Der britische Premierminister David Cameron kündigte in seiner Rede auf dem jährlichen Lord Mayor’s Banquet in der Londoner Guildhall an, dass die verheerenden Sparmaßnahmen, die seine Regierung verhängt hat, “dauerhaften“ Charakter hätten.
Im Ambiente des prunkvollsten Saals der Guildhall wandte sich Cameron an neunhundert reiche und verwöhnte Gäste, die auf Kosten des zwölf Millionen Dollar Fonds, den die City of London für Zeremonien und Bewirtung bereitstellt, ein luxuriöses Banquet genossen.
Von einem goldenen Thron und einem mit Gold beschlagenen Katheder aus erklärte Cameron, die höchste Priorität seiner Regierung sei „eine Wirtschaft mit einem Staat, den wir uns leisten können“. Er kritisierte all jene, „die offenbar der Meinung sind, dass die Lebenshaltungskosten in diesem Land am besten dadurch verringert werden, dass der Staat mehr und mehr Steuergelder ausgibt“.
Seine Bemerkungen richteten sich teilweise an den neben ihm sitzenden Erzbischof von Canterbury, Justin Welby. Welby hatte sich kürzlich besorgt über die gesellschaftlichen Folgen der sozialen Kürzungen geäußert.
„Zu einer Zeit, in der das Familienbudget knapp ist, sollte man sich tunlichst daran erinnern, dass diese Ausgaben [für Sozialleistungen] aus den Taschen der gleichen Steuerzahler kommen, deren Lebensstandard wir erhöhen wollen. Ich hoffe, der Erzbischof von Canterbury wird mir verzeihen, wenn ich sage: ‚Hier wird nicht Peter beraubt, um Paul zu geben, sondern hier wird Peter beraubt, um Peter zu geben`“, sagte Cameron.
Die größte Gefahr für Großbritannien bestehe, “wenn unser Haushaltsdefizit und unsere Schulden wieder außer Kontrolle geraten. (…) Wie haben einen Plan, und wir setzen diesen Plan sorgfältig um.”
Er erklärte, die Kürzung der öffentlichen Ausgaben durch die Koalition habe „das Defizit schon um ein Drittel verringert“, aber das sei nur der Anfang gewesen. „Dies erfordert nicht nur schwierige Entscheidungen bei den öffentlichen Ausgaben. Es bedeutet auch etwas Grundlegenderes. Es bedeutet, einen schlankeren, einen effizienteren Staat zu schaffen. Wir müssen mehr mit weniger erreichen, und nicht nur heute, sondern dauerhaft.“
Cameron lobte einen “schlankeren, effektiveren, preisgünstigeren Staat“ und führte Beispiele für massive Arbeitsplatzstreichungen und Privatisierungen an. „Im Bildungsministerium arbeiten heute vierzig Prozent weniger Leute, aber es gibt dreitausend freie Schulen und Akademien mehr, und mehr Kinder belegen schwierigere Kurse als jemals zuvor. Im Nationalen Gesundheitsdienst (NHS) sind 23.000 Verwaltungsangestellte weniger, aber fünftausend Ärzte mehr und kürzere Wartezeiten.“
Die Konsequenzen aus Camerons Bemerkungen sind beängstigend. Der Haushalt des NHS wird bis 2015 um zwanzig Milliarden Pfund gekürzt, d.h. um ungefähr zwanzig Prozent. Inzwischen gibt es Forderungen, die Kürzungen auf dreißig Prozent zu erhöhen. Gleichzeitig wird mit dem Health and Social Care Gesetz von 2012 die Privatisierung beschleunigt.
Am Tag von Camerons Rede enthüllte das Royal College of Nurses, dass die Kürzungen beim NHS die Sicherheit der Patienten gefährdeten. Wie dieses College erklärte, fehlen im Gesundheitssystem schon 20.000 Schwestern und Pfleger. Unzureichende Personalausstattung sei ein gemeinsamer Faktor bei Stationen mit hohen Sterberaten in manchen Krankenhäusern.
Auch die staatliche Bildung wird unterhöhlt und privatisiert. Allenthalben werden Akademien und freie Schulen eingeführt. Lehrer müssen gegenwärtig einen dreijährigen Lohnstopp und die Kürzung ihrer Rentenansprüche hinnehmen, was einer zwölfprozentigen Lohnsenkung gleichkommt.
Die OECD reihte Großbritannien diesen Monat unter 65 Ländern bei der Bildungsleistung weit hinten ein, hinter Russland, Polen und Ungarn. In einem früheren Bericht hatte die Organisation festgestellt, dass die britischen Schulen zu den sozial am meisten gespaltenen der Welt gehören.
Wie Cameron klarmachte, ist das wirkliche Ziel von Massenentlassungen, Privatisierungen und sinkendem Lebensstandard nicht “die Reduzierung des Staatsdefizits”, sondern die Bedienung der Forderungen der Londoner City, die er als “die globale Heimat der Finanzindustrie” bezeichnete.
