Am Montag erschien eine vertrauliche Denkschrift des US-Justizministeriums über die Rechtmäßigkeit „tödlicher Operationen“ gegen amerikanische Staatsbürger. Sie spricht sich dafür aus, dem Präsidenten nahezu unbeschränkte Handlungsfreiheit zu gewähren, die Ermordung von vermeintlichen Staatsfeinden anzuordnen, egal wo auf der Welt sie sich befinden.
Das Dokument nennt zwar bestimmte Bedingungen, die die gezielte Tötung eines amerikanischen Staatsbürgers angeblich legal machen – beispielsweise wenn das Ziel ein „aktiver Anführer von Al-Qaida oder einer verbündeten Kraft“ ist, wenn von dem Ziel die unmittelbare Gefahr eines gewaltsamen Angriffs ausgeht oder wenn die Gefangennahme nicht möglich ist – liefert jedoch auch Argumente, die diese Bedingungen bedeutungslos und unverbindlich machen.
Als ob das nicht genug wäre, ist der Begriff „verbündete Kraft“ auch so breit definiert, dass Mitglieder von fast jeder bewaffneten Bewegung, die als feindselig gegenüber den amerikanischen Interessen gilt, ins Fadenkreuz geraten können. Das Dokument legt außerdem eindeutig fest, dass die Bedingungen zwar „ausreichen“, um solch einen staatlichen Mord legal zu machen, ihr Fehlen ihn jedoch nicht illegal macht.
Es heißt wörtlich: „Diese Denkschrift versucht nicht, die Mindestanforderungen festzulegen, die notwendig sind, um solch eine Operation rechtmäßig zu machen, ebenso wenig will sie vorschreiben, was notwendig ist, um eine tödliche Operation gegen einen amerikanischen Staatsbürger unter anderen Umständen rechtmäßig zu machen, auch nicht wenn es um einen Staatsbürger geht, der kein hochrangiger aktiver Anführer derartiger Kräfte [wie Al-Qaida] ist.“
Mit anderen Worten, das Dokument gibt dem Präsidenten und seinen Militärs und Geheimdienstlern die Vollmacht, die Opfer gezielter Tötungen frei auszuwählen – auch Gegner des US-Imperialismus, die nicht Mitglied von Al-Qaida sind.
Das Dokument, über das erstmals Michael Isikoff von NBC News berichtete, wurde von der Obama-Regierung als Zusammenfassung eines rechtlichen Memos des Office of Legal Counsel des Justizministeriums vorbereitet. Es wurde im letzten Sommer an Mitglieder des Geheimdienst- und des Justizausschusses unter der Bedingung verteilt, dass es vor der amerikanischen Bevölkerung geheim gehalten werde.
Das Memo, auf dem das Dokument basiert, wurde angefertigt, um eine pseudorechtliche Rechtfertigung für die Ermordung des islamischen Geistlichen Anwar al-Awlaki aus New Mexico im Jemen bei einem Drohnenangriff im September 2011 zu schaffen. Samir Khan, ein eingebürgerter Amerikaner, wurde bei dem Angriff ebenfalls getötet. Al-Awlakis sechzehnjähriger Sohn, der in Colorado geboren wurde, wurde zwei Wochen später bei einem weiteren Drohnenangriff im Jemen getötet.
Obamas Sprecher Jay Carney wurde bei einer Pressekonferenz am Dienstagnachmittag mehrfach wegen des Dokumentes befragt. Er lieferte daraufhin eine vorbereitete Verteidigungsrede für das Drohnen-Mordprogramm, dem laut konservativen Schätzungen bereits weltweit 5000 Männer, Frauen und Kinder zum Opfer gefallen sind. Carney betonte, die Drohnenmorde seien „legal, ethisch und klug.“
Justizminister Eric Holder erklärte am Dienstag, die Obama-Regierung greife nur zu diesem Mittel, „wenn eine unmittelbare Bedrohung besteht, eine Gefangennahme nicht möglich ist oder wir uns sicher sind, dass unser Handeln den staatlichen und internationalen Gesetzen entspricht.“
Weder Carney noch Holder gingen direkt auf das Dokument ein oder äußerten sich über Details der rechtlichen Spitzfindigkeiten, mit denen es die Ermordung amerikanischer Staatsbürger rechtfertigt.
