In Griechenland wurden die Europawahlen von der überwältigenden Ablehnung der EU-Austeritätspolitik und der Regierung bestimmt. Die regierende Nea Dimokratia (ND) und ihr sozialdemokratischer Koalitionspartner PASOK fielen auf ein historisches Tief, während die Vereinte Soziale Front (SYRIZA-EKM) erstmalig stärkste Kraft wurde. Auf dem dritten Platz lag die faschistische Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte).
Gegenüber den Parlamentswahlen vor zwei Jahren verloren die beiden Regierungsparteien mehr als zehn Prozentpunkte. Die ND erreichte nur noch 22,7 Prozent der Stimmen (gegenüber 29,7 vor zwei Jahren). Obwohl sich die PASOK mit anderen Parteien zum Olivenbaumbündnis zusammengeschlossen hatte, kam die Formation nur auf acht Prozent (12,3). Gegenüber den letzten Europawahlen vor fünf Jahren verloren die Regierungsparteien sogar fast 40 Prozentpunkte und damit deutlich mehr als die Hälfte ihrer Wähler.
Die SYRIZA-Abspaltung Demokratische Linke (DIMAR), die bis vor einem Jahr Teil der Regierungskoalition war, stürzte ebenfalls ab. Erreichte sie vor zwei Jahren noch 6,3 Prozent, liegt sie jetzt mit 1,2 Prozent deutlich unter der Dreiprozenthürde.
Die stärkste Partei ist nun SYRIZA. Sie konnte ihr Ergebnis der Parlamentswahlen mit 26,6 Prozent (26,7) bei leichten Verlusten halten. In den gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahlen konnte sie sich allerdings nur begrenzt durchsetzen. SYRIZA gewann auf den Ionischen Inseln und in der Region Attika, in der mehr als ein Drittel der griechischen Bevölkerung lebt. Die Kandidaten der Regierungsfraktionen konnten sich in sieben Regionen durchsetzen, während vier an unabhängige Kandidaten gingen.
Die Faschisten der Chrysi Avgi konnten ihren Stimmenanteil bei den Europawahlen gegenüber den Parlamentswahlen von 6,9 auf 9,4 Prozent steigern. Sie sind jetzt drittstärkste Kraft. Die Partei, die regelmäßig Anschläge auf politische Gegner, Migranten und Homosexuelle verübt, ist ein Produkt des Staatsapparats und eng mit der regierenden ND verbunden. Wahlanalysen ergaben, dass über 50 Prozent der Polizisten für die Rechtsextremisten gestimmt haben.
Erstmalig schickt die neue liberale Formation Potami (der Fluss) mit 6,6 Prozent zwei Abgeordnete nach Brüssel. Die erzstalinistische Kommunistische Partei (KKE) erhielt 6,1 Prozent und konnte ihr Ergebnis der Parlamentswahlen (4,5 Prozent) leicht verbessern. Die Rechtspopulisten der Unabhängigen Griechen (ANEL) rutschten von 7,5 auf 3,5 Prozent ab.
Das Wahlergebnis bringt die Regierungskoalition stark unter Druck. Von einer einst satten Mehrheit hat die Koalition in den letzten zwei Jahren bereits 27 Abgeordnete verloren. Derzeitig stützt sie sich nur noch auf 152 der 300 Abgeordneten. Würde das Parlament mit demselben Ergebnis wie bei der Europawahl neu gewählt, hätte sie nur noch 94 Abgeordnete.
Regierungschef Andonis Samaras schloss Neuwahlen trotz des desaströsen Abschneidens der Regierungskoalition aus. „Diejenigen, die die EU-Wahl in ein Plebiszit verwandeln wollten, sind gescheitert“ sagte Samaras in einer kurzen Fernsehansprache. „Sie sind damit gescheitert, Instabilität, Unsicherheit und Unregierbarkeit zu erzeugen.“
Er wisse, was zu tun sei, betonte der Premier. „Wir werden so schnell wie möglich fortfahren“, sagte er, ohne konkreter zu werden. Presseberichten zufolge plant der Regierungschef eine radikale Regierungsumbildung. Am Donnerstag trifft sich Samaras mit dem Staatspräsidenten Karolos Papoulias, um das weitere Vorgehen zu beraten. Anschließend sind Koalitionsgespräche geplant.
