Perspektive

Der Mord an Jassir Arafat

Neun Jahre nach Jassir Arafats Tod in einem französischen Militärkrankenhaus am 11. November 2004 hat ein Team schweizerischer Toxikologen Spuren des radioaktiven Isotops Polonium 210 in seinen exhumierten sterblichen Überresten, seinem Leichentuch und im Erdreich seines Grabs gefunden.

Auch ein russisches Toxikologen-Team fand Spuren von Polonium im Körper des Fatah-Führers und gewählten Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA). Die schweizerischen Wissenschaftler gehen von einer 83-prozentigen Wahrscheinlichkeit aus, dass der verstorbene palästinensische Führer vergiftet wurde.

Diese Ergebnisse sind Teil einer Gesamtuntersuchung der französischen Behörden über Arafats Tod. Sie bestätigen, dass der palästinensische Führer ermordet wurde.

Arafat war eigentlich bei guter Gesundheit, als er nach einer Mahlzeit in seinem Haus in Ramallah plötzlich heftig erkrankte. Sofort stand der Verdacht im Raum, er sei vergiftet worden. Aber es erwies sich als unmöglich, zu bestimmen, ob das wirklich der Fall war. Keiner der behandelnden Ärzte, weder in Palästina, noch in Frankreich, konnte die Ursache seiner Krankheit diagnostizieren. Diese erwies sich als Kombination aus einer Darmentzündung, einer Gelbsucht und einer Blutkrankheit, bekannt unter dem Namen disseminierte intravasale Gerinnung.

Erst als der investigative Journalist und ex-Bodyguard des amerikanischen Secret Service, Clayton Swisher, der sich mit Arafat angefreundet hatte, seinem Verdacht hinsichtlich Arafats Tod hartnäckig nachging, nahm der katarische Fernsehsender Al-Dschasira eine Untersuchung auf. Katar ist gegenwärtig Zufluchtsort und Financier von Khaled Meshaal und der Hamas-Exilführung, die ein Ableger der Muslimbruderschaft ist und im Gazastreifen regiert. Sie steht in Gegnerschaft zur Autonomiebehörde und zu Arafats Fatah.

Al-Dschasira fand Spuren von Polonium an Arafats persönlichen Sachen. Das führte zu einer offiziellen Morduntersuchung in Frankreich und der Exhumierung seines Leichnams. Zwischen Arafats Witwe und der PA-Führung gab es scharfe Spannungen, sodass Frau Arafat Proben in die Schweiz schickte, während die PA-Führung welche nach Russland schickte.

Die Verantwortung für Arafats Tod wurde sofort – mit gutem Grund - Israel angelastet, das zahlreiche palästinensische Führer hat ermorden lassen, darunter auch Arafats engsten Mitarbeiter Abu Dschihad.

Ex-Ministerpräsident Ariel Scharon hat öffentlich zugegeben, mehrfach erfolglos versucht zu haben, Arafat zu töten. Ein Mord am PA-Führer entsprach der offiziellen Politik Israels.

Im September 2003 erklärte der damalige stellvertretende Ministerpräsident Ehud Olmert öffentlich, die israelische Regierung wolle den palästinensischen Präsidenten töten, weil er angeblich „ein Hindernis auf dem Weg zum Frieden“ sei.

Praktisch seit Beginn der Zweiten Intifada im September 2000 war Arafat Gefangener in seinem ausgebombten Regierungsgebäude in Ramallah. Er hatte kaum noch Möglichkeiten, auf das Leben in Palästina einzuwirken. Die Bush-Regierung unterstützte Israel in seinem Vorhaben vorbehaltlos. Im UN-Sicherheitsrat legte sie sogar ihr Veto gegen eine Resolution ein, die Israels Entscheidung verurteilte, Arafat loszuwerden.

Israel hat die Entscheidung nie zurückgenommen. Nur Wochen vor Arafats letzter Krankheit bekräftigte Scharon die Drohung, ihn zu töten.

Seit den 1990er Jahren versuchte Arafat wiederholt, eine Annäherung an Israel und die Vereinigten Staaten zu erreichen. Entsprechend dem Osloer Abkommen von 1993 stimmte er zu, die Palästinensische Autonomiebehörde zu schaffen. Im Gegenzug fiel ihm die Aufgabe zu, die unruhige und verarmte palästinensische Bevölkerung unter Kontrolle zu halten, die seither de facto in einem Gefängnis eingesperrt ist, während ihre Führer sich bereichern.