Jameel Jaffer, der stellvertretende Direktor für Rechtsfragen der Bürgerrechtsbewegung American Civil Liberties Union (ACLU) sagte am Dienstag über das Dokument: „Das ist ein abschreckendes Dokument. Darin wird im Grunde behauptet, die Regierung habe das Recht, einen amerikanischen Bürger ohne Gerichtsverfahren töten zu lassen... Es setzt dieser Vollmacht zwar Grenzen, aber die sind elastisch und vage definiert, und es ist leicht, sich vorzustellen, wie man sie manipulieren könnte.“
Die Obama-Regierung hat große Anstrengungen unternommen, um Dokumente, die mit dem Drohnen-Mordprogramm zu tun haben, vor der Bevölkerung geheim zu halten. Letzten Monat hatte eine Bundesrichterin in Manhattan Klagen der New York Times und der ACLU abgewiesen, die unter Berufung auf den Freedom of Information Act die Freigabe der Dokumente forderten. Die Richterin beklagte in der Urteilsbegründung, dass „unsere Exekutive durch Gesetze und Präzedenzfälle im Zusammenhang mit nationaler Sicherheit und Staatsgeheimnissen die Möglichkeit hat, Handlungen, die offensichtlich verfassungs- und gesetzwidrig sind, für rechtmäßig zu erklären und die Gründe dafür geheim zu halten.“
Zeitgleich mit der Veröffentlichung des Dokumentes forderten elf Senatoren – acht Demokraten und drei Republikaner – die Regierung auf, dem Kongress alle rechtlichen Meinungen mitzuteilen, die „die Befugnis des Präsidenten unterstützen, vorsätzlich amerikanische Staatsbürger zu töten.“
Die Veröffentlichung geschah außerdem nur wenige Tage vor der Anhörung John Brennans, dem Antiterrorberater Obamas und nominierten Direktor der CIA, am Donnerstag vor dem Geheimdienstausschuss des Senats.
Brennan ist der Architekt und Direktor des staatlichen Drohnen-Mordprogramms und hat es öffentlich verteidigt. Unter seiner Führung wurde das Mordprogramm mit einer sogenannten „Dispositionsmatrix“ systematisiert. Die Bedingungen für staatliche Morde wurden in einem „Regelbuch“ festgelegt.“
Es gilt zwar als sicher, dass Brennans Ernennung durchgewunken wird, aber bei der Anhörung werden dennoch Fragen über das Mordprogramm und über seine Bei den außerordentlichen Überstellungen und Folterungen in seiner Zeit als hoher CIA-Mitarbeiter unter der Bush-Regierung aufkommen. Vor vier Jahren sah sich Obama aufgrund des Widerstandes der Demokraten gegen Brennans bisherige Laufbahn gezwungen, seinen Versuch abzubrechen, Brennan in seiner ersten Amtszeit zum CIA-Direktor zu machen. Dass Brennan jetzt akzeptiert wird, ist ein unmissverständliches Anzeichen für die Rechtswende der Demokraten und des ganzen politischen Establishments.
Sowohl der kriminelle Inhalt wie auch der pseudolegale Tonfall des Memos ähneln sehr den „Folter-Memos,“ die unter Bush erstellt und im April 2009 von der Obama-Regierung veröffentlicht worden waren – damals bezeichnete Obama seine Amtseinführung als den Beginn einer neuen Ära der „Transparenz und Offenheit.“
Seither hat die Regierung die Verantwortlichen für Folter und andere Verbrechen verteidigt und das strengste Geheimhaltungsregime der Geschichte Amerikas in Kraft gesetzt. Die Zusammenfassung des Memos zu außergerichtlichen Tötungen zeigt, dass die Kriminalität der Bush-Regierung von seinem Nachfolger noch verschärft wurde.
Das Dokument nennt als Bedingung, unter der eine gezielte Tötung rechtmäßig ist, dass das mögliche Opfer „ein hochrangiger aktiver Anführer von Al-Qaida oder einer verbündeten Kraft ist.“ Es geht einfach davon aus, dass die Zielperson ein solcher Anführer ist, ohne zu erklären, wie das festgestellt und entschieden wird. Die Folgerung ist, dass ungenannte „hochrangige Vertreter“ der US-Regierung, mit anderen Worten Obama, Brennan und ihre Berater, solche Entscheidungen nach eigenem Ermessen fällen, ohne dass die Zielperson etwas davon weiß oder sich gar dagegen wehren kann.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Im Falle von al-Awlaki wurden nie Beweise dafür geliefert, dass er bei Al-Qaida eine „aktive“ Rolle gespielt hat. Jemen-Experten bestreiten diese Darstellung. Aus den restlichen Bedingungen geht jedoch klar hervor, dass die Ermordung laut dem Justizministerium „rechtmäßig“ ist, sobald der Präsident oder einer seiner Untergebenen zu diesem Schluss kommt – ohne eine Anklage zu liefern oder sie beweisen zu müssen.
