Als sich Präsident Barack Obama im Dezember 2011 gezwungen sah, die letzten amerikanischen Kampfeinheiten aus dem Irak abzuziehen, nachdem ein Abkommen über den Status der Truppen mit Bagdad gescheitert war, versicherte er wiederholt, dass „die Flut des Krieges sich zurückzieht“.
Kaum zwei Jahre später steckt die gesamte Region infolge der vom US-Imperialismus betriebenen Politik in einem Sumpf von Gewalt und die Möglichkeit eines Krieges, in den die gesamte Region hineingezogen werden könnte, ist zu einer ernsthaften Gefahr geworden.
Die Obama-Regierung geht momentan Gesprächen mit Russland über eine mögliche Regelung in Syrien und mit dem Iran über eine Annäherung nach, die auf einer Vereinbarung über dessen Atomprogramm sowie einer zumindest teilweisen Lockerung der Wirtschaftssanktionen basiert.
Beide Gesprächsfäden wurden vergangenen September in Gang gebracht, nachdem Washington, kurz vor einer Intervention in Syrien stehend, von dieser wieder abgerückt war. Die Bevölkerung der Vereinigten Staaten und der ganzen Welt leistete dieser Vorbereitung auf eine Intervention überwältigenden Widerstand. Der Schwenk vom kriegerischen Angriff auf Syrien hin zu Gesprächen ist allerdings weit davon entfernt, ein Wandel zu Frieden und Diplomatie zu sein. Vielmehr erwuchs er als ein Bestandteil der US-imperialistischen „Schwerpunktverlagerung nach Asien“ und gründete auf der strategischen Konzeption, dass eine Entschärfung der Konfrontation mit dem Iran günstigere Bedingungen für das Ausfechten des Konflikts mit dem bei weitem schwergewichtigeren globalen Konkurrenten China ergebe.
Jedoch fällt es Washington schwer, seine Schwerpunktverlagerung nach Plan umzusetzen. Die USA finden es zunehmend schwieriger, sich aus der sich anbahnenden Katastrophe herauszuwinden, die sie selbst im Nahen und Mittleren Osten angerichtet haben.
Der von den Vereinigten Staaten geförderte Krieg für einen Regimewechsel in Syrien, der etwa 130.000 Menschenleben forderte und neun Millionen Heimatvertriebene produzierte, schwappte über Syriens Grenze in den Libanon und den Irak. Im Libanon sind Attentate, Selbstmordanschläge und bewaffnete Zusammenstöße alltägliche Erscheinungen geworden, während im Irak eine militärische Konfrontation zwischen der irakischen Armee und lokalen Milizen in den westlich von Bagdad gelegenen Städten Falludscha und Ramadi ausbrach.
Die Hauptverantwortung – politisch wie moralisch – für dieses Blutvergießen trägt der US-Imperialismus. Er verübte Kriegsverbrechen in Dimensionen, die lediglich mit denen verglichen werden können, die im Zweiten Weltkrieg vom Dritten Reich verübt worden sind. Der Hauptanklagepunkt im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess gegen die Nazis war der Angriffskrieg – dies ist auch das Hauptverbrechen der US-Regierung, aus dem zahllose andere Schrecken ergaben.
Der Irakkrieg, der auf der Basis von Lügen über nicht existente Massenvernichtungswaffen losgetreten wurde, war ein kalkulierter räuberischer Akt imperialistischer Aggression. Er bezweckte die Sicherstellung der amerikanischen Hegemonie in einer wichtigen und ölreichen Region und sollte dem ganzen Erdball eine Schock- und Einschüchterungsdemonstration der nackten Macht des amerikanischen Militarismus liefern.
In dessen Verlauf verbuchte das amerikanische Militär nicht nur den „Erfolg“, eine fragile, von Krieg und Sanktionen bereits am Boden zerstörte Gesellschaft in Stücke gerissen, sondern auch das gesamte regionale Staatensystem untergraben zu haben.
Washington ist nicht allein für die enormen Todesopfer verantwortlich, die sich in den neun Kriegsjahren im Irak ergaben (eine aktuelle amerikanisch-kanadische Untersuchung beziffert sie auf über 500.000), sondern auch für die potenziell Millionen Toten, die aus der fortgesetzten Zersetzung des Nahen Ostens zu erwarten sind. Der Blutzoll, der für die Neuaufteilung der Region zu entrichten sein wird, könnte sehr schnell denjenigen in den Schatten stellen, der vor 65 Jahren bei der Teilung Indiens gezahlt wurde.
Im Irak selbst treten diese Gefahren deutlich zutage. Die jüngsten Kämpfe wurden durch religiös motivierte Unterdrückung gegen die überwiegend sunnitische Bevölkerung der Provinz Anbar ausgelöst, für die die schiitisch dominierte Regierung von Premierminister Nuri al-Maliki verantwortlich ist. Die brutale Verhaftung eines prominenten sunnitischen Politikers sowie die blutige Niederschlagung eines langjährigen sunnitischen Protestlagers in Ramadi führten zu Jahresbeginn dazu, dass sunnitische Milizen die Kontrolle über Falludscha und Ramadi übernahmen. Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Milizen und der irakischen Armee halten an.