Der SYRIZA-Vorsitzende Alexis Tsipras traf sich schon am Montagmittag mit dem Präsidenten, der in Griechenland eine rein repräsentative Funktion erfüllt. Anschließend erklärte Tsipras: „Wir sollten so schnell wie möglich in einer organisierten und ruhigen Weise Parlamentswahlen durchführen, um die demokratische Normalität wiederherzustellen.“ Samaras habe jede moralische Legitimität verloren, neue Verhandlungen mit der EU zu führen und neue Sparmaßnahmen durchzusetzen, erklärte der Oppositionsführer.
Das Wahlergebnis ist eine deutliche Absage an die Politik der griechischen Regierung, die in den letzten zwei Jahren das Spardiktat aus Brüssel gegen die Bevölkerung durchgesetzt hat. In dieser Zeit sind die Löhne um bis zu 60 Prozent gefallen, wurden Massensteuern erhöht und stieg die Arbeitslosigkeit auf über 27 Prozent. Gesundheits- und Bildungssystem stehen vor dem Kollaps. 40 Prozent der Arbeiter sind bereits von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen, weil sie sich eine Behandlung nicht leisten können.
Der Widerstand der Arbeiter gegen diese Politik ist überwältigend. Allein in Athen haben seit 2010 6.300 Demonstrationen und Proteste stattgefunden. Das sind 14 pro Tag, darunter 36 Generalstreiks, an denen teilweise hunderttausende Arbeiter teilnahmen. Am gestrigen Dienstag demonstrierten Lehrer vor dem Bildungsministerium gegen die Pläne der Regierung, weitere Schulen zusammenzulegen, zu schließen und Stellen zu streichen.
Im Wahlergebnis der Regierungsparteien, die in den letzten Wochen noch einmal explizit von der deutschen Regierung und von EU-Vertretern unterstützt wurden, drückt sich diese Opposition der Bevölkerung aus. Angesichts einer Wahlbeteiligung von knapp 60 Prozent stimmten nur etwa ein Fünftel der Wahlberechtigten für eine der Regierungsparteien.
Dass Samaras die Regierungspolitik unverändert fortsetzen will, ist eine deutliche Warnung. Schon bei den letzten Wahlen konnte die Koalition ihre Mehrheit nur aufgrund des undemokratischen Wahlsystems behaupten. Seither hat die Koalition die demokratischen Rechte der Arbeiter systematisch beschnitten. Streikende Arbeiter wurden unter Kriegsrecht gestellt, Demonstrationen kriminalisiert und faschistische Banden gefördert. Die umfassenden sozialen Angriffe, die in Griechenland organisiert wurden, sind auf demokratischem Wege nicht durchzusetzen.
Der Widerstand der Arbeiter dagegen findet allerdings keine Entsprechung im Programm der größten Oppositionspartei SYRIZA. Die Partei erklärt sich in Wahlkämpfen zwar als Gegnerin der Sparpolitik, verteidigt aber ausdrücklich die EU und ihr brutales Schuldenregime.
Erst vor zwei Wochen erklärte Tsipras auf dem Parteitag der deutschen Linkspartei, dass eine SYRIZA-Regierung die Schulden des Landes prinzipiell anerkennen und sich mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel zusammensetzen würde, um die Bedingungen der Kreditvereinbarungen neu zu verhandeln.
Im letzten Jahr reiste Tsipras mehrmals in die USA oder ins europäische Ausland, um sich mit Vertretern der EU, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Regierungen zu treffen. Jedes Mal versicherte er seinen Gastgebern, dass sie von einer SYRIZA-Regierung nichts zu befürchten hätten. Ganz im Gegenteil würde er als Regierungschef für mehr Stabilität sorgen, so Tsipras.
Es steht außer Zweifel, dass eine SYRIZA-Regierung einen durch und durch rechten Charakter hätte. Sie würde den Kurs des Samaras-Kabinetts fortsetzen und das Diktat aus Brüssel befolgen. Wie derzeitig in Frankreich würde die rechte Politik einer solchen vorgeblich linken Regierung die faschistischen Kräfte stärken. SYRIZA selbst hat schon mehrfach mit den Rechtspopulisten der ANEL zusammengearbeitet.