Cameron glorifizierte die Thatcher Regierung der 1980er Jahre, ohne rot zu werden, deren Politik die Grundlage dafür legte, dass die britische Wirtschaft voll auf die Interessen der Banken und Superreichen zugeschnitten ist. Der britische Erfolg im „globalen Wettlauf“ habe erreicht, dass „das Land, das die landwirtschaftliche Revolution, die industrielle Revolution und die marktwirtschaftliche Revolution der 1980er Jahre angeführt hat, ausgerüstet wird, damit es die wirtschaftliche Revolution von heute anführen kann“, sagte er.
Niemand käme nach dieser Rede auf die Idee, dass es die Kriminalität, Spekulation und geldgeile Profitmacherei eben jener Parasiten der Londoner Börse und Wall Street mit ihrer “marktwirtschaftliche Revolution“ war, die den Finanzzusammenbruch von 2008 herbeigeführt hatten. Für diesen Kollaps sollen jetzt die Arbeiter in Großbritannien, Europa und weltweit mit ihrem Lebensstandard geradestehen.
Er forderte einen “fundamentalen Kulturwandel in unserem Land“, der “den typisch britischen Unternehmer- und Freibeutergeist hochhält und Leute belohnt, die den Drang haben, Dinge zu machen, Dinge zu verkaufen und Arbeitsplätze für andere zu schaffen“.
Camerons Rede hat wenigstens einen Vorteil: Er hat die Forderungen der räuberischsten Schichten der herrschenden Elite Großbritanniens offen beim Namen genannt. Die originalen Freibeuter waren einst Piraten, die im 17. Jahrhundert spanische Schiffe in der Karibik ausraubten.
Die Bedeutung von Camerons Äußerungen entging dem rechten Daily Telegraph nicht, der mit dem Titel aufmachte: „Diese freibeuterische Bildersprache rückte früher den Kapitalismus in ein negatives Licht und ließ an Ausbeutung, sogar Kriminalität denken. Dass Cameron sich heute darauf beruft, verspricht eine Rehabilitation des Reichtum schaffenden Potentials des privaten Sektors. Viele seiner Hinterbänkler werden sie willkommen heißen.“
Dann heißt es da: “Die Regierung sollte sich rechts halten”, und voller Begeisterung: “Das ist eine gute Richtung.”
Wenig überraschend billigte die Sun des milliardenschweren Oligarchen Rupert Murdoch Camerons Botschaft mit der Schlagzeile: ”AUF ZUR FREIBEUTEREI – Lasst uns Unternehmen gründen und den Staat schrumpfen“.
Für den Daily Express war Camerons Rede ein “Ruf zu den Waffen”.
Als Vertreter der modernen Plünderer legte Cameron noch weitergehende Pläne für das Zusammenstreichen von öffentlichen Ausgaben im Interesse der Superreichen vor. Seine Regierung senkt die Unternehmenssteuern auf zwanzig Prozent und beseitigt Hindernisse für Unternehmen. Gleichzeitig verteidigte er die fast zweiundzwanzig Milliarden Pfund an Kürzungen bei den Sozialausgaben seit 2010, die Zehntausende tief in die Armut stürzen.
Cameron gab bekannt, dass er Anfang Dezember eine Handelsdelegation nach China anführen werde. Bei einem Besuch in China im Oktober erklärte Finanzminister George Osborne, es sei nicht angemessen, China als gigantische „Knochenmühle“ zu bezeichnen. Er pries Chinas Wirtschaft als nachahmenswertes Beispiel, trotz galoppierender kapitalistischer Ausbeutung durch transnationale Konzerne und diktatorischer Herrschaftsmethoden.
Im Unterschied zur Begeisterung der rechten Medien über Camerons Rede gab sich die liberale Presse schockiert von Camerons Ziel, die Kürzungspolitik permanent zu machen. Der Guardian und der New Statesman zitierten Camerons Aussage 2010 bei seiner Amtsübernahme an der Spitze einer Koalition mit den Liberaldemokraten: „Ich bin nicht in die Politik gegangen, um Kürzungen zu machen“. Sie wollten damit den Anschein erwecken, dass Cameron seine Position geändert habe.
Das ist Unsinn und soll ihre Leser einschläfern. Mehr als ein Jahr, bevor er Premierminister wurde, hatte Cameron im April 2009 erklärt, jede Regierung unter seiner Führung werde ein Zeitalter der Austerität einläuten. Die Medien wissen genau, dass das die wirkliche Agenda der Koalition ist, die auch von der Labour Party geteilt wird. Sie sind nur deshalb schockiert, weil er das schmutzige Geheimnis der herrschenden Klasse Großbritanniens offen ausgesprochen hat.