Sergeant Bowe Bergdahl von der US Army wurde vor drei Tagen von den Taliban im Austausch für fünf Gefangene freigelassen, die in Guantanamo Bay festgehalten wurden. Seither wird er Opfer einer immer heftigeren Hetzkampagne von politisch rechten Kreisen und den Medien, die ihn als Deserteur und Verräter verunglimpfen. Es wurden Forderungen laut, ihn anzuklagen oder gar zu erschießen.
Auch sein Vater Bob Bergdahl wurde für seine Bemühungen zur Freilassung seines Sohnes verteufelt - unter anderem lernte er Paschtu und Dari, die beiden am weitesten verbreiteten Sprachen in Afghanistan, kommunizierte über das Internet mit den Taliban und ließ sich einen langen, unrasierten Bart wachsen, um anzuzeigen, wie lange sein Sohn festgehalten wurde.
Die Medien, von CNN bis NBC und die anderen großen Sender, haben mehrfach Interviews mit Soldaten gezeigt, die zusammen mit Bergdahl gedient hatten und ihm vorwarfen, er sei von seinem Posten geflohen. Einige von ihnen gaben Bergdahl die Schuld am Tod von sechs US-Soldaten, die angeblich während einer sechsmonatigen intensiven Suche nach dem vermissten Soldaten getötet wurden.
Die Medien schlachteten auch einige aktuelle Twitter-Posts von Bob Bergdahl aus, in denen er Mitgefühl für im Krieg getötete Afghanen und ihre Familien äußerte und die Freilassung aller Gefangenen in Guantanamo forderte.
Vor seinem Verschwinden machte Bowe Bergdahl in Briefen an seine Familie und in Gesprächen mit Kameraden seinen Abscheu über den amerikanischen Krieg in Afghanistan und seine Sympathie für die afghanische Bevölkerung deutlich. Zweifellos ist der Hauptgrund für den Hass gegen die Bergdahls ihre Antikriegshaltung und die Angst in herrschen Kreisen, dass sie den bereits weit verbreiteten Widerstand der Bevölkerung gegen den Krieg in Afghanistan und allgemein die kriegstreiberische Politik der Obama-Regierung verstärken wird.
Bowe Bergdahl wurde am 30. Juni 2009 von den Taliban gefangengenommen, als seine Einheit auf Patrouille in der ostafghanischen Provinz Paktika war. Das Pentagon beförderte Bergdahl zweimal während seiner Gefangenschaft, zuerst vom Private First Class zum Corporal, danach zum Sergeant - die Militärführung würde so etwas wohl kaum mit einem überführten Deserteur tun. Gleichzeitig verpflichtete das Militär Soldaten, die zusammen mit Bergdahl gedient hatten, Geheimhaltungsvereinbarungen zu unterzeichnen.
Das Pentagon und das Außenministerium setzten sich aggressiv für Bergdahls Freilassung ein, zuerst durch mehrere militärischen Suchaktionen, die ihn retten sollten, dann durch gelegentliche Verhandlungen mit den Taliban, bei denen das Scheichtum Katar als Vermittler wirkte.
Die Verhandlungen wurden letzten Herbst wieder aufgenommen, nachdem ein Taliban-Kommandant, der lange Zeit jedes Abkommen abgelehnt hatte, zurückgetreten war und die islamischen Fundamentalisten ein Video von Bergdahl als Beweis lieferten, dass er noch am Leben war. Im Februar war in der Presse von Verhandlungen die Rede, die darauf hindeuteten, dass der Handel, einen für fünf freizulassen, schließlich abgeschlossen wurde. Aber endgültig besiegelt wurde er erst letzte Woche. Der tatsächliche Austausch fand am Samstag, dem 31. Mai statt.
Die anfängliche Kritik an dem Abkommen kam von Republikanern im Kongress und der rechten Presse, darunter Fox News und dem Wall Street Journal und entsprach den vorhersehbaren parteipolitischen Haltungen. Das Abkommen wurde als weiteres Beispiel für die angebliche außenpolitische Schwäche der Obama-Regierung dargestellt, genau wie Syrien, die Ukraine und Bengasi.
Die Republikaner hoffen eindeutig, den Fall Bergdahl ausnutzen zu können, um ihre rechte Anhängerschaft und Teile des Militärs vor der Kongresswahl im November aufhetzen zu können.
Die Reaktion des Weißen Hauses war ebenso vorhersehbar. Es verwies auf die Ermordung von Osama bin Laden und die Ausweitung des Drohnenkrieges als Beweis dafür, dass die Regierung nicht "zu weich" gegenüber dem Terrorismus sei und berief sich darauf, dass Israel ähnliche Gefangenenaustauschgeschäfte macht - beispielsweise wurden 1.000 palästinensische Gefangene gegen einen einzigen Soldaten namens Gilad Shalit ausgetauscht, der drei Jahre lang in Gaza gefangengehalten wurde.
Der Fokus der rechten Kampagne verschob sich am Montag und Dienstag auf Angriffe gegen Sergeant Bergdahl und seine Familie. Die Kommentare wurden zunehmend wüster. Beispielsweise behauptete Fox News: "Viele Mitglieder des Geheimdienstmilieus vermuten, dass er aktiv mit den Taliban kollaboriert hat." Das Wall Street Journal veröffentlichte eine Kolumne, in der es andeutete, die passende Behandlung für den heimkehrenden Soldaten sei die standrechtliche Erschießung.
Die Umstände, unter denen Bergdahl gefangen genommen wurde, sind weiterhin unklar. Der zurückgekehrte Kriegsgefangene wird in Deutschland im wichtigsten amerikanischen Militärkrankenhaus behandelt und hat sich noch nicht öffentlich geäußert.
