Perspektive

Europäische Union: Von der Wirtschafts- zur Kriegsgemeinschaft

Mit ihrem Konfrontationskurs gegen Russland verfolgen die europäischen Mächte und insbesondere Deutschland nicht nur außen-, sondern auch innenpolitische Ziele. Er soll die zerstrittene Europäische Union wieder einen und jede soziale Opposition zum Schweigen bringen. Definierte sich die EU bisher vorwiegend über wirtschaftliche Fragen wie den freien Kapital- und Warenverkehr und die gemeinsame Währung, soll in Zukunft der Kampf gegen einen gemeinsamen Feind für ihren Zusammenhalt sorgen.

Einige Kommentare sprechen dies offen aus. So schrieb der Brüsseler Korrespondent des Spiegel, Gregor Peter Schmitz, am 20. März unter der Überschrift „Europas große Chance“: „So traurig die Krim-Krise in vielen Facetten ist, so bietet sich nun auch eine historische Gelegenheit: Europa wieder stärker zu einen.“

Der ehemalige grüne Außenminister Joschka Fischer stellte in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung vom 30. März befriedigt fest, der Konflikt mit Moskau führe den Europäern die Tatsache vor Augen, „dass es sich bei der EU eben nicht nur um eine bloße Wirtschaftsgemeinschaft handelt, sondern um einen machtpolitischen Akteur“, dessen „strategische Interessen“ sich „mit Macht zurückgemeldet“ hätten.

Und der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Norbert Röttgen, erklärte in der Financial Times vom 20. März: „Aber es geht in diesem Konflikt nicht nur um die Krim oder die Ukraine… Während wir in der Vergangenheit oft darum gerungen haben, mit einer Stimme zu sprechen, zwingt der Konflikt mit Russland die Europäer, die Reihen zu schließen. Er könnte zum Katalysator für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik werden.“

Mit der Hinwendung zu einer aggressiven Außen- und Kriegspolitik antwortet die herrschende Elite auf die tiefe Krise des europäischen Kapitalismus. Alle Versuche, Europa wirtschaftlich und sozial zu vereinen, sind gescheitert. Die Austeritätspolitik, mit der Brüssel und Berlin auf die Finanzkrise von 2008 reagiert haben, hat die Konflikte zwischen den EU-Mitgliedern verschärft und die Klassengegensätze extrem zugespitzt.

Die sozialen Beziehungen sind zum Zerreißen gespannt. Innerhalb der EU sind offiziell über 26 Millionen arbeitslos, das entspricht einer Quote von 11 Prozent. In vielen Regionen herrscht bittere Armut, insbesondere in den Ländern Osteuropas, die vor zehn Jahren in die EU aufgenommen wurden, und in den Ländern, die sich einem Sparprogramm der EU und des Internationalen Währungsfonds unterwerfen mussten. Aber auch im angeblich reichen Deutschland arbeitet jeder dritte Beschäftigte in prekären Verhältnissen und 6 Millionen beziehen Hartz IV.

Immer mehr Menschen rebellieren gegen die EU und sehen sie als das, was sie wirklich ist: ein Werkzeug der mächtigsten Banken und Konzerne, das sich gegen die arbeitende Bevölkerung richtet und Europa spaltet, anstatt es zu vereinen. Parteien, die die EU ablehnen, erwarten bei der Europawahl im Mai ein Rekordergebnis.

Unter diesen Umständen dient die Kriegskampagne gegen Russland dazu, die inneren Spannungen nach außen abzulenken. Das gilt insbesondere für Osteuropa, wo korrupte Nachwendepolitiker Russophobie seit langem als probates Mittel einsetzen, um ihre Herrschaft zu sichern.

Die deutsche Regierung, die sich lange um ein kooperatives Verhältnis zu Moskau bemühte, ist jetzt auf diese Linie eingeschwenkt. Sie betrachtet eine aggressive Kriegspolitik gegen Russland als geeignetes Mittel, die EU wieder zusammenzuschweißen und ihre Vorherrschaft in Europa auszubauen. Sie macht damit ihre im Februar gemachte Ankündigung wahr, die „Politik der militärischen Zurückhaltung“ zu beenden und „sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen“.