Arafat hatte allerdings die Verbindungen zu seiner revolutionären nationalistischen Vergangenheit noch nicht völlig gekappt und weigerte sich, als Chef der PA die militante Opposition der Al Aksa Brigaden, des Islamischen Dschihad und der Hamas gegen Israel zu unterdrücken. Das zu tun, hätte bedeutet, einen Bürgerkrieg gegen sein eigenes Volk zu führen.

Sein Tod beseitigte dieses Hindernis und machte den Weg für die Einsetzung einer gefügigeren Führung unter Mahmud Abbas frei.

Nach jahrelangem Leugnen israelischer Sprecher gestand der israelische Präsident Schimon Peres die Wahrheit ein. In einem Interview, das er der New York Times schon vor einigen Monaten gegeben hatte, das aber erst vergangene Woche veröffentlicht wurde, sagte Peres, Arafat hätte nicht ermordet werden dürfen. Er versicherte, er sei gegen seine Ermordung gewesen. Peres erklärte, er habe „Arafat vor mehreren Mordanschlägen bewahrt“.

Der Mord an Arafat belegt den durch und durch kriminellen Charakter der Washingtoner Regierung und ihres wichtigen Verbündeten. Vor dem Mord fanden schon die Aggressionskriege gegen Afghanistan und den Irak statt, die beide danach unter koloniale Besatzung gestellt wurden. Als Vorwand dienten die Anschläge vom 11. September, wie auch Lügen über angebliche irakische Massenvernichtungswaffen. Seit Arafats Ermordung sind Drohnenmorde, die euphemistisch als „gezielte Tötungen“ bezeichnet werden, zur offiziellen Politik der USA und Israels geworden.

Die Verantwortung für den Mord an Arafat ist allerdings nicht auf Washington und Tel Aviv begrenzt. Die Art seiner Ermordung deutet auf die Komplizenschaft von Teilen der palästinensischen Führung hin, weil irgendjemand aus Arafats unmittelbarer Umgebung ihm das Gift verabreicht haben muss.

Es hat nur deshalb neun Jahre gedauert, bis die Todesursache identifiziere wurde, weil die neue palästinensische Führung unter Abbas alles getan hat, um die Wahrheit zu unterdrücken. Die PA unternahm nichts, um die Umstände von Arafats Tod zu untersuchen. Sie lehnte eine Autopsie ab. Sie wandte sich erst 2009 an die französischen Behörden mit der Bitte um medizinische Informationen, und sie hat Arafats Witwe nie um Gegenstände gebeten, die forensisch hätten untersucht werden können.

Die PA zögerte die Erlaubnis für die Exhumierung der Leiche hinaus und bat die UN um eine Untersuchung wie im Fall des Mordes am libanesischen Führer Rafiq Hariri, der einen Angriff gegen Syrien darstellte, oder um eine Untersuchung der Arabischen Liga.

Die Ermordung Arafats ist Ausdruck der völligen Sackgasse der nationalistischen Perspektive, die die Arbeiterklasse hindert, sich einer Alternative zur Ausbeutung durch ihre eigene herrschende Klasse und den Imperialismus zuzuwenden. Sie konfrontiert die palästinensischen Arbeiter mit der Erkenntnis, dass der Mann, der am engsten mit dem Kampf für einen eigenen Staat identifiziert war, in Zusammenarbeit mit der Clique von Millionären ermordet wurde, die die Führung in der Organisation übernommen hat, die er geschaffen hatte.

In dieser Hinsicht unterscheidet sich Palästina nicht vom übrigen Nahen Osten, wo korrupte nationalistische Führer den Interessen der Ölkonzerne und Banken auf Kosten ihrer eigenen Arbeiterklasse dienen.

Der Mord an Arafat erinnert die israelischen Arbeiter an die Tatsache, dass die viel gelobte “einzige Demokratie” im Nahen Osten von militärischen Verbrechern regiert wird, die über die Interessen Washingtons im ölreichen Nahen Osten wachen, Gefängniswärter der Palästinenser sind und ihre eigene Arbeiterklasse ausbeuten.

Nur die Perspektive des sozialistischen Internationalismus bietet eine fortschrittliche Alternative zu wirtschaftlicher Verelendung, Unterdrückung und Krieg. Die Arbeiterklasse muss die Kontrolle über die global organisierten Produktivkräfte des Kapitalismus übernehmen und die Produktion auf der Grundlage der Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse reorganisieren, anstatt im Dienste des privaten Profits.

Die Arbeiter Israels und Palästinas können den Sozialismus nur erkämpfen, wenn sie die Arbeiterklasse des ganzen Nahen Ostens unabhängig von Religion, Abstammung oder Nationalität für einen gemeinsamen Kampf gegen die regionalen herrschenden Eliten und ihre Herren in den Vereinigten Staaten und Europa mobilisieren.

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