Türkei: Massiver Polizeieinsatz gegen Demonstranten

Am Samstag wurde in Istanbul ein massives Polizeiaufgebot von etwa 25.000 Mann mobilisiert, um Demonstranten daran zu hindern, den zentralen Taksim-Platz zu erreichen. Die Demonstranten hatten sich versammelt, um dem ersten Jahrestag des Beginns der Proteste im Gezi-Park zu gedenken, die als Protest von Umweltschützern begannen, sich aber schnell zu einer Konfrontation zwischen großen Teilen der Bevölkerung und der islamistischen Regierung von Premierminister Recep Tayyip Erdogan entwickelten.

Am Samstag sperrte die Polizei, die von 50 Wasserwerfern und Hubschraubern in der Luft unterstützt wurde, den zentralen Taksim-Platz und den umgebenden Gezi-Park ab. Der Fährverkehr über den Bosporus wurde am Abend unterbrochen, um Passagiere daran zu hindern, von der asiatischen auf die europäische Seite Istanbuls zu kommen, auf der der Taksim-Platz liegt. Auch die U-Bahnstation am Taksim-Platz wurde geschlossen.

Trotz der Absperrung versammelten sich einige hundert Demonstranten in der Einkaufsstraße Istiklal Caddesi, die zum Taksim-Platz führt. Sie skandierten: "Rücktritt, AKP-Mörder". Damit meinten sie die amtierende Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP). Die Polizei setzte Tränengas ein und schlug die Demonstranten in die Flucht. Dann begannen Bereitschaftspolizei und Provokateure in Zivil, die friedliche Demonstration mit Gewalt aufzulösen.

Videos und Fotos zeigen, wie die Sicherheitskräfte Wasserwerfer und Tränengas gegen Demonstranten einsetzen. Demonstranten, darunter auch junge Frauen, werden von schwer bewaffneten Bereitschaftspolizisten weggeschleppt; dabei wurden ihnen die Arme hinter den Rücken verdreht, der Schmerz war ihnen in den Gesichtern anzusehen. Am Samstag wurden etwa 120 Demonstranten verhaftet, auch Journalisten wurden von den Sicherheitskräften eingeschüchtert. Mehr als ein Dutzend Menschen wurden bei Zusammenstößen mit der Polizei verletzt.

Nur eine Woche vor dieser jüngsten Demonstration staatlicher Gewalt gab es bei großen Demonstrationen und Protesten gegen das Grubenunglück von Soma zwei Tote durch Polizeigewalt.

Ein zwanzigjähriger Demonstrant sagte der Presse: "Wir wollen der Toten vom Gezi-Park und Soma gedenken, aber wir dürfen nicht auf den Taksim-Platz. Was für ein Staat ist das?" Ein 29-jähriger Lehrer kritisierte die Regierung: "Erdogan hat das Land gespalten... Jeder, der seine Menschenrechte einfordert, wird verhaftet."

Auch in der Hauptstadt Ankara und im südtürkischen Adana setzte die Polizei Wasserwerfer und Tränengas ein, um Proteste aufzulösen. Auch am Sonntag fanden kleinere Proteste statt, gegen die die Polizei ebenfalls mit Gewalt vorging. Insgesamt wurden in zwei Tagen über 200 Menschen verhaftet.

Nach den ersten Protesten im Gezi-Park erklärte Erdogan, die Polizei werde gegen künftige Demonstrationen mit Gewalt vorgehen. Seither ist ein Jahr vergangen und mindestens zwölf Demonstranten wurden durch staatliche Kräfte getötet, tausende wurden wegen Teilnahme an Protesten angeklagt. Gleichzeitig wurde kein einziges Mitglied der Sicherheitskräfte, das für den Tod oder für Verletzungen von Demonstranten verantwortlich war, angeklagt.

Am Freitag warnte Erdogan die Demonstranten nochmals, sie würden mit der vollen Macht des Staates konfrontiert werden, wenn sie versuchten, sich zu versammeln. Er erklärte in einer Rede in Istanbul: "Wenn Sie dort hingehen, haben unsere Sicherheitskräfte die strikte Anweisung, alles Notwendige zu tun, von A bis Z. Sie werden nicht wie letztes Mal zum Gezi-Park kommen. Sie müssen die Gesetze befolgen. Wenn Sie das nicht tun, wird der Staat tun, was notwendig ist."

Die Verachtung der Regierung für die arbeitende Bevölkerung der Türkei und ihre Angst zeigte sich bei Erdogans verächtlichen Aussagen nach dem Tod von 400 Bergarbeitern Mitte Mai. Er bezeichnete das Grubenunglück in Soma, welches das direkte Ergebnis von Profitstreben war, das seine Regierung ermutigt hatte, als "normales Ereignis."

Wenige Tage nach dem Grubenunglück wurde einer seiner Berater dabei fotografiert, wie er, umgeben von Leibwächtern, auf einen Demonstranten einprügelt und -tritt, der wehrlos am Boden lag.

Die Isolation des Erdogan-Regimes zeigt sich auch an seiner jüngsten Entscheidung, soziale Netzwerke wie Twitter zu schließen.

In seiner Rede in Istanbul am letzten Freitag behauptete Erdogan, der Sieg seiner AKP bei den Kommunalwahlen am 30. März bedeute, dass er freie Hand habe, gegen seine politischen Gegner vorzugehen.

Tatsächlich ist der Grund für Erdogans Sieg bei den jüngsten Wahlen nur der politische Bankrott der türkischen Gewerkschaften und politischer Bündnisse wie der Taksim-Solidaritätsplattform.

Die türkischen Gewerkschaften - die Revolutionären Gewerkschaften der Türkei (DISK) und der Gewerkschaftsbund des öffentlichen Dienstes (KESK) haben stets jeden Kampf zur Mobilisierung des starken Widerstandes gegen das Erdogan-Regime und die soziale Ungleichheit, unter der die Arbeiterklasse leidet, abgelehnt. Nach dem Grubenunglück von Soma gingen tausende von Bergarbeitern auf die Straße und warfen den Bürokraten der Bergarbeitergewerkschaft vor, "Lakaien der Bergwerksbetreiber" zu sein.

Die Taksim-Solidaritätsplattform (eine Koalition aus verschiedenen bürgerlichen "Linken“, Umweltschutz- und pseudolinken Gruppen) hat mehrfach versucht, mit Erdogan über begrenzte Forderungen zu verhandeln.

Jetzt, da der Widerstand und der Hass auf die Erdogan-Regierung in Teilen der Arbeiterklasse ausbricht, versuchen die Beteiligten an der Taksim-Solidaritätsplattform den wachsenden sozialen Widerstand der einen oder anderen gegen das Regime gerichteten bürgerlichen Fraktion unterzuordnen.

Vor diesem Hintergrund hat das zunehmend bedrängte Regime Erdogans wichtige Unterstützung aus dem Ausland erhalten. US-Präsident Barack Obama kündigte am letzten Mittwoch in seiner Rede an der amerikanischen Militärakademie West Point an, dass die Türkei ein wichtiger Partner bei seinem geplanten "Antiterrorpartnerschafts-Fonds" sein werde. Eines der Hauptziele des Fonds soll es sein, Finanzen und Ausbildung für die syrischen Widerstandsgruppen bereitzustellen, die in der Türkei aktiv sind und die Pläne der USA für einen Regimewechsel in Syrien umsetzen sollen.

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