Am Dienstagabend verhängte die griechische Regierung das Kriegsrecht über streikende Fährenarbeiter und hinderte sie mit Polizeigewalt daran, ihre Streikposten zu beziehen. Die Arbeiter hatten gegen Arbeitsplatzabbau und Lohnsenkungen sowie für die Auszahlung fälliger Löhne gestreikt. Einige haben schon seit Monaten keinen Lohn mehr erhalten.
Die Besatzungen der Fähren hatten den Streik am vergangenen Donnerstag begonnen und ihn dann drei Mal um je 48 Stunden verlängert. Bevor sie den Streik am Mittwoch fortsetzen konnten, schlug die Regierung zu. Die Seeleute wurden zum zivilen Militärdienst eingezogen und auf diese Weise zur Zwangsarbeit verpflichtet. Sollten sie die Arbeit verweigern, drohen ihnen bis zu fünf Jahren Haft. Am Mittwochmorgen besetzten Polizisten den zentralen Hafen in Piräus, um protestierende Arbeiter daran zu hindern, Streikbrecher aufzuhalten
Die Gewerkschaft der Seeleute (PNO) reagierte auf die Verhängung des Kriegsrechts, indem sie den Streik ohne Bedingungen abbrach und die Arbeiter aufrief, zurück an ihre Arbeit zu gehen. Die beiden großen Gewerkschaftsverbände ADEDY und GSEE riefen am Mittwoch zu Solidaritätsstreiks in der Region Attika auf, in der neben Athen auch Piräus liegt.
Die Solidaritätsstreiks waren aber streng beschränkt. Busse und Oberleitungsbusse blieben nur für vier Stunden in ihren Depots und im öffentlichen Dienst wurde so gut wie gar nicht mobilisiert. In Piräus versammelten sich am Mittag tausende Arbeiter, um gegen das Vorgehen der Regierung zu demonstrieren. Die Demonstranten zogen vom Hafen zum Seefahrtsministerium.
Mit der Verhängung des Kriegsrechts setzt die griechische Regierung ein elementares demokratisches Grundrecht außer Kraft. Sie verstößt auch gegen internationales Recht, das Zwangsarbeit nur in klar definierten Grenzen zulässt. Die Abschaffung des Streikrechts und die Kriminalisierung streikender Arbeiter sind typische Merkmale autoritärer und faschistischer Diktaturen, wie der griechischen Obristendiktatur vor 40 Jahren.
Seit die Europäische Union Griechenland ihre brutalen Sparmaßnahmen diktiert, hat die griechische Regierung bereits vier Mal zum Kriegsrecht gegriffen, um streikende Arbeiter zurück an die Arbeit zu zwingen: 2010 gegen Lastwagenfahrer, 2011 gegen streikende Arbeiter der Müllentsorgung und vor zwei Wochen gegen U-Bahnfahrer.
Sobald Arbeiter das Gleis symbolischer gewerkschaftlicher Protestaktionen verlassen und in einen ernsthaften Ausstand treten, der wirtschaftliche Folgen zeigt, werden sie mit Polizeigewalt zurück an die Arbeit gezwungen. Jede Form des effektiven kollektiven Widerstands gegen die Sparmaßnahmen wird damit unter Strafe gestellt, und das von einer Regierung, in der neben der konservativen Nea Dimokratia und der sozialdemokratischen PASOK auch die SYRIZA-Abspaltung Demokratische Linke (DIMAR) sitzt.
Die faktische Abschaffung des Streikrechts geht mit wachsender Polizeibrutalität und dem Aufbau autoritärer Strukturen einher. Erst letzte Woche kam ans Licht, dass vier mutmaßliche Bankräuber mit anarchistischem Hintergrund nach ihrer Festnahme von der Polizei schwer misshandelt wurden. Schon im letzten Jahr war die Polizei mit antifaschistischen Demonstranten in gleicher Weise umgegangen. Es gibt zudem enge Verbindungen zwischen der Polizei und der faschistischen Partei Chrysi Avgi, die vom Staatsapparat gezielt aufgebaut wird.
