Pseudolinke in Bosnien im Laufschritt nach rechts

Die Proteste, die vor zwei Monaten in Bosnien ausbrachen, waren ein Ausdruck der Erbitterung der Arbeiterklasse über Massenarbeitslosigkeit und miese wirtschaftliche Bedingungen. Sie sind Ergebnis der jahrelangen Austeritätspolitik, die von der Europäischen Union und dem Internationalen Währungsfond diktiert wurde.

Die Proteste gingen von der Industriestadt Tuzla aus, der drittgrößten Stadt Bosniens, und weiteten sich auf andere Regionen aus, darunter auch auf die Hauptstadt Sarajewo. Viele Regierungsgebäude wurden in Brand gesetzt und mehrere Regionalregierungen traten zurück.

Infolge der Proteste bildeten sich „Vollversammlungen“, die oft als Plenum bezeichnet werden. Sie entstanden zuerst in Tuzla, dann aber auch in Sarajewo, Mostar und einigen kleineren Städten. Sie werden politisch von pseudolinken Gruppen und einigen Einzelpersonen bestimmt, die in Anspruch nehmen, dass die Plenen im Namen der Arbeiterklasse sprechen und Organe der Selbstverwaltung seien, ja, sogar Sowjets.

Die wichtigste dieser Gruppen ist die Lijevi (die Linken). Auf ihrer Web Site wird sie unter der Überschrift „Wer ist Lijevi“ in drei Sätzen vorgestellt. Dort wird die Organisation als „eine neue politische Bewegung bezeichnet, die alle Menschen mit offenem Geist und fortschrittlichen Ideen, die es ablehnen in Apathie und Pessimismus zu verfallen, auffordert, sich uns anzuschließen…“. In der kurzen Erklärung heißt es: „Es gibt keine Alternative zum Handeln.“ Es ist von „demokratischem Sozialismus, Säkularismus, Feminismus, Antifaschismus und nachhaltiger Entwicklung“ die Rede.

Lijevi wurde offiziell im April 2012 gegründet. Einer ihrer Führer, Emin Eminagic, erklärt, dass Studentenproteste, die nach dem Beginn der globalen Finanzkrise 2008 ausbrachen, „eine Gruppe junger Menschen dazu brachte, politisch nachzudenken und sich für eine bessere Zukunft des Landes zu engagieren.“ Er fährt fort: „Jetzt gibt es eine Partei namens Lijevi, die von ehemaligen Studentenaktivisten gegründet wurde. Sie trifft in ihren Basisorganisationen Entscheidungen in Plenen (Vollversammlungen).“

Eminagic hat einen Masterabschluss in Nationalismusstudien an der Zentraleuropäischen Universität in Budapest gemacht. Er absolvierte ein Praktikum am Zentrum für Sicherheitsstudien, einem von Beamten des bosnischen Außenministeriums geleiteten Thinktank, der unter anderem von der Nato, USAID, der Europäischen Kommission und mehreren europäischen Regierungen finanziert wird.

Lijevi ist aus Organisationen wie Dosta! (Genug!) und der Vereinten Organisation für Sozialismus und Demokratie (JSOD) entstanden. Letztere beschrieb ihre Mission als „die Vereinigung von Personen unterschiedlicher anti-kapitalistischer Tendenzen (Marxisten, Anarchisten, Anarchosyndikalisten, Trotzkisten, Linkskommunisten, Situationisten, Eurokommunisten, Anhänger des demokratischen Sozialismus und andere) in einer gemeinsamen Organisation.“

Im September 2009 organisierten Dosta! Und JOSD ein “Widerstandsforum”, das Personen wie Francois Sabado und Lucien Perpette, führende Mitglieder des pablistischen Vereinigten Sekretariats, einlud. Das Vereinigte Sekretariat brach in den 1950er Jahren mit dem Trotzkismus. Es sprach der stalinistischen Bürokratie in der Sowjetunion, sozialdemokratischen Parteien im Westen und bürgerlich nationalen Bewegungen in aller Welt eine revolutionäre Rolle zu und liquidierte auf der Grundlage zahlreiche Sektionen der Vierten Internationale.

Von 2010 bis 2012 organisierte die JOSD drei “linksorientierte” Festivals in Sarajewo. Daran beteiligt war die Rosa Luxemburg Stiftung, der Thinktank der deutschen Linkspartei, einer bürgerlichen Partei, die mit Nachdruck dem Privateigentum, der Marktwirtschaft und dem kapitalistischen Staat verpflichtet ist. Unter der Bezeichnung „AntiFest“ boten die Festivals diversen internationalen Pseudolinken Tendenzen eine Plattform. Im März 2014 hatte Lijevi Olivier Besancenot zu Gast, den Führer der französischen pablistischen Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA). Er lobte Tuzla als „die verkannte Hauptstadt des Europas der Arbeiter und Völker“.