Zu diesem Zweck ist ihr jedes Mittel recht. Die Nato hat begonnen, Flugzeuge, Schiffe und Truppen Richtung russischer Grenze zu verlegen und Militärmanöver durchzuführen. In der Ukraine haben die mit Unterstützung des Westens an die Macht gelangten rechten, nationalistischen und faschistischen Kräfte eine derart angespannte Lage geschaffen, dass der kleinste Zwischenfall zu einem größeren Konflikt oder einem Krieg eskalieren kann. In ihrem Bemühen, die Ukraine in den Einflussbereich der Nato einzugliedern und Russland zu isolieren, nehmen die Bundesregierung und ihre Bündnispartner bewusst das Risiko eines Atomkriegs in Kauf.

Ihr Eingreifen in der Ukraine hat noch eine weiter Seite. Durch ihre Zusammenarbeit mit faschistischen Parteien und Kampfgruppen haben sie einen Präzedenzfall geschaffen, der neue Maßstäbe für ganz Europa setzt.

Lange Zeit galt unter den etablierten Parteien (zumindest offiziell) die Regel, nicht mit Parteien zusammenzuarbeiten, die die Nazis und ihre Kriegsverbrechen verteidigen oder Antisemitismus verbreiten. Die ukrainische „Swoboda“, mit dessen Führer Oleg Tjagnibok führende europäische und amerikanische Politiker eng und öffentlich kooperiert haben, fällt eindeutig in diese Kategorie. Seine antisemitischen Tiraden sind auf Youtube dokumentiert und dort jederzeit abrufbar. „Swobodas“ Vorbild, Stepan Bandera, war ein Nazi-Kollaborateur, verantwortlich für Massenmorde an Juden und Kommunisten und bis zu seinem Tod 1959 in München ein überzeugter Anhänger Mussolinis.

Was auf „Swoboda“ zutrifft, gilt noch mehr für faschistische Kampfgruppen wie den „Rechten Sektor“, auf deren Dienste sich die Westmächte stützten, um den gewählten Präsidenten Janukowitsch zu vertreiben. Unter ihnen finden sich nicht nur faschistische, sondern auch offen kriminelle Elemente.

Die Zusammenarbeit mit „Swoboda“ und dem „rechten Sektor“ öffnet die Tür, um auch in anderen europäischen Ländern solche Kräfte gegen die Arbeiterklasse einzusetzen. Die Vorbereitungen dazu sind weit fortgeschritten.

So musste in Griechenland erst vor wenigen Tagen Panayiotis Baltakos, ein enger Mitarbeiter von Regierungschef Samaras, zurücktreten, weil ein Video die engen und freundschaftlichen Kontakte der Regierungspartei zur faschistischen Chrysi Avgi aufgedeckt hatte. In Frankreich hat Präsident Hollande Manuel Valls zum Regierungschef ernannt, obwohl absehbar ist, dass dessen neoliberale und ausländerfeindliche Politik der Nationalen Front von Marine Le Pen weiteren Auftrieb verschaffen wird. Und in Ungarn hat die faschistische Jobbik soeben mehr als ein Fünftel der Wählerstimmen erhalten, weil sie von der regierenden Fidesz systematisch gefördert wird.

Die Regierenden in Europa können diesen Weg gehen, weil ihnen unter den etablierten Parteien niemand entgegentritt. Die angeblich „linken“ Parteien und die pseudolinken Gruppen, die in ihrem Umfeld aktiv sind, unterstützen ihren Kriegskurs und ihre Zusammenarbeit mit Faschisten. Sie verherrlichen den faschistischen Putsch in Kiew als „demokratische Revolution“ und bezeichnen Russland als „Aggressor“. Die deutsche Linkspartei hat auf die Wiederkehr des deutschen Militarismus reagiert, indem fünf ihrer Bundestagsabgeordneten erstmals für einen Auslandeinsatz der Bundeswehr im Mittelmeer stimmten.

Wer gegen Krieg und Faschismus kämpfen will, muss die Partei für Soziale Gleichheit unterstützen. Sie tritt gemeinsam mit ihrer britischen Schwesterpartei, der Socialist Equality Party, zur Europawahl an, um die europäische Arbeiterklasse im Kampf gegen Krieg und Faschismus zu vereinen. Sie lehnt die Europäische Union ab und kämpft für Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa. Nur die Vereinigung Europas auf sozialistischer Grundlage kann den Rückfall des Kontinents in Nationalismus und Krieg verhindern.

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