Zwei aktuelle Vorfälle mit Kinder zeigen, wie in ganz Europa Vorurteile gegen Roma geschürt werden:
In Griechenland wurde ein Roma-Paar angeklagt, ein sechsjähriges Mädchen entführt zu haben. Dieses wurde im Haus des Paares entdeckt, als die Polizei ein Roma-Lager in Zentralgriechenland nach Waffen und Drogen durchsuchte.
Das Mädchen erregte die Aufmerksamkeit der Polizei, weil es sich mit seinen blonden Haaren und grünen Augen von dem Paar und dessen anderen Kindern unterschied. Das Paar wurde verhaftet, ihm droht ein Prozess. Das Mädchen kam in das Athener Waisenhaus „Das Lächeln des Kindes.“
Bisher sind noch keine konkreten Beweise für eine Kindesentführung aufgetaucht, abgesehen von einem DNA-Test, der bestätigte, dass das Mädchen, das auf den Namen Maria hört, nicht mit dem Roma-Paar verwandt ist. Berichten zufolge hat das Paar noch weitere Kinder aufgenommen, mit denen es nicht biologisch verwandt ist.
Das Paar hat den Vorwurf der Entführung dementiert.
Der Anwalt des Paares erklärte in einem Interview mit der Nachrichtensendung des Star Channel: „Man kann diesen Fall auf zwei Arten sehen. Entweder wird ein Mädchen von seinen Eltern vermisst, und es wäre eine Schandtat, wenn das Kind ihnen gestohlen worden wäre, was wir leugnen. Die andere Möglichkeit ist, dass die Mutter des Mädchens es ausgesetzt hat und eine andere Familie hat es liebevoll aufgenommen.“
Das Paar erklärte, eine bulgarische Roma, die zu arm war, um selbst für das Mädchen zu sorgen, habe es ihnen überlassen, um auf es aufzupassen.
Interpol erklärte, es habe keine Akten über das Verschwinden eines Mädchens, das mit Marias Beschreibung und Alter übereinstimmt. In diesem Kontext bezeichnet Panayiotis Dimitras von der griechischen Menschenrechtsorganisation Helsinki Monitor die Entscheidung, das Roma-Paar zu verhaften, als „empörend und abstoßend.“
In einem Interview mit der britischen Zeitung Independent erklärte er: „Es ist eine rassistische Haltung seitens der griechischen Behörden... die Familie wegen Entführung anzuklagen nur weil sie Roma sind, und weil es erwiesen ist, dass es nicht ihr leibliches Kind ist.“
Die griechischen und ausländischen Massenmedien schüren jahrhundertealte Vorurteile gegen eine der am meisten unterdrückten und schutzlosesten Ethnien Europas. Um das Stereotyp von „Kinder stehlenden Zigeunern“ zu verstärken, wurde das Mädchen von den griechischen Medien als „blonder Engel“ bezeichnet. In Großbritannien berichten die Medien darüber, dass Marias Geschichte den Familien von Madeleine McCann und Ben Needham neue Hoffnung gibt. Ihre Kinder waren bei Familienurlauben in Portugal im Jahr 2007, bzw. auf der griechischen Insel Kos im Jahr 1991 verschwunden.
In einem Artikel der griechischen Tageszeitung To Vima mit dem Titel „Das Roma-Lager bei Farsala steht am Rande der Stadt und der Illegalität“ sagten Vertreter der Polizeigewerkschaft der Zeitung, die Polizei ermittele regelmäßig in den drei Zigeunerlagern in Larissa [der größten Stadt nahe Farsala], und „unsere Kollegen finden meistens etwas heraus.“
Mit anderen Worten, Rechtsstaatlichkeit und Unschuldsvermutung bei einer Straftat gilt in Fällen von Roma nicht; sie sind schuldig bis zum Beweis der Unschuld. Die Vertreter der Polizeigewerkschaft fuhren fort: „Wir haben mit unseren Ermittlungen in dem Lager bei Farsala nicht das Rad erfunden. Wir wissen, dass Zigeuner in Verbrechen wie Diebstahl, Drogenhandel und sogar dem Menschenhandel mit Kindern verstrickt sind.“
Die Hetzkampagne erreichte ihren Höhepunkt, als der zweite angebliche Entführungsfall ans Licht kam. Einem Roma-Paar in Irland wurde Kindesentführung vorgeworfen, weil ihre Tochter eine hellere Hautfarbe hatte als sie. Daher nahm die Polizei das Kind aus ihrer Familie und stellte es unter die Aufsicht des Health Service Executive.
