Am 31. Oktober sind es zwei Jahre, dass der Krieg der USA und der Nato für einen Regimewechsel in Libyen offiziell zu Ende ging. Es ist kaum zu erwarten, dass dieser zweite Jahrestag in Washington, in westeuropäischen Hauptstädten oder in Libyen selbst mit großer Begeisterung begangen wird.
Der fast achtmonatige Krieg erreichte sein Ziel, das Regime von Oberst Muammar Gaddafi zu stürzen. Gaddafi selbst wurde von einem Mob Nato-freundlicher „Rebellen“ ermordet. Dieses grausige Ereignis wurde von Präsident Barack Obama im Rosengarten des Weißen Hauses mit dem Ausruf begrüßt, jetzt beginne „ein neues und demokratisches Libyen“.
Zwei Jahre später ist von einem solchen Libyen weit und breit nichts zu sehen. Das vom amerikanischen Militär und seinen europäischen Verbündeten bombardierte Land befindet sich in einem Zustand fortgeschrittenen Zerfalls. Wie am Montag berichtet wurde, ist die Ölförderung auf 90.000 Barrel pro Tag zurückgefallen; das ist weniger als ein Zehntel des Vorkriegsniveaus. Auf der Ölförderung beruhen fast sämtliche Exporteinnahmen und über die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts des Landes.
Wichtige Ölförderanlagen sind von bewaffneten Milizen besetzt. Die Milizionäre von Ostlibyen treten dafür ein, dass das Land wieder in die drei Regionalgouvernements Zyrenaika, Tripolitanien und Fesan aufgeteilt wird, wie sie das Kolonialregime des faschistischen Italien eingerichtet hatte.
Schätzungen zu Folge gibt es fast eine Viertelmillion Milizionäre im Land. Sie werden von der Regierung bewaffnet und bezahlt, operieren aber völlig unabhängig und ungestraft unter der Leitung islamistischer und regionaler Warlords. Diese Warlords sind die eigentliche Macht im Land.
Zusammenstöße zwischen diesen Milizen, Angriffe auf die Regierung und die Ermordung von Regierungsbeamten sind an der Tagesordnung. Anfang des Monats wurde selbst der libysche Ministerpräsident Ali Zeidan von einer islamistischen Miliz entführt, die damit gegen die Entführung des angeblichen al-Qaida-Führers Abu Anas al-Liby durch amerikanische Sondereinheiten am 5. Oktober protestierte.
Tausende Libyer sowie Wanderarbeiter aus Schwarzafrika werden von den Milizen in provisorischen Gefängnissen ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten, misshandelt und getötet.
Die Lage der großen Masse einfacher Menschen in dem ölreichen Land ist nach wie vor katastrophal. Die reale Arbeitslosigkeit liegt bei über dreißig Prozent. Mehr als eine Million Menschen, viele von ihnen Anhänger des früheren Regimes, sind immer noch Flüchtlinge im eigenen Land.
Die Tatsache, dass dieses Chaos zwei Jahre nach Kriegsende immer noch anhält, spricht Bände über den wahren Charakter dieses Kriegs.
Die USA und ihre Hauptverbündeten in der Nato, Großbritannien und Frankreich, brachen den Krieg unter dem Vorwand einer humanitären Intervention vom Zaun, angeblich um unschuldige Menschenleben zu retten. Auf der Grundlage der unbewiesenen Behauptung, ohne eine sofortige Intervention stehe im Osten des Landes ein Massaker der Regierung an der rebellischen Bevölkerung von Bengasi unmittelbar bevor, setzten die Nato-Mächte im UN-Sicherheitsrat die Resolution 1973 durch, die ihnen erlaubte, eine Flugverbotszone zu verhängen und „alle notwendigen Maßnahmen zum Schutz von Zivilisten zu ergreifen“.
Diese Resolution diente als pseudolegaler Deckmantel für einen imperialistischen Aggressionskrieg, der geschätzten 50.000 libyschen Zivilisten das Leben kostete und mindestens ebenso viele verletzt zurückließ. Bei diesem Krieg ging es ganz sicher nicht um die Rettung von Menschenleben, sondern um die neokoloniale Ausplünderung. Sein oberstes Ziel war der Sturz Gaddafis und die Einsetzung eines gefügigen Marionettenregimes.
Die Washingtoner Regierung und ihre Verbündeten reagierten mit dieser Intervention in erster Linie auf die Massenaufstände der Arbeiterklasse in Tunesien und Ägypten. In diesen Ländern, die an Libyen angrenzen, erhoben sich die Menschen gegen vom Westen unterstützte Regimes. Das Ziel bestand darin, die Ausbreitung dieser Revolutionen zu verhindern und die Hegemonie der USA und Westeuropas in der Region aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig sollte der wirtschaftliche und politische Einfluss Chinas und Russlands zurückgedrängt und verhindert werden, dass diese beiden Länder einen direkteren Zugang zu den libyschen Energievorkommen erhielten.