Der Mangel an Prinzipien und die Demoralisierung dieser Schicht wird an ihrer politischen Entwicklung offensichtlich. Ein ehemaliger Führer der JOSD, Salmedin Mesihovic, Geschichtsprofessor an der Universität Sarajewo, erklärte kürzlich in einem Artikel: „Wenn du sadomasochistisch bist, dann schaffe oder beteilige dich an der Schaffung einer Partei der Südslawen, d.h. der Bewohner des westlichen Balkans.“ Der bekannteste Dosta! Führer, Demir Mahmutcehajic, ist jetzt örtlicher Abgeordneter der Sozialdemokratischen Partei, der Nachfolgeorganisation des stalinistischen Bunds der Kommunisten von Bosnien-Herzegowina.

Besonders aussagekräftig ist die Entwicklung des Journalisten Vuk Bacanovic, langjähriges führendes Mitglied von JOSD und Chefkolumnist der Web Site von Lijevi. Einst wütete er gegen Ungleichheit und würzte seine literarischen Ergüsse mit revolutionär klingenden Worten und Zitaten von Marx, Lenin und Trotzki.

Als JOSD 2012 ihre wahren Farben zu zeigen begann und sich zu Lijevi weiterentwickelte, beklagte Bacanovic die “mehreren Dutzend trotzkistischen Internationalen, die sich in Brudermord verzehren“, und glaubt festzustellen, dass „moderne revolutionäre Entwicklungen völlig an ihnen vorbeizuziehen scheinen, oder schlimmer noch, sie diese vorbeiziehen lassen.“

Am 20. März 2014 schreibt Bacanovic in einem Artikel mit der Überschrift “Was machen die Plenen falsch?”, dass das Plenum in Sarajewo von Beschäftigten der Privatwirtschaft bestimmt wird”. „Das stößt die Menschen ab”. Dann kritisiert er als „teilweise utopisch“ und „unrealistisch“ die Forderung nach Sozialleistungen. Er schreibt: „Nicht kurzfristige Lösungen wie großzügige Sozialleistungen sind der Weg vorwärts, sondern die Schaffung von Arbeitsplätzen. Konkret sollte gefordert werden, zwanzig Prozent aller staatlichen Haushalte auf allen Ebenen in Entwicklungsbanken und Industriefonds einzulegen, die von professionellen Investmenthäusern“ verwaltet werden sollten.

Mit anderen Worten: Mehr Staatsgeld für die Banken und Sozialleistungen nur soweit, wie die Kapitalisten sie sich leisten können. Umverteilung des Reichtums, die der Form halber noch erwähnt wird, wird in die unbestimmte Zukunft verschoben.

Bacanovic schließt: “Das ist also vorrangig und danach können wir über progressive Steuern, Arbeiterbeteiligung, Selbstverwaltung, neuen demokratischen Sozialismus und andere progressive Maßnahmen sprechen. Die Plenen…. sind das progressivste gesellschaftliche Phänomen… und genau deswegen müssen sie erst einmal wachsen, indem sie erkennen, dass sie die gesetzgebende und die exekutive Gewalt nicht über Nacht ersetzen können.

Die Pseudolinken von JOSD/Lijevi behandeln große historische Fragen mit Verachtung und arbeiten mit Kräften zusammen, die eine eindeutig konterrevolutionäre Bilanz aufweisen. Sogar ihre begrenzte reformistische Agenda haben sie zügig aufgegeben.

Ihre soziale Basis ist das Kleinbürgertum: Universitätsprofessoren, graduierte Jugendliche, die akademische und ähnliche Karrieren anstreben, Journalisten, Juristen und andere Intellektuelle. Die gesellschaftliche Perspektive dieser Schicht ist nicht das Streben nach einem völligen Umbau der kapitalistischen Gesellschaft zum Nutzen der unterdrückten Mehrheit, sondern das Streben nach ihrem eigenen gesellschaftlichen Aufstieg und einer gerechteren Verteilung des Einkommens innerhalb den oberen zehn Prozent der Bevölkerung.

Der Aufbau einer wirklich revolutionären Partei ist nur auf der Grundlage fester historischer Prinzipien und der theoretischen Errungenschaften möglich, die in Generationen von Klassenkämpfen gewonnen wurden. Im Gegensatz zu den Pseudolinken wird nur das Internationale Komitee der Vierten Internationale, das die World Socialist Web Site herausgibt, von solchen Perspektiven und Prinzipien angeleitet.

Als Teil des Kampfs, unseren Einfluss im ehemaligen Jugoslawien auszuweiten, freuen wir uns bekannt geben zu können, dass wir die serbokroatische Seite der WSWS in naher Zukunft wieder aufnehmen werden. Wir sind zuversichtlich, dass sie für die fortschrittlichsten Schichten von Arbeitern und Jugendlichen in der Region ein Orientierungspunkt sein wird.

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