Seither wurde durch DNA-Tests bestätigt, dass die siebenjährige tatsächlich die leibliche Tochter der Angeklagten ist.
Die Verteufelung der Romagemeinden blendet völlig aus, dass sie ständig aus der Gesellschaft ausgeschlossen sind. Laut der Londoner Minority Rights Group International sind 80 Prozent aller griechischen Roma Analphabeten. Alexis Koutrovelis, Direktor einer Schule in Aspropyrgos, deren Schüler hauptsächlich Roma sind, sagte der Zeitung I Efimerida Ton Syantakton, dass die meisten seiner Schüler in Hütten ohne fließendes Wasser leben. Einige haben sich mehrfach an den Öfen in der Mitte der Hütten verbrannt, weil sie nachts dagegenlaufen, wenn sie aufwachen.
Solche Bedingungen sozialen Elends sind für Romagemeinden in ganz Europa üblich, vor allem in Osteuropa.
Die Verfolgung der Romagemeinden ist verbunden mit einem starken Rechtsruck der offiziellen Politik, den die herrschende Elite aller Länder unterstützt. Vor kurzem kam es in Frankreich zu Massenprotesten, nachdem die Hollande-Regierung eine fünfzehnjährige Roma und ihre Familie abgeschoben hatte. Der französische Innenminister Manuel Valls propagiert eine Politik, die traditionell mit Rechtsextremen in Verbindung gebracht wird. Er hat alle Roma in Frankreich aufgerufen, das Land zu verlassen und nach Osteuropa zurückzugehen.
In Irland waren nur zwei Wochen, bevor das Romamädchen aus seiner Familie genommen worden war, Berichte über unmenschliche Bedingungen im Asylsystem des Landes aufgekommen. Hunderte von Asylbewerbern werden in Anlagen ohne Strom und fließendes Wasser untergebracht, einige müssen in ihren Schlafzimmern Essen kochen. Der von der Regierung in Auftrag gegebene Bericht kam zu dem Ergebnis, dass die Bedingungen in einigen der Einrichtungen so schlecht waren, dass die Behörden nur einen Monat Zeit haben, sie zu korrigieren, andernfalls droht die Schließung.
Die Polizeirazzia in Griechenland in dem Roma-Lager, die zu Marias Entdeckung führte, war Teil einer seit langem praktizierten Politik, mutmaßliche Immigranten aufgrund ihrer Hautfarbe oder Ethnie festzunehmen und in speziell eingerichtete Abschiebelager zu stecken, in denen schreckliche Bedingungen herrschen. Bei der Durchsetzung dieser Politik haben die griechischen Behörden keine Hemmungen, mit rechten und offen faschistischen Organisationen wie der Goldenen Morgenröte zusammenzuarbeiten.
Die griechischen Pseudolinken unterstützten die Vorwürfe der Kindesentführung. Syrizas Zeitung Avgi (Die Dämmerung) zitierte ausgiebig und unkritisch mehrere britische und deutsche Medien, die behaupteten, das Mädchen sei entführt worden. Sie schlug den Lesern sogar vor, auf der Webseite der Daily Mail die „umfassende Berichterstattung“ zu lesen und ein Video anzuschauen, das zeigt, „wie die kleine Maria mit der Frau tanzt, die sich als ihre Mutter ausgibt.“
In dem Artikel wird dem Leser erklärt, dass Videomaterial aufgetaucht sei, das zeigt, „wie das Kind bereits im Kleinkindalter tanzt,“ und dass eine unbekannte Frau auf den Videos „das kleine Mädchen packt, als es ins Taumeln kommt und es zurück auf einen sonnigen Platz schiebt, damit es weitertanzt.“
In einem anderen Artikel, der am gleichen Tag auf der Webseite der Daily Mail erschien, hieß es: „Die kleine Maria musste für Geld tanzen.“
Die Zeitung Rizospastis der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) erklärte, die Ereignisse hätten sich zu „einer Hexenjagd entwickelt, deren scheinbarer Zweck es ist, von einem extrem ernsten Thema abzulenken: dem Menschenhandel, vor allem dem Handel mit Kindern.“
Sowohl Syriza als auch die KKE propagieren als Reaktion auf die Wirtschaftskrise griechischen Nationalismus. Ihre Anpassung an die reaktionärsten und rückständigsten Vorurteile gegenüber Roma-Kommunen entspricht der Rolle, die sie dabei spielen, Spaltungen in der Arbeiterklasse zu schüren und die bürgerliche Ordnung zu verteidigen.