Von großer Bedeutung ist die Tatsache, dass der Versuch der imperialistischen Mächte, den neokolonialen Charakter des Krieges zu verschleiern, von einer ganzen Schicht pseudolinker Kräfte in Europa und den USA unterstützt wurde.
Diese Organisationen, wie die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) in Frankreich, die Socialist Workers Party (SWP) in Großbritannien und die International Socialist Organisation (ISO) in den USA, stellten den imperialistischen Krieg gegen Libyen nicht nur als „humanitäre“ Intervention dar, sondern sogar als „Revolution“ der Libyer selbst.
Bis heute bewahren diese Elemente Stillschweigen über die aktuellen Zustände in Libyen, und das mit gutem Grund. Der Zerfall des Landes in kleine Fürstentümer rivalisierender Warlords, die Lähmung seiner Wirtschaft und die Verarmung seiner Bevölkerung – dies alles beweist zur Genüge, dass sie selbst 2011 in Libyen nicht eine „Revolution“ unterstützt haben, sondern einen imperialistischen Raubzug.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Das Regime, das an die Macht gebracht wurde, hat gerade deswegen keine Autorität, weil es nicht von einem revolutionären Volksaufstand ins Amt gehoben worden ist, sondern von massiven Bombenangriffen der USA und der Nato, ergänzt durch die Aktivitäten islamistischer Milizen, von denen viele Verbindungen zu al-Qaida unterhalten. Diese Milizen waren die Bodentruppen der Nato und operierten unter der Anleitung von Sondereinheiten der USA, Frankreichs, Großbritanniens und Katars.
Zwei Jahre nach dem Krieg in Libyen propagiert diese pseudolinke Schicht die imperialistische Intervention für einen Regimewechsel in Syrien und feiert die Machenschaften der CIA, Saudi-Arabiens, Katars und der Türkei und die religiös motivierten Gräueltaten der al-Qaida-Milizen erneut als „Revolution“.
Diese Gruppen nutzen die Kriege, um engere Verbindungen mit ihren eigenen Regierungen und herrschenden Eliten zu schmieden. Ihre Politik ist von jener der CIA und der Obama-Regierung praktisch nicht mehr zu unterscheiden. Sie ist Ausdruck der Interessen einer privilegierten oberen Mittelschicht, die sich zu einer neuen Stütze des Imperialismus entwickelt.
Der Krieg der USA und der Nato konnte zwar Gaddafi stürzen und ermorden und das Land weitgehend in Schutt und Asche legen, aber die imperialistische Plünderung seines Ölreichtums und die Verwandlung des Landes in einen Stützpunkt für die Durchsetzung der Vorherrschaft der USA in der Region laufen längst nicht wie gewünscht.
Die herrschenden Kreise der USA und Washingtons Geheimdienste sind tief besorgt. Der Washington Post-Kolumnist David Ignatius schrieb vergangene Woche, Libyen sei „eine Fallstudie dafür, warum Amerikas Einfluss im Nahen Osten nachlässt“. Er warf der Obama-Regierung vor, „in den letzten beiden Jahren nicht die notwendigen Schritte getan zu haben, um den Rückfall des Landes in die Anarchie wenigstens zu bremsen“.
Zwei Jahre nach dem Abzug der letzten amerikanischen Truppen aus dem Irak versinkt auch dieses Land wieder im Bürgerkrieg. Die Opferzahlen schnellen erneut auf das Rekordniveau hoch, das während der amerikanischen Besatzung erreicht wurde. In Syrien musste die Obama-Regierung aufgrund überwältigender Opposition in der amerikanischen und Welt-Bevölkerung im letzten Moment von einer direkten Militärintervention Abstand nehmen. Die Opposition war umso größer, als schon die vorherigen Kriege auf tiefe Ablehnung stießen. Sie waren auf der Grundlage von Lügen im Interesse der Finanzoligarchie geführt worden.
Die Krise hat zwar Washingtons Zeitplan für den Krieg gegen Syrien durcheinandergebracht, aber letztlich droht sie noch katastrophalere Zusammenstöße hervorzubringen. Diese Gefahr kann nur bekämpft werden, wenn eine neue, massenhafte Anti-Kriegsbewegung aufgebaut wird, die sich auf die Arbeiterklasse stützt. Sie muss sich gegen das kapitalistische Profitsystem, die Quelle von Krieg und Militarismus, richten.