Am Mittwoch beteiligten sich hunderttausende griechische Arbeiter an einem 24-stündigen Generalstreik. Das war die erste Maassenaktion in diesem Jahr gegen die Sparpolitik und Massenarbeitslosigkeit, infolge der Diktate der Europäischen Union, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds.
Die rechte Regierung von Premier Antonis Samaras hat gemäß den Befehlen dieser "Troika" die öffentlichen Ausgaben so stark gekürzt, dass Griechenland heute im Primärhaushalt einen Überschuss von 2,5 Prozent des BIP hat - d.h., einen Überschuss abzüglich des Schuldendienstes. Die Folgen für die griechischen Arbeiter waren schrecklich: Die Arbeitslosenquote liegt bei 27,5 Prozent, bei Jugendlichen ist sie auf 57 Prozent gestiegen, die Löhne wurden um 30 Prozent und mehr gesenkt, öffentliche Dienstleistungen wie Krankenversicherung wurden ausgehöhlt.
Vor dem Generalstreik hatte ein kostenloses kommunales Klinikum in Athen einen Appell an die Regierung veröffentlicht, in dem es sich dagegen aussprach, unversicherten Patienten mit gefährlichen ansteckenden Krankheiten die Medikamente zu verweigern. Das städtische Gemeinschaftsklinikum in Elliniko bezeichnete die Entscheidung des Gesundheitsministeriums, acht Hepatitis B- und C-Patienten die Medikamente zu verweigern, als "erschreckend verantwortungslose Politik." Das Klinikum fügte hinzu: "Patienten mit schweren ansteckenden Krankheiten dürfen nicht ignoriert werden."
Erst vor einer Woche hatte das griechische Parlament ein neues Sparpaket durchgesetzt, das unter anderem den Abbau von 4000 Stellen im öffentlichen Dienst, Kürzungen der Unterstützung für Arbeitslose, Rentenkürzungen und die Abschaffung von Regulierungen für die Eröffnung mehrerer Arten von Kleinunternehmen vorsieht, darunter Apotheken, Tankstellen, Bäckereien und Milchgeschäften. Letzteres wird zu einem ruinösen Wettbewerb mit Großkonzernen führen. Das Parlament beschloss außerdem, bis Ende 2014 eine Reform des Arbeitsrechtes zu verabschieden, durch die das Streikrecht drastisch eingeschränkt werden wird.
Der Generalstreik findet kurz vor zwei Ereignissen statt, die symbolisch für die Zerstörung Griechenlands durch die weltweite Finanzaristokratie sind. Am Donnerstag wird das Land auf die internationalen Kapitalmärkte zurückkehren und zum ersten Mal seit Beginn seiner Finanzkrise im Jahr 2010 Staatsanleihen verkaufen. Am Freitag wird Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich besonders für Sparpolitik in ganz Europa eingesetzt hat, zu Gesprächen mit Premierminister Samaras in Athen eintreffen.
Von dem eintägigen Generalstreik waren die meisten öffentlichen Verkehrsmittel betroffen, darunter Fähren zu den zahlreichen griechischen Inseln, Busse und Züge, die Athener U-Bahn war jedoch nur sporadisch betroffen. Im ganzen Land wurden Schulen und die meisten Gerichte und andere Behörden geschlossen. Apotheken, Krankenhäuser und Kliniken waren nur für medizinische Notfälle geöffnet.
Die beiden größten Gewerkschaftsbünde, GSEE, der die Privatwirtschaft abdeckt, und ADEDY für den öffentlichen Dienst riefen zu einem Protestmarsch in der Innenstadt von Athen auf, an dem sich etwa 6.000 Arbeiter beteiligten. Das war nur ein kleiner Teil derjenigen, die sich dem Streik angeschlossen hatten. Der Gewerkschaftsbund PAME, der von der Kommunistischen Partei geleitet wird, rief zu einer eigenen Kundgebung auf, an der sich nur ein paar hundert Arbeiter beteiligten.
Die Gewerkschaftsbürokratien haben sich durch ihre Zusammenarbeit mit der Regierung bei der Umsetzung der Austeritätspolitik in den letzten fünf Jahren diskreditiert. Die beiden größten Gewerkschaftsverbände sind mit der sozialdemokratischen Partei Pasok verbunden, die von 2009 bis 2012, solange sie die Mehrheit im Parlament hatte, gnadenlos Arbeitsplätze gestrichen und Ausgaben gekürzt hatte und diese Politik seither als Juniorpartner in der Regierung Samaras fortsetzt.
Pasok-Parteichef Evangelos Venizelos ist in der Regierung von Samaras stellvertretender Premierminister und Außenminister.
Während die griechische Wirtschaft in der schwersten Depression der jüngeren Geschichte steckt, haben die GSEE und ADEDY sich auf eine Reihe von zahnlosen eintägigen und zweitägigen Streiks beschränkt. Diese Streiks haben die potenzielle Stärke der Arbeiterklasse gezeigt, wurden aber nur benutzt, um Dampf abzulassen, die Rolle der Gewerkschaften bei der Unterstützung der Kürzungen zu vertuschen und die Angriffe auf Arbeitsplätze, Lebensstandard und soziale Bedingungen ungehindert fortzuführen.