Das Streikverbot ist eng mit den übrigen europäischen Regierungen und den EU-Institutionen abgesprochen. Die sogenannte Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), EU-Kommission und Europäischer Zentralbank (EZB) überwacht jeden Schritt der griechischen Regierung und hat in jedem Ministerium Beobachter platziert. Am Anfang des Jahres sprach sich Regierungschef Andonis Samaras (ND) bei einem Besuch in Berlin zudem mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel ab, die darauf bestand, dass die Sozialkürzungen unbeirrt fortgesetzt werden.
Nachdem die Troika die griechische Bevölkerung ins blanke Elend gestürzt hat, um die Profitansprüche der Banken und Spekulanten zu befriedigen, wird jetzt jede Opposition dagegen unterdrückt. Galt Griechenland der Finanzelite seit 2010 als Vorbild für brutale soziale Angriffe in ganz Europa, erprobt sie jetzt dort autoritäre Herrschaftsformen.
Eine Schlüsselrolle bei der Durchsetzung dieser Angriffe spielen die Gewerkschaften in Griechenland und in ganz Europa. Ohne ihre Unterstützung und ihr ständiges Bemühen, den Widerstand der Arbeiter zu unterdrücken oder auf ohnmächtige Protestaktionen zu beschränken, könnte die äußerst instabile Regierung Samaras keine Woche überleben.
Auch die europäischen Gewerkschaften unterstützen die Angriffe auf die griechischen Arbeiter und rühren keinen Finger, um dem Angriff auf ein elementares demokratisches Grundrecht entgegenzutreten.
Auf Anfrage der WSWS sagte die Pressesprecherin des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB), Emanuela Bonacina, ihre Organisation wolle keinerlei Aktionen zur Verteidigung der griechischen Seeleute und der demokratischen Rechte in Griechenland durchführen. Man habe die Frage noch nicht einmal für diskussionswürdig gehalten. Auch bei der Pressestelle des Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) winkte man ab.
Der Internationale Verkehrsarbeiterbund (ITF), dessen Mitglied die PNO ist, sandte lediglich eine Protestnote an Samaras. Sein Pressesprecher Sam Dawson sagte der WSWS: „Die PNO hat uns gebeten, direkt bei der Regierung zu intervenieren, was wir gemacht haben. Sollten Sie mehr Hilfe benötigen, wissen sie, dass sie auf die ITF zählen können.“
In Griechenland selbst versuchen die Gewerkschaften, die Wut der Arbeiter über das Vorgehen der Regierung mit einigen symbolischen Aktionen unter Kontrolle zu halten. Schon in der letzten Woche organisierten sie nach der Niederschlagung des U-Bahnarbeiterstreiks einige kleine Solidaritätsaktionen, die schnell wieder abgebrochen wurden, um die Regierung nicht ernsthaft zu bedrohen. Die Aktionen vom Mittwoch trugen denselben Charakter.
Die Gewerkschaften arbeiten eng mit der Regierung zusammen und haben mit ihr eine Arbeitsteilung entwickelt, um die Arbeiter zu unterdrücken. Gehen Arbeiter über die abgesprochenen symbolischen Proteste hinaus, setzt der Staat seinen Repressionsapparat ein. Dabei kann er sich wiederum auf die Gewerkschaften verlassen, die den Widerstand dagegen unterdrücken.
Unterstützung erhält die Gewerkschaft dabei von pseudolinken Gruppen wie der Koalition der Radikalen Linken (SYRIZA) oder der Kommunistischen Partei (KKE).
Der SYRIZA-Vorsitzende Alexis Tsipras ist nach Berlin und Washington gereist, um den dortigen Regierungen zu versichern, dass seine Partei „ungefährlich“ sei und die Rückzahlung der griechischen Schulden garantieren werde. Er hat immer wieder betont, dass SYRIZA die Regierung Samaras nicht stürzen oder zum Rücktritt zwingen will.
Die KKE Vorsitzende Aleka Papariga stellte sich an die Spitze der Demonstration in Piräus und sprach sich für Solidarität mit den Seeleuten aus. Zugleich spielte die Gewerkschaft der KKE, PAME, die zentrale Rolle dabei, den Streik der Fährenarbeiter abzubrechen. Sie ist innerhalb der PNO der stärkste Verband.