen oder diese nur sehr vorsichtig und oberflächlich kritisieren, nur leicht schmälert, stehen zahlreiche kleinere Medien vor dem Konkurs.
Vom höchsten Steuersatz wäre theoretisch auch der private Fernsehsender TV2 betroffen. TV2 war Ende letzten Jahres von der ProSiebenSat.1 Media AG ohne Angabe des Preises und der Vertragsklauseln an den TV2-Geschäftsführer und seine Finanzchefin verkauft worden, die über enge Kontakte zur Regierung verfügen. Für diesen Sender wurde nun eine Möglichkeit geschaffen, die zusätzliche Steuerbelastung zu umgehen, indem er seine Verluste mit der Werbesteuer verrechnen darf.
Mehr als 60 private Fernseh- und Radiosender, Zeitungen, Magazine und Online-Medien haben vergangene Woche mit einer zeitweisen Einstellung ihrer Dienste gegen die Sondersteuer protestiert. Fernsehen und Radio unterbrachen für 15 Minuten ihr Programm.
Andreas Rudas, der Mittel- und Osteuropa-Chef der luxemburgischen RTL Group, spricht von einem „direkten Angriff auf alle freien und unabhängigen Medien in Ungarn“. Diese Steuer „entzieht den wenigen noch unabhängigen Medienunternehmen in Ungarn, die profitabel arbeiten, die Existenzgrundlage“, sagt Rudas.
„Es ist eine Warnung an alle noch unabhängigen Medien in Ungarn“, sagt Csaba Nagy, Chefredakteur des Portals 168ora.hu. „Die Botschaft lautet: Wenn ihr euch nicht so verhaltet, wie wir es wollen, verabschieden wir binnen einer Woche ein Gesetz, mit dem wir euch fertigmachen.“
Die Fidesz-Regierung hatte bereits Ende 2010, unmittelbar nach ihrer Regierungsübernahme, ein neues Mediengesetz verabschiedet, das unter anderem die öffentlich-rechtlichen Medien unter ihre Kontrolle brachte. Über einen neu geschaffenen staatlichen Medienrat, der aus Parteigängern und Vertrauten von Regierungschef Orban besteht, übt die Regierung seither eine weitgehende Kontrolle über Zeitungen, Fernsehen und Internetpublikationen aus. Der Medienrat verfügt über eine große Palette autoritärer Befugnisse, die von Zensur über die Vorgabe von Inhalten bis zur Verhängung ruinöser Geldstrafen reicht.
Seither stehen die wenigen Medien, die nicht vollständig von der Regierung kontrolliert werden, unter enormem Druck: „Es herrscht ein allgemeines Klima der Angst“, erklärt Nagy. „Zum Beispiel trauen sich immer weniger Unternehmen, bei uns zu inserieren, denn sie fürchten, staatliche Aufträge zu verlieren oder schikaniert zu werden.“
Wie die Regierung mit unliebsamen Kritikern umgeht, zeigte vorletzte Woche auch die Entlassung von Gergö Sáling, dem Chefredakteur des zweitgrößten ungarischen Nachrichten-Portals origo.hu. Sáling hatte über teure Luxusreisen von Orbans Kanzleichef János Lázár berichtet, der in der Öffentlichkeit keine Gelegenheit auslässt, den Sparkurs der Regierung als Notwendigkeit darzustellen.
Das Nachrichten-Portal gehört der Magyar Telekom, einem Tochterunternehmen der Deutschen Telekom. Ein Telekom-Sprecher bestritt gegenüber der Deutschen Welle, dass der Origo-Chefredakteur wegen unliebsamer Berichterstattung über János Lázár oder wegen allgemein zu regierungskritischen Artikeln entlassen worden sei. Bei dem Portal gebe es „interne Umstrukturierungen“, auf die journalistische Arbeit nehme man keinen Einfluss. Aus Protest hat inzwischen nahezu die gesamte Redaktion des Portals gekündigt.
Ungarn ist im weltweiten Ranking der Pressefreiheit von Organisationen wie Reporter ohne Grenzen oder Freedom House in den letzten Jahren weit abgerutscht. Derzeit befindet es sich als einziges mitteleuropäisches Land in der Kategorie der Staaten mit einer nur teilweise freien Presse. Ungarn liegt auf der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 64, hinter Ländern wie Moldau, Serbien oder Burkina Faso.
Regierungsvertreter geben offen zu, dass sich das neue Steuergesetz gegen Kritik an der Regierung Orbán richtet. Es solle „schädliche Programme“ zurückdrängen, erklärte der Fidesz-Politiker Gergely Gulyás. Private Medien verursachten durch ihr Programm „bedeutende gesellschaftliche Schäden“, die Werbesteuer sei daher als „hygienische Produktsteuer“ zu betrachten.
Kanzleichef Lázár verteidigte die Steuer auch mit der Behauptung, die Einnahmen würden für Gesundheits- und Bildungsprogramme verwendet. Dies gilt allerdings als unwahrscheinlich, da in diesen Bereichen seit Jahren ausschließlich gekürzt wird.
Die Einschränkung der Pressefreiheit ist eine Reaktion auf die soziale und politische Krise in Ungarn. Mit dem Angriff auf die Medien bereitet die Regierung in Budapest eine neue Runde massiver sozialer Angriffe vor. Sie steht unter massivem Druck der internationalen Finanzmärkte. Schon 2008 wurde Ungarn als eines der ersten Länder mit Geldern des Internationalen Währungsfonds (IWF) vor dem Bankrott gerettet.
Unter anderem plant Orban, das System der Zwangsarbeit für Sozialhilfeempfänger und Langzeitarbeitlose weiter ausbauen und damit Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst einzusparen. Schon jetzt können Arbeitslose auf Anweisung der zuständigen Kommunalbehörde zur „Gemeinschaftsarbeit“ verpflichtet werden. Eine Weigerung oder mangelhafte Ausführung hat den Ausschluss von sämtlichen staatlichen Zuwendungen für drei Jahre zur Folge. Besonders in stark von Roma besiedelten Regionen wird dieses Instrument massiv eingesetzt.
Ein Sozialhilfeempfänger kann durch diese Form von Zwangsarbeit seine Unterstützung von rund 100 Euro auf 160 Euro im Monat aufstocken, was der Hälfte des gesetzlichen Mindestlohnes entspricht. Die unwürdigen Arbeitsbedingungen und der Hungerlohn, der dafür bezahlt wird, haben zur Folge, dass sich zigtausende Bedürftige als Arbeitslose abmelden, um der „Gemeinschaftsarbeit“ zu entgehen. Das senkt die Ausgaben der Regierung für Sozialhilfe.
Vor diesem Hintergrund erklärt sich die wachsende Armut in Ungarn. Mittlerweile lebt rund die Hälfte der Ungarn am oder unter der Armutsgrenze. Die von der Regierung geplanten Kürzungen bei der Rente und im Gesundheitswesen werden diese Situation weiter verschärfen.
Die Regierung Orban verliert deshalb an Unterstützung. Bei der Europawahl gewann Fidesz zwar über 50 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die geringe Wahlbeteiligung von 29 Prozent und der völlige Bankrott der sozialdemokratischen Opposition lässt den Wahlsieg jedoch in einem anderen Licht erscheinen.