Mit dem Streik am Mittwoch war es nicht anders. Noch während die Arbeiter streikten und demonstrierten, erklärte der Minister für Verwaltungsreformen, Kyriakos Mitsotakis, auf Vima FM, es sei an der Zeit, die Arbeitsplatzgarantie für Beschäftigte im öffentlichen Sektor abzuschaffen. Die griechische Verfassung verbietet die Entlassung von öffentlich Beschäftigten, außer aus disziplinarischen Gründen. Mitsotakis erklärte: "Die Gesellschaft ist reif genug, darüber zu diskutieren."
Ferner erklärte der Chef der Behörde, deren Aufgabe es ist, Regierungseigentum zu verkaufen, um die Forderungen der Troika nach Privatisierungen zu erfüllen am Mittwoch, es würde bis Ende des Jahres ein Portfolio im Wert von bis zu 500 Millionen Euro zur Auktion angeboten werden. Der Geschäftsführer des Hellenic Republic Asset Development Fund, der Privatisierungsgesellschaft für griechisches Staatseigentum, Andreas Taprantzis, erklärte, die Behörde habe in den letzten vierzehn Monaten Staatseigentum im Wert von fünf Milliarden Euro verkauft, darunter Immobilien im Wert von 1,8 Milliarden Euro - unter anderem Häfen, Flughäfen, Land und anderes Eigentum.
Drei riesige europäische Banken - UBS, Deutsche Bank und BNP Paribas - überwachen den Verkauf. "Die Stimmung hat sich stark verändert, die Investoren haben erst eine zeitlang herumgeschnuppert, aber jetzt sind sie eifrig dabei, in Griechenland nach Kaufgelegenheiten zu suchen“, sagte Taprantzis auf Bloomberg News. "Sehen Sie sich an, wie es auf den Aktienmärkten zugeht." Die Kurse an der Athener Börse sind um 175 Prozent gestiegen, nachdem sie im Juni 2012 den tiefsten Stand seit zweiundzwanzig Jahren erreicht hatten.
Der scharfe Kontrast zwischen dem Leiden der Masse der Bevölkerung und der Selbstbereicherung der Finanzelite wurde noch durch die Ankündigung unterstrichen, dass Griechenland am Tag nach dem Generalstreik wieder auf die internationalen Kapitalmärkte zurückkehren werde. Die Regierung Samaras stellte ihre Fähigkeit, Anleihen im Wert von 2,5 Milliarden Euro mit einem angestrebten Zinssatz von fünf Prozent zu verkaufen, als Beweis für den Erfolg ihrer Politik dar.
Allerdings war sogar die New York Times trotz ihrer Unterstützung für die Austeritätspolitik gezwungen zuzugeben, dass die "Kluft zwischen dem Optimismus in Finanzkreisen und der Verzweiflung von Millionen arbeitslosen Griechen und weiteren Millionen Arbeitslosen in anderen Staaten der Eurozone und der ganzen Europäischen Union schwer zu überbrücken sein wird."
In Wirklichkeit ist der Verkauf der Anleihen ein Manöver von Samaras und seinen europäischen Hintermännern, um die rechte Regierung politisch zu stärken und es ihr zu ermöglichen, in der Kommunalwahl und der Europawahl am 25. Mai eine verheerende politische Niederlage zu vermeiden.
Die Süddeutsche Zeitung warnte am Mittwoch in einem Kommentar: "Der konservative Premier Antonis Samaras will seine nur noch mit zwei Stimmen Mehrheit agierende Regierungskoalition über die anstehenden Wahlen retten... Verliert die Regierung Ende Mai bei den kommunalen oder auch europäischen Wahlen, sind Neuwahlen des Parlaments kaum noch zu verhindern. Athen könnte unregierbar werden, Griechenland wieder in der Krise versinken, die Euro-Zone gefährdet sein."
Die Zeitung schrieb weiter: "Die Experten, die über Monate die Bücher in Athen geprüft haben, rechnen damit, dass das Land bis 2016 zwischen 16 und 17 Milliarden Euro an neuen Krediten braucht und damit ein drittes Hilfspaket, und zwar aus dem Euro-Rettungsfonds... Weshalb den Euro-Politikern jetzt eine gehörige Portion Ehrlichkeit zu wünschen ist. Ehrlichkeit, um zu erklären, dass in Griechenland nach wie vor nichts normal ist - und womöglich um weitere Hilfe zu werben, für einen langen Atem bei der Krisenbewältigung. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag Premier Antonis Samaras besucht, ist eine gute Gelegenheit dafür."
Jedes neue Rettungspaket hätte nur den Zweck sicherzustellen, dass Griechenland seine Gläubiger weiterhin bezahlen kann: die Gelder gehen wieder an die Europäische Zentralbank und die internationalen Großbanken und Anleihenbesitzer, für die arbeitende Bevölkerung wird die Austerität noch weiter verschärft.
Die größte Oppositionspartei im Parlament, die pseudolinke Koalition Syriza, reagierte darauf mit Kritik an der Entscheidung, Anleihen zu verkaufen, da dies die "Staatsschulden erhöhen" und den Eindruck erwecken würde, Griechenland sei gezwungen, sich Geld zu leihen.
In der Zeit vor den Wahlen hat Tsipras mehrfach erklärt, eine Syriza-Regierung werde Griechenlands Schulden an die Milliardäre und die Europäische Zentralbank begleichen und dabei die Bedingungen "neu verhandeln." Da Syriza entschlossen ist, in der Eurozone und der Europäischen Union zu bleiben, hätte die Finanzoligarchie in einem solchen Prozess stets die Initiative und Syriza müsste die griechische Bevölkerung den Forderungen des Finanzkapitals unterordnen.