Die grundlegendsten demokratischen Rechte, die in der amerikanischen Verfassung und der Bill of Rights verankert sind, vor allem die Garantie des Fünften Zusatzartikels, dass „Niemandem ohne ein rechtmäßiges Verfahren das Leben genommen werden“ darf, werden beiseite geschoben. Das Dokument reduziert Rechtsstaatlichkeit auf die Diskussionen, die jetzt bei sogenannten „Terror-Dienstag“-Sitzungen im Weißen Haus stattfinden, in denen Obama und seine Militär- und Geheimdienstberater im Geheimen Opfer auswählen, die von Hellfire-Raketen getötet werden.
Was die angeblichen „Bedingungen“ angeht, die das Dokument nennt, die eine Ermordung legal machen sollen, so sind sie alle Betrug. Zuerst wird behauptet, ein mögliches Opfer müsse eine „unmittelbare Bedrohung durch einen gewaltsamen Angriff auf die Vereinigten Staaten“ darstellen. Diese Bestimmung, heißt es weiter, „macht es nicht erforderlich, dass die Vereinigten Staaten klare Beweise für einen spezifischen Angriff auf amerikanische Bürger und Interessen in der nahen Zukunft haben.“ Solche Beweismittel vorlegen zu müssen, lasse „den Vereinigten Staaten nicht genug Zeit, um sich zu verteidigen.“
Die „Unmittelbarkeit,“ heißt es weiter, bestimmt sich nicht aus vergangenen, aktuellen oder künftigen Verbrechen des Individuums, das ermordet werden soll, sondern durch die Einordnung des möglichen Opfers als „hochrangiger aktiver Anführer“ und durch die begrenzten Möglichkeiten, die das US-Militär und der Geheimdienstapparat haben, um diese Person zu töten. Unter dieser „breiteren Auslegung von Unmittelbarkeit“ sind präventive Morde erlaubt, sobald der Präsident oder ein „informierter hochrangiger Vertreter“ jemanden als Staatsfeind ausgedeutet hat.
Die angebliche Bedingung, dass die Gefangennahme des möglichen Opfers nicht möglich sein darf, ist ebenfalls nichtig. In dem Dokument heißt es dazu weiter, die Definition einer unmöglichen Festnahme sei „mangelnde Gelegenheit“, die Weigerung des Landes, in dem sich das Opfer aufhält, eine Verhaftung durchzuführen und „unverhältnismäßige Risiken für amerikanisches Personal“ beim Versuch einer Verhaftung. Mit anderen Worten, wenn eine Ermordung zweckmäßig ist, ist sie auch „legal.“
Das Dokument behauptet, die Authorization of the Use of Military Force, die im September 2001 vom Kongress verabschiedet worden war, rechtfertige Morde und Drohnenangriffe auf dem ganzen Planeten. Es wiederholt die Behauptung der Bush-Regierung, die ganze Welt sei ein Schlachtfeld im Krieg gegen den Terror.
Um diese Annahme zu rechtfertigen, beruft es sich unter anderem auf Reden von Vertretern der Nixon-Regierung, die die Invasion von Kambodscha im Jahr 1970 verteidigten. Es scheint Obama und seine Untergebenen nicht zu interessieren, dass Nixons Politik gegenüber Kambodscha später einer der Gründe für sein Amtsenthebungsverfahren war.
Das Dokument gibt zu, dass es „kein angemessenes juristisches Forum“ gibt, das entscheiden kann, ob es zu Problemen mit der Verfassung führen kann, wenn der Präsident die Ermordung von Staatsbürgern anordnet. Es heißt, jede gerichtliche Untersuchung vor oder nach den Tötungen würde das „spezifische taktische Urteil“ des Präsidenten und der verantwortlichen Funktionäre behindern.
Der Rest des Dokumentes besteht hauptsächlich aus Beteuerungen, dass die außergerichtliche Ermordung von amerikanischen Staatsbürgern in keiner Weise die amerikanische Verfassung verletzt, noch das amerikanische Verbot von Mordanschlägen oder das Völkerrecht, und auch nicht als Kriegsverbrechen gelten können. Ähnlich wie die Folter-Memos, die vor zehn Jahren erstellt wurden, sollen diese Behauptungen diejenigen schützen, die den verbrecherischen Befehlen des Weißen Hauses Folge leisten.
Es geht hier um einen Präsidenten, der sich das „Recht“ anmaßt, als Richter, Verteidiger und Henker in Einem aufzutreten und im Geheimen amerikanische Staatsbürger und viele Tausende von Menschen auf der ganzen Welt ermorden zu lassen. Die Abschaffung aller Einschränkungen seiner Macht über Leben und Tod legen den Grundstein für eine Polizeistaatsdiktatur.