Unter dem Titel „Europa, bleibe hart!“ sprach sich der ehemalige grüne Außenminister Joschka Fischer am Samstag in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung vehement für eine imperialistische Großmachtpolitik Europas aus. Die EU könne „widerstreitende Interessen anderer Mächte in ihrer südlichen und östlichen Nachbarschaft“ nicht akzeptieren, schreibt Fischer. Deshalb müsse die EU selbst als „machtpolitischer Akteur“ auftreten.
Um seinen kriegerischen Standpunkt zu begründen, entwirft Fischer das Bild eines aggressiven Russlands, das darauf dränge, eine „dominante Rolle in Europa“ zu erlangen. Der russische Präsident Wladimir Putin verfolge die „Wiedererlangung des Weltmachtstatus für Russland als sein strategisches Ziel“. „Im Zentrum dieser Strategie stand und steht die Ukraine“, erklärt Fischer. „Das nächste Ziel Wladimir Putins ist die Ostukraine – und damit verbunden die anhaltende Destabilisierung der gesamten Ukraine.“
Während Russland „Großmachtpolitik“ betreibe und eine „Strategie der Macht“ verfolge, stehe die EU für das „Selbstbestimmungsrecht der Völker, die Unverletzlichkeit der Grenzen, die Herrschaft des Rechts und demokratische Grundprinzipien“. Diesem „strategischen Grundsatzkonflikt“ dürfe man nicht mit „Sanftheit“ begegnen, die von Moskau „als Ermutigung begriffen“ werde, schreibt der Ex-Außenminister.
Stattdessen sei eine „Containmentpolitik“, also die systematische Zurückdrängung russischen Einflusses, angezeigt. Die Europäer müssten verstehen, „dass es sich bei der EU eben nicht nur um eine bloße Wirtschaftsgemeinschaft handelt, sondern um einen machtpolitischen Akteur, eine politische Einheit mit gemeinsamen Werten und Sicherheitsinteressen“, verlangt Fischer, „Die strategischen und normativen Interessen Europas haben sich mit Macht zurückgemeldet.“
Fischers Argumentation ist absurd. Tatsächlich sind es die USA und die europäischen Mächte, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine extrem aggressive Politik gegen Russland entwickelt und sich bemüht haben, das Land ihrem Einfluss zu unterwerfen. Dabei galt ihnen das Völkerrecht ebenso wenig wie Demokratie oder nationalstaatliche Grenzen.
Im Jahr 1999 war es Joschka Fischer, der als grüner Außenminister Deutschland in den ersten Angriffskrieg seit dem Zweiten Weltkrieg führte. Der Krieg gegen Serbien brach nicht nur deutsches und internationales Recht, sondern verletzte auch die Grenzen des Landes, das militärisch gezwungen wurde, das Gebiet des Kosovo abzutreten. Auch der Krieg gegen Irak, die Isolation Irans, der Krieg gegen Libyen und die Bewaffnung islamistischer Kämpfer in Syrien dienten den westlichen Mächten dazu, russischen Einfluss zurückzudrängen.
In der Ukraine organisierten Deutschland und die USA schließlich einen von Rechtsextremisten geführten Putsch, der den gewählten Präsidenten Wiktor Janukowitsch durch eine Regierung ersetzte, in der drei Ministerien und drei weitere Schlüsselpositionen mit offenen Faschisten besetzt sind. Auf diese Weise wollen sie die Unterordnung der Ukraine unter die EU erzwingen.
In der EU selbst stehen nicht nur die sozialen, sondern auch die demokratischen Rechte der Bevölkerung unter Feuer. In Griechenland wurden bereits etliche Streiks und Demonstrationen verboten und von der Polizei angegriffen. Die Sicherheitskräfte arbeiten dabei mit den Faschisten der Chrysi Avgi zusammen. Als Folge des Spardiktats der EU ist auf Athens Straßen Hunger wieder allgegenwärtig. Große Teile der Bevölkerung haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung mehr.
Wenn Fischer unter diesen Bedingungen davon spricht, „europäische Werte“ zu verteidigen, meint er die wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen der Herrschenden. Fischer selbst muss zugeben, dass Russland nicht die „politische und wirtschaftliche Kraft“ hat, weitere Gebiete zu annektieren. Das Zurückdrängen Russlands, das er fordert, bedeutet daher nichts anderes, als das Land europäischen bzw. deutschen Interessen zu unterwerfen.