Mehrere ehemalige Mitglieder seiner Einheit wurden von den Medien mit Aussagen zitiert, laut denen Bergdahl seinen Posten mitten in der Nacht ohne sein Gewehr verlassen habe und in von Taliban kontrolliertes Gebiet aufgebrochen war. Auf Facebook-Seiten mit Titeln wie "Bergdahl ist ein Verräter" und "Bowe Bergdahl ist kein Held" erscheinen zehntausende zustimmende Kommentare.
Der Vorsitzende der Joint Chiefs of Staff, General Martin Dempsey, erklärte am Donnerstag in einem Kommentar auf seiner Facebook-Seite, die Frage von Bergdahls Rettung sei völlig unabhängig von einer späteren Untersuchung seines Verhaltens während der Patrouille in Afghanistan. Dempsey erklärte: "Wie jeder andere Amerikaner ist auch er unschuldig bis seine Schuld bewiesen ist. Unsere Militärführung wird Fehlverhalten nicht ignorieren, wenn es welches gab. Inzwischen werden wir uns weiterhin um ihn und seine Familie kümmern."
Anonyme Vertreter des Pentagon erklärten der Presse später, es werde eine "vollständige Untersuchung" der Umstände von Bergdahls Verschwinden und Gefangennahme geben.
Laut der New York Times hat Bergdahl in seinem Zelt eine Notiz hinterlassen, dass er vom Militär desillusioniert sei, die amerikanische Mission in Afghanistan nicht unterstütze und sich auf den Weg mache, ein neues Leben zu beginnen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Das Wall Street Journal berichtet: "Eine Untersuchung des Militärs, warum Sergeant Bergdahl seinen Posten verlassen hat, wurde nie abgeschlossen, weil Beamte nicht in der Lage waren, mit ihm zu sprechen. Ein ranghoher Vertreter des Verteidigungsministeriums erklärte jedoch, viele Offiziere schlössen aus der Betrachtung des Materials, das für die Untersuchung gesammelt wurde, dass er den Vorposten verlassen habe, weil er von dem Krieg desillusioniert war.
Das Rolling Stone Magazine schrieb 2012 auf der Grundlage eines Interviews mit Bergdahls Eltern, er habe ihnen drei Tage vor seinem Verschwinden eine E-Mail geschickt, in der er erklärte, er "schäme [sich] sogar „Amerikaner zu sein" und "Der Schrecken, der von Amerika ausgeht, ist ekelhaft."
Sergeant Bergdahl schrieb: "Mir tut alles hier leid. Diese Menschen brauchen Hilfe, aber stattdessen sagt ihnen das arroganteste Land der Welt, dass sie nichts sind, dass sie dumm sind, dass sie nicht wissen, wie man lebt."
Er beschrieb, wie ein afghanisches Kind von einem amerikanischen Militärfahrzeug überfahren wurde. "Es interessiert uns nicht einmal, wenn wir hören, wie wir ihre Kinder auf den Feldwegen mit unseren gepanzerten Lastwagen überfahren."
Bowe Bergdahls Vater wurde trotz seiner konservativen religiösen Ansichten - Bowe wurde von seiner Mutter in ihrer Heimatstadt Hailey in Idaho zuhause unterrichtet anstatt in die Schule zu gehen - zu einem erbitterten Gegner der Außenpolitik des amerikanischen Imperialismus im Nahen Osten und Zentralasien. Er sympathisierte offen mit anderen langjährigen Gefangenen, darunter denen in Guantanamo.
Von den fünf Gefangenen, die aus Guantanamo entlassen wurden, waren vier hochrangige Amtsträger der afghanischen Regierung während der Herrschaft der Taliban. Sie wurden während des Einmarsches der Nato Ende 2001 unter Führung der USA verhaftet. Es handelt sich um den stellvertretenden Verteidigungsminister Mohammad Fazl; den Gouverneur der Provinz Balkh, Mullah Norullah Noori; den Gouverneur der Provinz Herat, Kharullah Khairkhwa; und den stellvertretenden Geheimdienstminister Abdul Haq Wasiq. Der fünfte Gefangene, Mohammed Nabi Omari, war ein Militärkommandant mit Beziehungen zum Haqqani-Netzwerk, das in den 1980ern unter der Schirmherrschaft der CIA aufgebaut wurde, um gegen sowjetische Truppen zu kämpfen.
Sie waren öffentliche Amtsträger eines Staates, dessen Regierung durch eine amerikanische Militäraktion gestürzt wurde, und hatten daher Anspruch auf eine Behandlung als Kriegsgefangene. Stattdessen wurden sie als "Terroristen" für unbegrenzte Zeit festgehalten, verhört und wahrscheinlich gefoltert - alles eindeutige Verstöße gegen die Genfer Konvention. Etwa zwölf Jahre später hat die Obama-Regierung sie plötzlich zu Kriegsgefangenen erklärt, um sie gegen Bergdahl auszutauschen.
Ein Teil der Verbitterung in der rechten Kampagne gegen den Gefangenenaustausch kommt daher, dass die Obama-Regierung mit der offiziellen Beendigung des amerikanischen Kampfeinsatzes in Afghanistan Ende 2014 keine Berechtigung mehr hat, gefangene Taliban in Guantanamo festzuhalten. Nach dem Völkerrecht müssen Kriegsgefangene nach dem Ende der Kampfhandlungen wieder in ihre Heimatländer entlassen werden, und wenn die ranghohen Taliban in Guantanamo jetzt als Kriegsgefangene angesehen werden, müssten auch alle anderen dort festgehaltenen Afghanen freigelassen werden.