Zu den Beteiligten an diesen Kämpfen gehört die mit Al Qaida verbündete ISIS (Islamischer Staat im Irak und in Syrien), die im vom Westen unterstützten Stellvertreterkrieg in Syrien zum Sturz von Präsident Baschar al-Assad zu den prominentesten Elementen zählte.
Der Religionskonflikt ist nicht, wie ihn die Medien gerne darstellen wollen, etwa eine jahrhundertealte Blutfehde zwischen Sunniten und Schiiten. Er wurde vielmehr durch die US-Intervention ausgelöst und geschürt, um für die amerikanische Strategie des „Teilens und Herrschens“ ausgebeutet werden zu können. Ihren Ausdruck fand diese kriminelle Politik in den ethnischen Säuberungen, die zwischen 2007 und 2008 unter Deckung durch das amerikanische Militär durchgeführt wurden. Die Maliki-Regierung trat ihr Amt während der US-Okkupation an. Das irakische Militär, das zuvor seine Rekruten aus allen gesellschaftlichen Bereichen bezog, wurde in eine bewaffnete Kraft transformiert, die auf sektiererischen Milizen verschiedener schiitischer Parteien basiert.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Bevor die Vereinigten Staaten in den Irak eindrangen, existierte Al-Qaida dort nicht. Inzwischen hat die Gruppe durch den von den USA geförderten Syrienkrieg und die Geld- und Waffenlieferungen, mit denen Washington über seine regionalen Verbündeten die sogenannten „Rebellen“ versorgte, eine kräftige Stärkung erfahren.
Während in Anbar der Konflikt zwischen schiitischer Regierung und Sunniten heranwächst, tritt eine neue und potenziell weit blutigere Konfrontation zwischen der Regierung der halbautonomen Region Kurdistan im Norden des Iraks und dem Regime in Bagdad ans Licht. Streitpunkt ist der einseitige Ölverkauf außer Landes, den die Regionalregierung über eine transtürkische Pipeline betreibt. Diese Handlung, welche die Maliki-Regierung für illegal erklärte, wird als ein Schritt angesehen, der die Regionalregierung einer direkten Unabhängigkeitserklärung immer näher brachte. Eine solche Teilung würde einen erbitterten Kampf um das ölreiche Gebiet bei der Stadt Kirkuk nach sich ziehen.
Die Antwort Washingtons auf diese alles in ihren Sog ziehende Krise besteht darin, weiteres Zündholz unterzulegen, und zwar auf eine zynische Art und Weise, die einem den Atem verschlägt. Praktisch zur gleichen Zeit kündigte die Obama-Regierung an, umgehend Hellfire-Raketen und weitere Waffen an das Maliki-Regime zu liefern – angeblich, um Al-Qaida angehörige Elemente im Irak auszurotten – und die direkte Hilfe an die „Rebellen“ in Syrien zu erneuern, zu denen auch eine als „moderat“ beworbene Fraktion von Al-Qaida gehört. Diese letztgenannte Entscheidung erfolgt nach einer Reihe von Auseinandersetzungen zwischen diesen Fraktionen und ISIS.
Ein Leitartikel der New York Times vom Montag brachte den rücksichtslosen und kriminellen Charakter der amerikanischen Politik auf den Punkt und gestand ein: „Es besteht die Gefahr, dass die amerikanische Hilfe nach hinten losgeht, wie es in den 1980er Jahren geschah, als die Unterstützung für die Mudschaheddin, welche die Sowjets bekämpft hatten, dazu beitrug, Jahre später einen Nährboden für terroristische Bewegungen zu bereiten. Aber die Sache ist das Risiko wert.“
Je näher das hundertste Jahr seit Ausbruch des Ersten Weltkriegs rückt, desto klarer wird, dass das Staatensystem, das von den alten Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien im Sykes-Picot-Abkommen von 1916 durch Aufteilung der Region begründet wurde, durch neue imperialistische Interventionen und die Auswirkungen der Weltkrise des Kapitalismus auf die unterdrückten Nationen der arabischen Welt auseinandergerissen wird.
Diese Entwicklung droht, die Region in einen Abgrund religiös motivierter Gemetzel zu stürzen und der Funke zu werden, der einen neuerlichen Weltenbrand entzündet.
Die einzige Antwort auf diese Gefahren besteht in der Mobilisierung der unabhängigen Stärke der internationalen Arbeiterklasse in einem vereinten Kampf gegen den Kapitalismus. Für die Arbeiter des Nahen Ostens erfordert dies den Aufbau einer neuen sozialistischen Bewegung, die für die Vereinigung der Arbeiter über alle nationalen und religiösen Grenzen hinweg in einem gemeinsamen Ringen um die Sozialistischen Staaten des Nahen Ostens kämpft. Die Aufgabe, die vor den Arbeitern in den Vereinigten Staaten und Europa liegt, besteht im Aufbau einer sozialistischen Antikriegsbewegung der Massen, die sich der Beseitigung der Quelle für Krieg und Militarismus verschrieben hat: des kapitalistischen Profitsystems.