Damit ist Fischers Appetit aber noch nicht befriedigt. Neben „östlichen“ spricht er auch von „südlichen Nachbarn“, die „widerstreitende Interessen“ hätten und deshalb zurückgedrängt werden müssten.
Schon früher hatte er sich für Kriege in Nordafrika eingesetzt. „Wie der Balkan gehört die südliche Gegenküste des Mittelmeers zur unmittelbaren Sicherheitszone der EU“, schrieb er im April 2011, um eine deutsche Beteiligung am Krieg gegen Libyen zu rechtfertigen. „Es ist einfach nur naiv zu meinen, der bevölkerungsreichste und wirtschaftlich stärkste Staat der EU könne und dürfe sich da heraushalten.“ Außenpolitik heiße, „harte strategische Entscheidungen zu verantworten, selbst wenn sie in der Innenpolitik alles andere als populär sind“, betonte Fischer.
Fischer und die Grünen gehören seit langem zu den klarsten Befürwortern einer atlantischen Allianz gegen Russland und einer umfassenden Kriegspolitik Deutschlands.
Fischer selbst war von 2009 bis 2013 Berater für das Konsortium der gescheiterten Nabucco-Pipeline, die unter Umgehung Russlands Gas aus der kaspischen Region direkt in die EU transportieren sollte. Grüne Politiker, wie die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt und die Bundesvorsitzende Simone Peter, fordern die Bundesregierung fortwährend auf, sich unabhängiger von russischen Energieexporten zu machen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
In den vergangenen Wochen traten die Grünen am vehementesten für eine aggressive Außenpolitik gegen Russland ein und brachten dabei auch militärische Optionen ins Spiel. Sie artikulieren damit die Interessen wohlhabender Mittelschichten, die in den letzten 30 Jahren kontinuierlich nach rechts gegangen sind und ihre Bedürfnisse aggressiv gegen Arbeiter und die Mehrheit der Bevölkerung durchsetzen.
Joschka Fischer repräsentiert dieses Milieu wie kein anderer. In den 70er Jahren war er in der kleinbürgerlichen Gruppe „Revolutionärer Kampf“ engagiert und lieferte sich Straßenschlachten mit der Polizei. Von dieser kurzen Jugendepisode hatte er vor allem die Verachtung gegenüber der Arbeiterklasse beibehalten, als er 1982 Mitglied der Grünen wurde und eine steile Karriere begann.
1998 wurde dem ehemalige Straßenkämpfer schließlich das Amt des Außenministers übertragen, um seine Partei und die mit ihr verbundenen Schichten für den deutschen Militarismus zu mobilisieren. Im April 1999 rechtfertigte Fischer den illegalen Angriffskrieg gegen Serbien, indem er die mögliche Tötung von Kosovaren durch die serbische Armee mit der industriellen Vernichtung der europäischen Juden durch die Nazis gleichsetzte.
15 Jahre nach dieser üblen Geschichtsklitterung setzt er sich für die Zusammenarbeit mit den ukrainischen Faschisten ein und erklärt ganz offen, dass es dabei um nichts anderes geht als um die wirtschaftlichen und politischen Interessen Europas.
Im Mittelpunkt seiner imperialistischen Überlegungen steht die Europäische Union. Weil „die europäische Nachbarschaft doch keineswegs so friedlich“ sei, wie gedacht, müsse der europäische Einigungsprozess schneller vorangetrieben werden, so Fischer. In diesem Zusammenhang sei insbesondere die Osterweiterung der EU „ein notwendiger Bestandteil der Sicherheit der Europäischen Union“.
Die EU ist für Fischer nicht nur das Instrument, mit dem Deutschland den Kontinent dominieren kann. Sie dient auch dazu, demokratische Strukturen aufzubrechen und einen aggressiven Kriegskurs gegen den breiten Widerstand der Bevölkerung durchzusetzen. Schon vor anderthalb Jahren war Fischer in der Süddeutschen Zeitung für autoritäre Herrschaftsformen durch die EU-Institutionen eingetreten.